Ruhrgebiet. Alles wird teurer. Das greift tief in unseren Alltag: Sporthallen bleiben kalt, Essen gehen wird teurer, Tafeln und Tierheime melden Überfüllung.

Die Preise explodieren auf breiter Front. Der Einkauf wird teurer. Man duscht kalt, um die Stromrechnung zu drücken. Sogar Gasflaschen, Brennholz und Kohle werden gehamstert. Die Inflation greift in alle Lebensbereiche. Fünf Beispiele.

Dem Amateursport droht ein kalter Winter

„Unsere Halle ist die kälteste Hockeyhalle in Deutschland“, sagt Hanns-Peter Windfeder, Präsident des HTC Uhlenhorst in Mülheim. „Da sind sowieso alle darauf eingestellt, uns warm anzuziehen und merken zwei Grad weniger gar nicht.“ Das ist Galgenhumor – mit mehr als einem Funken Wahrheit. „In den Turn- und Sporthallen haben wir schon seit einigen Jahren eine Solltemperatur von 17 Grad“, sagt Ralf Wind vom städtischen Mülheimer SportService. Das ist zwar die empfohlene Mindesttemperatur nach Sporthallen-Din-Norm – aber zulässig sind auch 15 Grad, darauf weist der Deutsche Städtetag in seinen Sparempfehlungen hin, denen sich der Landessportbund NRW angeschlossen hat.

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Und es könnte noch unattraktiver kommen: In Witten zum Beispiel fließt schon seit Montag kein heißes Wasser mehr aus den Duschen der Sporthallen. Die Vereine laufen Sturm gegen die Hauruckaktion, fürchten auch weitere Abgänge. Und sogar an den vier Lehrschwimmbecken steht eine Absenkung der Duschtemperatur zur Debatte, wenn auch nur von 28 auf 25 Grad. In Mülheim ist es soweit noch nicht: „Erst einmal stellen wir die Warmwasseraufbereitung nicht in Frage“, sagt Ralf Wind. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht irgendwann darüber nachdenken müssen.“

Einige Vereine sind abhängig von den Entscheidungen der Stadt. Der HTC Uhlenhorst und der TSV Viktoria, Mülheims größter Verein, bewirtschaften selbst ihre Anlagen. „Aus freien Stücken werden wir das warme Wasser nicht abstellen“, sagt der TSV-Vorsitzender Dirk Winkelmann darum eher an die Welt gerichtet. „Wenn die Duschen nicht mehr benutzt werden, könnten wir ein Problem mit Legionellen bekommen.“ Und Kollege Windfeder pflichtet ihm bei: „Wenn die Sportlerinnen und Sportler dann geschwitzt nach Hause fahren, hat das auch einen Einfluss auf die Gesundheit und kann Verletzungen fördern.“

Aber die Kosten drücken unerbittlich, das spüren sie schon jetzt. Die Tennis-Traglufthalle des HTC etwa verschlang schon im vergangenen Winter 2,7 Mal so viel wie kalkuliert. sollten die Preise weiter steigen, sagt Windfeder, sei das „ein Brocken, den wir so nicht im Budget haben“. Es könnte ein langer, harter Winter werden.

Die Tafeln nehmen keine neuen Mitglieder auf

„Es ist schon traurig, wenn man nicht helfen kann“, sagt Agnes Dobiegala, aber manchmal müsse sie Menschen wegschicken, auch wenn es weh tut. Ohne Tafel-Schein läuft nichts. Und die Duisburger Tafel nimmt schon länger keine neuen Kunden mehr auf. Wie auch die Bochumer, die Essener und die Herner Tafel – nach einer Stichprobe des NRW-Sozialministeriums haben drei Viertel aller Tafeln einen Aufnahmestopp verhängt. Überall ist die Situation ähnlich wie in Duisburg: Vor der Pandemie wurden 2100 Menschen versorgt, Anfang 2022 waren es 2700 und aktuell bekommen über 3500 Arme wöchentliche Lebensmittelpakete.

Agnes Dobiegala hilft bei der Tafel in Duisburg.
Agnes Dobiegala hilft bei der Tafel in Duisburg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der Krieg gegen die Ukraine sei eine Katastrophe, sagt Geschäftsführer Günter Spikofski, „wir haben kaum genug Lebensmittel, um das alles aufzufangen“. Immer mehr Supermärkte versuchen, mit Sonderregalen oder Rabatten Produkte kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch selbst loszuwerden. Um ukrainische Flüchtlinge zu unterstützen, haben sie einen weiteren Ausgabetag für 50 Familien gestartet.

