Ruhrgebiet. Ein Leuchtturmprojekt für das Ruhrgebiet sollte der Radschnellweg Ruhr werden. Doch bis zur Fertigstellung wird es zwanzig Jahre gebraucht haben.
Seinen Spitznamen hatte der Radschnellweg Ruhr schnell weg, nachdem der Plan Ende 2010 vorgestellt wurde: „Fahrradautobahn“ ist schräg, aber sprechend. Heute mehr denn je: Wie bei Autobahnprojekten schleppt sich die Planung nur so dahin, mittlerweile sprechen Verantwortliche von einem „Dekadenprojekt“. Mehrzahl – denn recht genau ein Jahrzehnt ist bereits vergangen, seit die Machbarkeitsstudie beauftragt wurde. Darin hieß es noch, der „RS1“ könne bis 2019 umgesetzt werden. Stand heute wäre es eine Überraschung, wenn der Weg noch in den 20ern dieses Jahrhunderts durchgehend befahrbar sein würde auf seinen 114 Kilometern von Moers bis Hamm. Wir geben einen Überblick, wo es stockt und wo es rollt.
„Ein Großteil der Strecke im Kernruhrgebiet“ will Straßen.NRW „in den nächsten Jahren“ freigeben, das sei das Ziel. Der Landesbetrieb ist allerdings nur für unzusammenhängende Teilabschnitte zuständig. Andere werden von den Städten geplant oder vom Regionalverband Ruhr (RVR). Es mischen Bezirksregierungen, Landschaftsverbände und Ministerien mit, von einzelnen Behörden und Ämtern ganz zu schweigen. Wer nach einem Baubeginn für einzelne Abschnitte fragt, bekommt zu hören: zu komplex, es müssen erst Grundstücke gekauft oder von der Bahn freigegeben werden, es muss dieses oder jenes passieren, wir haben es nicht in der Hand, können wir wirklich nicht sagen, das wäre unseriös. Auch eine neue Kostenschätzung gibt es nicht, es waren 184 Millionen Euro angesetzt.
„Wie Kaugummi“
„Tatsache ist, dass für Teilstücke der Trasse zum Beispiel in Essen Genehmigungen fehlen und zum Teil noch kein Baurecht besteht. Dadurch zieht sich der Bau des RS1 seit Jahren wie Kaugummi“, erklärt Ludger Vortmann, Landessprecher des ADFC. Der Fahrradclub fordert Gesetzesänderungen: Verfahren könnten durch den Wegfall von Beteiligungs- und Klagemöglichkeiten beschleunigt werden. „Vorzeitige Besitzeinweisungen“ wie bei „eilbedürftigen“ Straßenprojekten würden es erlauben, schon vor Abschluss eines Enteignungsverfahrens zu planen und zu bauen.
Auch interessant
Die jahrelangen Verzögerungen beim RS1, sagt Vortmann, seien vor allem zurückzuführen auf eine „fehlende Priorisierung von Vorhaben für den Radverkehr“ beim Land und bei den Städten. Diese müssten sich „klar zum RS1 bekennen und dabei definieren, bis wann er fertiggestellt werden soll“. Das Projekt werde unter Radfahrenden schon als „Radschneckenweg“ belächelt. Dabei war die Idee des RVR (nach niederländischem Vorbild) Anstoß für Dutzende Schnellstrecken für Metropolregionen in ganz Deutschland, allein in NRW sind acht geplant. Doch nun wird das Ruhrgebiet überholt. Der Radschnellweg von Frankfurt nach Darmstadt (35 Kilometer) ist ein Jahr später gestartet und soll im kommenden Sommer nutzbar werden.
Andererseits können Radler im Revier bereits vier Teilstrecken mit 17 Kilometer Gesamtlänge nutzen, wie unsere Übersichtsgrafik zeigt – in Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund und auf der „Modellstrecke“ zwischen Mülheim und dem Unicampus Essen. Allerdings ist auch diese noch nicht so ausgebaut, wie es die ambitionierten Pläne vorsehen: vier Meter breit plus zweieinhalb Meter für Fußgänger, baulich getrennt, durchgehend asphaltiert. Diesen Standard gab es noch nicht, als die Strecke gebaut wurde, in vier Jahren soll sie aufgewertet werden.
