Dortmund. Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt aus Dortmund erzählen von Gewalt in ihrem Alltag: wie Bürger spucken, schlagen und treten.
Sie zeigen inzwischen alles an, aber da können sie beibleiben: „Keine Woche“, sagt Maria Frenking, „in der wir keine Anzeige erstatten wegen Widerstands, Körperverletzung, Bedrohung.“ Kein Tag, sagt Anja Kanis, „an dem wir nicht irgendeiner Gefahr ausgeliefert sind“. Die beiden Frauen arbeiten für die Stadt. Und es geht ihnen wie Polizisten, Feuerwehrleuten, Rettungs- und Ordnungskräften, die überall erleben: Der Respekt wird weniger, die Gewalt mehr – der Bürger schimpft und spuckt, tritt und schlägt. Eine Ausstellung zeigt jetzt, wer das aushalten muss: „Der Mensch dahinter“.
Letzte Woche erst war Anja Kanis mal wieder bei Gericht: Zeugenaussage gegen einen Falschparker. Zweimal hatte er ihre Kollegin bespuckt, die ihn ermahnt hatte, sein Auto wegzustellen aus der Fußgängerzone. Er griff von hinten an, hatte schon vorher gedroht: „Irgendwann steche ich einen von euch ab!“ Und dann waren da noch die Beschimpfungen, „du Schwein“ und so, das erwähnt die 54-Jährige schon gar nicht mehr: „Das Verbale hat immer dazugehört.“ Aber das Körperliche, sagt sie, „das nimmt extrem zu, die Hemmschwelle ist weg“. Eine andere Mitarbeiterin der Verkehrsüberwachung, „Politesse“, sagte man früher, sei neulich „absichtlich angefahren“ worden, außer „unglaublich“ fällt Anja Kanis dazu nicht mehr viel ein.
Hinter der „Hülle“ der Uniform steckt ein Mensch
Maria Frenking weiß von einer Kollegin, die hat Ähnliches bereits zweimal erlebt: „Das Auto hat auf ihrem Fuß geparkt“, sie musste mit schweren Prellungen ins Krankenhaus. Mal abgesehen davon, dass sie natürlich krankgeschrieben war, konnte sie auf ihrer eigenen Verlobungsfeier nicht tanzen. Die Gewalt berührt das Privatleben, sie macht was mit den Menschen; das ist es, was die Ausstellungsmacher sagen wollen und was Dortmund Polizeipräsident meinte bei deren Eröffnung: „Dass hinter der ‚Hülle‘ aus Uniform, Funkgerät, Handfesseln und Schusswaffe ein Mensch steckt“, sagte Gregor Lange, sei eine „wichtige Botschaft“.
Die 24-jährige Frenking trägt keine Schusswaffe, aber zu Funkgerät, Handschuhen, Fesseln und „Reizstoffsprühgerät“ einen Schlagstock, der nicht zum Schlagen da ist, sondern zum Abstandhalten. Und eine Schutzweste, Frenkings nüchterne Erklärung dazu ist vielsagend: „Besser als ein Messer im Bauch.“ Die Frau ist beim Ordnungsdienst! Sie kümmert sich um „allgemeine Gefahrenabwehr“, soll also illegales Müllabladen, Straßenprostitution, Drogenkonsum verhindern helfen. Kürzlich schritten die Kollegen ein beim „Vornehmen einer grob ungehörigen Handlung“: Da hatte sich einer einen Joint gedreht. Folge: wilde Schläge, Tritte, angefeuert aus einer aufgebrachten Menge.
