Ruhrgebiet. . Das Ruhrgebiet feierte am Samstag zum zweiten Mal seine Buden. Vor 50 typischen Theken gab es am Samstag auch Gedichte und Geschichte(n).
„Machse ma drei Bier“ und „’ne bunte Tüte für ein’ Euro“, klar, „brauchse nowat?“ Und „hömma, dat war doch ‘n Elfer“! Eigentlich war alles wie immer am Samstag: Das Ruhrgebiet ging mal eben wacker anne Bude. Nur gab es da diesmal, beim zweiten Tag der Trinkhallen, zum Klümpchen auch richtige Kultur. Und die Leute rannten der Bude dieselbe ein.
Die Stammgäste sind die ersten, „Brötchen, Bierchen, Zigarettchen“, sagt
Ellen Czekalla in Oberhausen. Nur dürfen sie heute sitzen unter Ballons in Bonbonrosa, was ja auch zur Bude passt, und Alkohol trinken dürfen sie auch. Das ist sonst „im Umkreis von 30 Metern verboten“, aber heute erwünscht. Das Flaschenbier wird am Trinkhallentag zum meistgetragenen Accessoire, Junge trinken mit süßem Geschmack, Alte die Sorte „Landfürst“, Stockschirm links, Pulle rechts, jedenfalls ist in Duisburg nach einer halben Stunde der Kühlschrank erstmals „alle“.
Als die Kinder „Bömskes“ kauften
Aber an diesem wetterwendigen Samstag bringen die Kiosk-Kunden auch selbst etwas mit: selbstgebackenen Kuchen in Oberhausen, ein rotes Sofa in Gladbeck, eigene Texte in Duisburg – und Nostalgie in Tüten. Manche gucken ihre Bude an, als sähen sie die zum ersten Mal, erinnern sich, wie der Opa vom Pütt einst dort Milch holte, wie sie als Kinder Bömskes kauften und. . . „Ach, das Büdchen“, sagt vor dem „Blauen“ in Ruhrort ein alter Mann gerührt. Musik!
Es wird HipHop in Mülheim, während am Springweg Straßenkunst aus Sprühflaschen entsteht und der zweite Flügel des Verkaufsfensters öffnen muss, weil die Schlange bis auf die Straße steht. Lounge-Musik in Duisburg, was Otti in ihrer Bude nicht so gefällt, sie hält mit Schlager dagegen. Klassiker der 70er in Oberhausen, wo der DJ genauso alt aussieht wie sein Vinyl, was an Rüschenkragen und Riesenbrille liegt. Trommeln in Marxloh, dazu wirbeln afrikanische Akrobaten den kleinen Baran durch die Luft (dazu gibt es „Grillen, verschiedene Sorten“).
In Oberhausen bestellt Clara (4) „eine bunte Tüte“, zieht die Weingummi-Schnecke mit den Zähnen lang. „Man sieht die Kinder hier groß werden“, sagt Ellen Czekalla, die liebevoll auf die Gäste guckt: „Dat is’ allet unser Dorf.“ In Herne fühlt „Maggi“ Reinhart ähnlich: „Mir ist es wichtig, die Nachbarn wieder zusammenzubringen.“
Drei Sterne für das „Blaue Büdchen“
So hat die Ruhr-Tourismus GmbH das gewollt, für die „die Trinkhallen im Ruhrgebiet so etwas wie die Dorfplätze“ sind. Und natürlich will sie auch Außenwirkung, etwa bei Leuten wie André aus München auf Männertour. Der vergibt im Revier an diesem Tag Sterne: „Überragend extremgut“ für das „Blaue Büdchen“ in Duisburg.
Das hätte auch Refik Gülcü in Bochum verdient, der Erbsensuppe und Cocktails in die „Gemischte Tüte“ packt, die heute sein Motto ist und eigentlich Straßenkunst mit Cheerleadern paart. Oder der K(uh)iosk in Bottrop, der eine 70-Jährige mit einem alten Film ihres Vaters zum Weinen bringt. Oder der Chor, der an Oer-Erkenschwicks „Ballerbude“ anderer Fans Vereinshymnen anstimmt. Man könnte es mit Michael Hollmann im „Kultkiosk“ (Duisburg) halten, der sagt, dies sei „die geilste Veranstaltung im Ruhrgebiet“.
Nur, „Trinkhalle“ sagt hier eigentlich keiner. Vielmehr, findet nicht nur Sven aus Bottrop, der gerade Kiosk-Quartett spielt und noch „Rosi’s Stübchen“ braucht, „heißt das doch ,anne Bude’“.
>>INFO: 20 000 BESUCHER
Zum 2. Tag der Trinkhallen kamen nach Angaben des Veranstalters, der Ruhr Tourismus GmbH, 20 000 Besucher – trotz des schlechteren Wetters 4000 mehr als bei der Premiere 2016.
Auch damals hatten 50 offizielle Buden teilgenommen. Dafür gab es Platz 3 beim Deutschen Tourismuspreis 2017.