Zum Termin reichen die Kunden ihre Tasche durch ein Fenster und 1,50 Euro. Dafür befüllen vier Ehrenamtlerinnen sie mit Vollkornbrot und Salat, mit Eiern, Butter und Basilikum, Schoko-Ostereiern und Kakaoflaschen. Hinter jedem Abholer stehen im Schnitt zwei Menschen – Partner oder Kinder. 130 Menschen kommen mittwochs zum Schlachthof in Meiderich, wo die Tafel eine ihrer Ausgaben betreibt.

Sigrid Rüger ist eine von ihnen. Sie hat 42 Jahre gearbeitet, krankheitsbedingt ist sie nun auf das Jobcenter angewiesen: 853 Euro monatlich. Nun kämpft die 63-Jährige darum, verrentet zu werden. Bis dahin hilft ihr die Tafel über die Woche. Das 9-Euro-Ticket ist für sie auch ein Segen – im Vergleich zum Sozialticket spart sie nun 30 Euro monatlich. Geld, dass Rüger in einen Kinobesuch investieren will „oder in ein Stück Kuchen“. Im Alltag verkneife sie sich viel. Gerade unterhält sie sich mit Silke Hartmann darüber, mit welchen Haushaltstricks sich der Mangel strecken lässt. Die beiden gehen offen mit ihrer Armut um, „die Scham muss man überwinden“, finden sie.

Der Burger müsste 22 Euro kosten

Im August sollte „Bochum Kulinarisch“ nach drei Jahren zurückkehren. Doch schon im März kam die Absage – nicht wegen Corona, sondern wegen der steigenden Preise und „absoluter Unplanbarkeit“, bedauerte die Wirtegemeinschaft. Die Preisspirale hat sich seither rasant weitergedreht. Die Bochumer Sportbar „Three Sixty“ macht für uns eine detaillierte Krisen-Rechnung auf. Das Ergebnis vorweg: Der „Bacon & Cheese Burger“ mit Pommes müsste 22 Euro kosten statt 16,90 Euro, sagt Geschäftsführer Tobias Fries (45). Dabei ist der Preis bereits im Mai von 14,90 Euro erhöht worden.

Tobias Fries, einer der Geschäftsführer der Sportsbar Three Sixty in Bochum.
Tobias Fries, einer der Geschäftsführer der Sportsbar Three Sixty in Bochum. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Die Zwiebeln treiben bei der Kalkulation die Tränen in die Augen. Mit 130 Prozent Aufschlag rangiert das Wurzelgemüse ganz oben auf der Liste der Preistreiber, gefolgt von Tomaten (114), Rindfleisch (57), dem Bacon-Speck (43), Mayonnaise (40) und Gurken (32). Die Vergleichszahlen stammen vom Juli 2021. Saftig fallen auch die Aufschläge beim Käse (21 Prozent) und Ketchup (13 Prozent) aus. Unverändert blieben die Ausgaben für den Salat. Anders als bei den Pommes, ein Plus von 19 Prozent verzeichnet Fries. „Für Rapsöl zahlen wir jetzt drei Euro pro Liter. Vor Kurzem waren es 1,80 Euro.“

Dabei sei man als Platzhirsch noch gut bedient. „Unsere langjährigen Lieferanten geben die Preiserhöhungen längst nicht eins zu eins an uns weiter“, sagt Fries. Angesichts nicht mehr funktionierender Lieferketten durch Krieg und Corona müsse man zudem froh sein, überhaupt alle benötigten Produkte zu erhalten. „Da gab’s zuletzt manche Engpässe.“ Beispiellos ist die Entwicklung der Energiekosten. „Beim Strom sind es 82 Prozent. Beim Gas warten wir noch auf konkrete Zahlen der Stadtwerke, rechnen aber mit einer Verdreifachung“.

Das „Three Sixty“ ist so etwas wie die Burger-Hochburg des Bermudadreiecks. Gut die Hälfte des Speise-Umsatzes werde mit Burgern generiert, sagt Fries. Wenden sich bereits Gäste ab? Die Umsätze seien „schwankend, aber weitgehend stabil“, berichtet Fries. Gerade an den Wochenenden läuft’s weiterhin gut. „Die Leute wissen ja, was los ist.“ Ob der Gastronomie ein erneuter Überlebenskampf droht, sagt ein Sprecher des Branchenverbands Dehoga, werde „auch davon abhängen, wie sehr uns die Gäste die Treue halten und wie wir durch den Herbst und Winter kommen werden.“

Die Tierheime sind voll

Auch die Tierheime werden gerade in die Zange genommen von Pandemie und Inflation. „Als Corona ausbrach, haben sich immer mehr Menschen ein Tier angeschafft“, sagt Jeanette Gudd, Chefin des Essener Albert-Schweitzer-Tierheims. So sei es jetzt keine Überraschung, dass sich die Zahl der Fundtiere stark erhöhe. Zum einen ist Urlaubszeit, zum anderen wollen wohl auch einige Menschen sparen.

