Ruhrgebiet. Klümpchen und Kultur: Zum dritten Mal lud das Ruhrgebiet zum „Tag der Trinkhallen“. Warum die Menschen dem Kiosk, ja: die Bude einrannten.

Tim’s, Heikes oder Hopp Hopp, Am Stadtpark, Am Wald oder Am Stadion – die meisten heißen mit Vor- oder Zunamen„Kiosk“. Aber dann feiern sie, weil das Kultur ist und gut klingt, den „Tag der Trinkhallen“. Dabei sagt man das im Ruhrgebiet noch anders, und es ist am Ende doch alles dasselbe: Am Samstag war mal wieder Party „anne Bude“.

Der DJ vor der Tür sieht aus wie die Bude von innen: lauter bunte Flaschen auf seinem Hemd. Drinnen sind sie fein aufgereiht neben Damenbinden und Kartoffelpüree, auf den Wein haben sie den Preis geschrieben, 5,80. Aber wer will schon Wein, zur Bude gehört das Bier, und das darf man heute sogar trinken, genau hier unter dem Warnschild: „Das Öffnen von alkoholhaltigen Getränken ist strikt untersagt.“ An normalen Tagen muss der Mensch Abstand vom Ausschank halten, aber am Tag der Trinkhallen ist wenig „normal“.

Wie ein Straßenfest: Bier und Tanzmusik an Tim’s Kiosk am Dortmunder Heiligen Weg.
Wie ein Straßenfest: Bier und Tanzmusik an Tim’s Kiosk am Dortmunder Heiligen Weg. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

„Wir haben genug“, beruhigt die freundliche Frau im „Kiosk am Stadion“, „nur die Kühlung ist das Problem.“ Hier haben sie heute mal richtig „Gemischte Tüte“, nicht nur bei den Süßigkeiten und nicht nur beim Programm: Der BVB spielt gleich, sie wissen gerade gar nicht, was sie zuerst feiern sollen; das Pink der Büdchen-Party geht ein bisschen unter im Schwarz-Gelb. Die Mitarbeiter rennen im Dauerlauf ins Lager, kistenweise wird kaltgestellt, im „Kiosk Mirani“ ein paar Meter weiter teilen sich die Flaschen den Platz in der Truhe mit dem Speiseeis. „Wer holt Bier?“, fragt jemand draußen, „ich war schon, das geht immer reihum.“

Es kommt Musik vom Plattenteller und die halbe Nachbarschaft

Ein Prost auf den Tag der Trinkhallen! Gesellige Runde am Eigener Büdchen in Bottrop.
Ein Prost auf den Tag der Trinkhallen! Gesellige Runde am Eigener Büdchen in Bottrop. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Vor der „Bude 116einhalb“ (nach der Hausnummer) stoßen drei Freunde an, man hat ihnen Bierdeckel untergeschoben, auf denen „Prost!“ steht oder „Hömma!“, und für ihre Freude am Zug durch die Gemeinde hat Marcus eine knappe Erklärung: „Bier und Menschen“. Das findet auch Julia vor „Tim’s Kiosk“. Die sagt, sie hat den Tag der Trinkhallen wirklich vermisst, „endlich mal wieder Menschen treffen“! Zu dritt wollen sie von Bude zu Bude ziehen, sie sind schon an der ersten hängengeblieben. Es wird getanzt auf dem Bürgersteig, drumherum ist die tote Hose eines frühen Samstagabends, aber es kommt Musik vom Plattenteller und die halbe Nachbarschaft aus den Nebenstraßen. „Es ist“, sagt Julia, 36, „wie ein Straßenfest.“

Am Ende zählt die Ruhr Tourismus GmbH 25.000 Besucher an 50 ausgewählten Programmbuden und noch mal 70, die von sich aus mittun aus Spaß an der Freude. Das sind mehr als bei den ersten Ausgaben 2016 und 2018, aber da sind natürlich mindestens 50.000 Fußball-Fans „drin“. Und wie soll man unterscheiden zwischen jenen, die zum Feiern kommen und jenen, die jeden Tag da sind, auf ein Schwätzchen, die neuesten Nachrichten oder wegen „für zehn Cent Lakritz“? In Bochum sagt Budenbetreiber Timo, die gemischte Tüte sei bis heute gleich geblieben, „die Kinder lieben immer noch dasselbe“ wie einst er, als er mit dem Kinn gerade bis an die Theke reichte: Cola-Fläschchen, Kirschen, Kracher. Und Wassereis.