Dortmund
Auch interessant
An anderer Stelle gibt man sich mit einem niedrigeren Niveau zufrieden. Ein knapper Kilometer im Dortmunder Ausgehkiez Kreuzviertel ist seit vergangenem Jahr offiziell als RS1 befahrbar. Es handelt sich jedoch nur um eine Fahrradstraße, ähnlich der Rüttenscheider Straße in Essen. So soll auch der weitere Weg durch die City gestaltet werden – was der Standard bei Platzgründen durchaus vorsieht.
Autos fahren also doch auf dem RS1 – und zwar mehr als zuvor, kritisiert Werner Blanke vom ADFC Dortmund, denn auch sie genießen die neue Vorfahrt. „Der Sinn des RS 1 ist somit aus unserer Sicht konterkariert worden.“ Der ADFC fordert Nachbesserungen, mindestens um die Zahl der Autos zu senken.
„Nach der Übernahme der Planung durch die Stadt hat sich jahrelang außer Willenskundgebungen nichts getan“, sagt Blanke. Die Kreise Hamm und Unna hinkten noch mehr hinterher. Immerhin hat Dortmund im Sommer drei Planer eingestellt, wie Blanke anerkennt, das Team soll laut Stadt wachsen. Das scheint auch notwendig, denn acht Jahre nach der Studie werden noch immer mögliche Standorte für Brücken geprüft. „Die benötigen etwa zehn Jahre bis zur Umsetzung“, sagt Blanke, was die Stadt bestätigt. „Das heißt also, dass es fraglich ist, ob ich mit jetzt 69 Jahren die Gesamteröffnung des RS 1 auf Dortmunder Stadtgebiet noch radfahrenderweise miterleben kann.
Bochum
Auch interessant
Bochum hat jüngst erste kurze Teilstücke freigegeben, doch in der Innenstadt ist noch viel Detailarbeit nötig. Denn einige Grundstücke der Bahn können nicht für den RS1 genutzt werden, wie es die Machbarkeitsstudie von 2014 vorsah. Es dauerte vier Jahre, bis auffiel, dass hier Kabelschächte liegen, die nicht versetzt werden können und Oberleitungen stehen, die nicht unterquert werden dürfen. Weitere vier Jahre später, also heute, ist zwar eine neue Trasse gefunden, aber wieder muss mit der Bahn geklärt werden, ob die Grundstücke genutzt werden können. Erst wenn das feststeht, soll es Richtung Dortmund weitergehen. Auch hier fehlt bislang die Basis. Es muss dann geprüft werden, ob die Trasse, die man sich vorstellt, überhaupt umsetzbar ist.
Essen
Auch interessant
In Essen hakt es ebenfalls. Zum Beispiel hat die Deutsche Bahn 83 nagelneue Strommasten beim Bahnhof Kray-Nord aufgestellt, genau auf der Trasse, wo im kommenden Jahr weitere rund drei Kilometer RS1 gebaut werden sollen. Abbauen will man die Masten nicht mehr. Es ist zwar noch Platz für den Radweg daneben, aber nicht mehr für den zugehörigen Gehweg. Fußgänger müssen also künftig in Essen-Kray einen Umweg laufen.
Das wohl größte Planungshindernis in Essen ist jedoch ein Bahndamm im Eltingviertel nahe der Uni. Über den Damm soll einmal der Radweg verlaufen, doch noch wird er als Rangiergleis für ein Chemiewerk genutzt. Es muss erst ein Ersatz her, aber acht Jahre nach dem Beschluss für den RS1 gibt es noch keinen Plan dafür. Nächstes Jahr soll dieser kommen, doch dann muss erst genehmigt und gebaut werden – das Ersatzgleis zunächst ... Wenn der RS1 Ende des Jahrzehnts stehen würde, heißt es, sei dies der Idealfall.
Duisburg
Auch interessant
Duisburg hatte im vergangenen Jahr einen guten Grund, noch einmal komplett umzuplanen. Denn Moers hatte sich dem Radschnellweg angeschlossen, darum hatte das NRW-Verkehrsministerium der A40-Brücke über den Rhein, die gerade gebaut wird, einen extra breiten Radweg verschafft. Dafür war sogar ein Bundesgesetz geändert worden. Nun kann die neue Strecke nördlich durch die Innenstadt verlaufen statt weiter südlich, aber viele Details sind noch unklar – und damit der Zeitplan. Die Rheinbrücke jedenfalls soll 2026 fertig werden. Die ursprüngliche Strecke in den Stadtteil Hochfeld will nun die Stadt bauen. 2027 findet hier ein Teil der Internationalen Gartenausstellung (IGA) statt, bis dahin will man fertig sein. Dann könnte man zumindest vom Rhein bis zum Unicampus Essen radeln.