Das glaubt Hildegard Frank-Tüllmann, Vorsitzende der Tierfreunde Bottrop. Sie musste nun einen Aufnahmestopp für das Bottroper Tierheim verkünden. Und auch für die Einrichtung selbst spitze sich die Lage zu: „Stroh, Heu, Einstreu, Kaninchenfutter, alles wird teurer. Bei manchen Produkten kommt es zu Engpässen und langen Wartezeiten. Außerdem haben wir eine Gasheizung….“

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„Enorm erhöht“ habe sich die Zahl der Fundtiere auch in Essen, berichtet Jeanette Gudd. Normalerweise werden im städtischen Tierheim acht bis zehn Fundtiere pro Woche angenommen. „In der ersten Hälfte der Sommerferien waren es mehr als 23 pro Woche.“ In einer Woche gab es Anfragen für zehn Hunde, 20 Katzen und acht Kleintiere. Eine typische Situation: Während die Koffer für den Flug in den Süden gerade gepackt werden, sagen der Nachbar oder die beste Freundin, die das Tier in Pflege nehmen wollten, plötzlich ab. Tierpensionen sind längst ausgebucht oder werden als zu teuer empfunden. „Der Urlaub geht für viele dann leider vor“, sagt Gudd. Dann werden die Vierbeiner, weil oft nicht gechippt, an den nächsten Laternenmast gebunden oder nachts am Tierheim abgestellt.

Oder sie rufen an. In Bottrop sogar aus Nachbarstädten, wo Tierheime ebenfalls stark belastet sind. Eine Verpflichtung, Abgabetiere anzunehmen, gebe es für das Tierheim nicht. „Das ist ein Service unseres Tierheims“, stellt Jeanette Gudd klar. Als städtisches Tierheim sei man hingegen verpflichtet, Not-Inobhutnahmen vorzunehmen oder sichergestellten Tieren ein Dach über dem Kopf zu geben. Abgabetiere dürften nur in der Grillostraße bleiben, wenn das Tierheim ausreichend Platz habe. Aber auch die Vermittlung läuft schleppend. Es sind ja Sommerferien.

Die Bauern verkaufen weniger Qualitätsprodukte

Erdbeer-Selbstpflücker am Hof Umberg in Kirchhellen.
Erdbeer-Selbstpflücker am Hof Umberg in Kirchhellen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

13,3 Prozent weniger Anbaufläche für Erdbeeren zählen Statistiker in NRW für 2022. Auch in Bottrop-Kirchhellen wird weniger angebaut. Das hat Gründe. Wegen steigender Kosten und nicht auskömmlichen Preisen haben die beiden Nachbarn Jörg Umberg und Eberhard Schmücker ihre Anbauflächen für Erdbeeren sehr deutlich zurückgefahren. Es ist ein längerer Prozess. „Wir hatten vor ein paar Jahren noch 40 Prozent mehr Anbaufläche als jetzt“, sagt Umberg. Aber die Inflation verschärft die Lage.

Dabei sei das Wetter durchaus erdbeerfreundlich gewesen, im Vergleich zum Dauerregen im vergangenen Jahr. So konnte die Ernte in Kirchhellen schon Mitte April beginnen. Doch dann tauchten im Dorf Verkaufsstände auf, die Erdbeeren aus Holland verkauften. Natürlich ist der Kostendruck durch den höheren Mindestlohn und die Knappheit an Saisonarbeitskräften durch den Angriffskrieg in der Ukraine gestiegen. Aber was den Erzeugern wirklich den Hut hochgehen lässt, ist die Einkaufspolitik der großen Supermarktketten.

Umberg formuliert es zurückhaltend: „Ein zunehmender Anteil unserer Kunden ist nicht mehr gewillt, regionale Erzeuger zu berücksichtigen. Das hat natürlich Konsequenzen für unseren Anbau.“ Viele Ketten werben zwar mit der Regionalität ihrer Produkte, stellen aber dennoch zur Erntezeit günstigere Ware mit größerem CO2-Fußabdruck aus Portugal und Marokko auf die Verkaufstheken und verderben den regionalen Erzeugern so die Preise.

Andererseits schont das die Verbraucher. Denn viele müssen sparen, und das tun sie offenbar auch bei Bioprodukten, ist zum Beispiel Bauer Dirk Gelbrich aus Sprockhövel aufgefallen: Im Vergleich zum Absatz der vorigen Jahre habe er in dieser Saison nur die Hälfte an gepflückten Erdbeeren verkauft. Seine Meinung: „Wenn alles teurer geworden ist, spart der deutsche Verbraucher nicht an der Urlaubsreise, sondern zuerst an den Lebensmitteln.“ Im kommenden Jahr werde er dennoch die Preise erhöhen müssen. Sollte der Verbraucher das nicht akzeptieren, „hören wir auf“.