Neben Klümpchen gibt es auch Kultur

Zauberkünstler Oli Pilsner unterhält nicht nur BVB-Fans auf dem Weg ins Dortmunder Stadion. Hier vor dem „Kiosk Zwischenstopp“.
Zauberkünstler Oli Pilsner unterhält nicht nur BVB-Fans auf dem Weg ins Dortmunder Stadion. Hier vor dem „Kiosk Zwischenstopp“. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Am Tag der Trinkhalle will man neben den „Klümpchen“ auch „Kultur“ verkaufen, aber die ist ja sowieso inbegriffen: Seit einem Jahr gehört die Trinkhalle im Ruhrgebiet zum „Immateriellen Kulturerbe“, man feiert sie als „liebenswerteste und authentischste Errungenschaft“ des Reviers. Es ist bloß alles etwas größer, es gibt Musik vom Plattenteller oder live, Vorstellungen von Clowns und Kabarettisten, es laufen Spiele und Filme, Kinder schlecken und malen „Eis am Stiel“. In Duisburg hat Micha in seiner Bude für seine Gäste gekocht, in Witten gibt es Regenbogenkuchen oder Teigbällchen aus Kichererbsenmehl, und im Holzkohle-Qualm eines Dortmunder Kiosk mischt ein Magier seine Karten. Vor Türen und Verkaufsfenstern stehen Bänke, pinkfarbene Papphocker, die aussehen wie Wasserkästen und ein Dixie-Klo, an dem die Preise hängen für Dinge, die es sonst hier nicht gibt und schon gar nicht zu dem Kurs: Waffel 1 Euro, Bratwurst 2.

Weingummi-Kirschen sind das Erkennungszeichen des Tages

„Kette geben, Kult erleben“, steht auf eigens gedruckten Bannern, aber eigentlich geben die Leute Gummi: Tattoos mit Weingummi-Kirschen werden zum Erkennungszeichen des Tages. Wie die rosa Mäntelchen, die Besucher ihren Bierpullen zum Kühlen anziehen oder die Hüllen für Fahrradsättel; es sind ja Hunderte auf eigens ausgewiesen Büdchen-Touren unterwegs. Oder sie treiben anderen Sport: spielen Fußball, reden über Fußball oder singen Fan-Gesänge. Auch für den Trinkhallen-Tag stimmt das ja: „You’ll Never Walk Alone“, Du bist niemals allein auf dem Weg.

„Das Ruhrgebiet lebt wieder“: Julia vor Tim’s Kiosk in Dortmund.
„Das Ruhrgebiet lebt wieder“: Julia vor Tim’s Kiosk in Dortmund. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Eine Band spielt ein Lied von „Ups and Downs“, es gibt aber nur gute Stimmung, sagt eine „Frau vonne Bude“, ihr Kunde hinterlässt ihr dankbar eine Handvoll Kronkorken. „Schön, wenn alle feiern und alle glücklich sind!“ Tolle Sache für den Sommer, findet auch Julia: „Das gibt’s nur hier!“ Und ist den Menschen nach vier Jahren Pause ein Fest, im doppelten Sinne: „Das Ruhrgebiet“, sagt Julia, „lebt wieder!“

>>INFO: TAG DER TRINKHALLEN

Der Tag der Trinkhallen erlebte in diesem Jahr seine dritte Auflage nach 2016 und 2018. Er wird ruhrgebietsweit von der Ruhr Touristik GmbH organisiert. 50 Programmbuden zu den Themenbereichen „Gemischte Tüte“, „Und Anstoß“, „Machma lauter“, „Flimmerkiste“ und „Bühne frei“ wurden ausgesucht, weitere Kioske beteiligten sich mit eigenen Angeboten. Für die Show sorgten vor allem Künstler und Künstlerinnen aus der Region. Seit Juni 2021 gehört die Trinkhallen-Kultur im Ruhrgebiet zum Immateriellen Kulturerbe.