Gewalt gegen Ordnungskräfte „schadet uns allen“
Dass solche Übergriffe zunehmen, wird schon seit Jahren debattiert. Nach einer 2019 veröffentlichten Studie der Ruhruniversität Bochum waren rund zwei Drittel der befragten Brandschützer, Sanitäter und Notärzte schon mindestens einmal Opfer von körperlicher oder verbaler Gewalt – und damals wurden die Kräfte der Ordnungsämter gar nicht gefragt. Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange bestätigt, dass „Kolleginnen und Kollegen im Einsatzalltag immer wieder mit heftigen Widerstandshandlungen zu tun“ haben“, ein Sprecher der Stadt Dortmund weiß von den Mitarbeitern des Ordnungsamts: „Die haben alle Gewalterfahrungen gemacht.“ Die Zunahme von Gewalt gegenüber Rettungskräften und Ordnungsbehörden, forderte Oberbürgermeister Thomas Westphal bei der Vernissage, „dürfen wir nicht hinnehmen, da sie im Endeffekt uns allen schadet. Und vor allem schadet sie den Menschen, die für die Sicherheit und die Werte einstehen“.
„Dreckige Fotze“ und Skateboards als Waffen
Für die Ausstellung mit ihren großformatigen Porträts hat auch Maria Frenking sich fotografieren lassen- – und erzählt, wie sie eingreifen musste, als Jugendliche randalierten, Flaschen warfen, Alkohol tranken und „kurz davor“ waren, ihre Skateboards als Waffen zu gebrauchen. Sie rief Kollegen zur Hilfe, es gab ein Scharmützel, am Ende ist zwar alles gutgegangen. Nur die Beleidigungen haben sich ihr eingebrannt, „dreckige Fotze“ haben sie sie genannt, das sei „sehr, sehr herabwürdigend“ gewesen und war noch nicht alles. Maria Frenking hat inzwischen einen sehr feinfühligen „Gefahrenradar“, sie sagt, „man wird vorsichtiger“. Sie gehen beim Ordnungsdienst grundsätzlich nicht allein unter Frauen los, „Doppel-Hühner-Streife“ nennen sie das, aber es ist eben nicht zum Lachen.
Dass immer ein Mann dabei ist, halten sie bei der Verkehrsüberwachung zunehmend auch so: Wo früher die Frauen in der Mehrheit waren, sind es heute die Männer. Aber auch die sind vor Gewalt nicht gefeit. Der Dortmunder Feuerwehrmann Andreas Helmecke erzählt von einem betrunkenen jungen Mann, der sich erst neben die Brechschale in den Rettungswagen erbrach und dann so heftig um sich schlug, dass Helmecke mit mehreren Prellungen wochenlang ausfiel. Die Einsatzbedingungen seien schlimmer geworden, sagt auch er, „getreten, gebissen, ins Gesicht gespuckt“, alles mehrfach erlebt. „In dem Moment angegriffen zu werden, in dem man seinen Mitmenschen zur Seite steht, ist eine bittere Erfahrung, die einen fassungslos und wütend macht.“
Fast 85.000 Polizeibeamte wurden Opfer von Gewalt – in einem Jahr
Warum das alles so ist? Nicht nur die Betroffenen selbst sind ratlos: „Ich kann nicht verstehen“, sagt Verkehrs-Überwacherin Anja Kanis, „wieso die Leute Feindbilder brauchen.“ Jeder sehe nur sich selbst, besonders, „wenn es ans Geld geht“. Die Aggression sei überall gewachsen, auch in der Erziehung seien mit dem Respekt „wichtige Werte auf der Strecke geblieben“. Corona habe bei vielen am Nervenkostüm gezerrt, vermutet Maria Frenking. Darüber klagen viele Städte im Revier.
Aber das Ausmaß der Gewalt ist ja schon vorher gestiegen, wie Auswertungen auch der Kriminalstatistik ergeben: 2020 wurden demnach 84.831 Polizeibeamte Opfer von Gewalttaten – ein Anstieg um fast sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gegenüber 2012 sogar um 42 Prozent. Und das, obwohl die Bochumer Studie herausfand, dass 30 Prozent der Einsatzkräfte körperliche Übergriffe auf ihre Person nicht einmal melden. Auch eine Befragung durch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ergab vor einem Jahr, „dass Beleidigungen, Beschimpfungen und auch körperliche Übergriffe mittlerweile zum Alltag im Rettungsdienst gehören“.
Betroffene Beamte wollen um Verständnis werben
Dabei, sagt die Dortmunder Polizistin Natascha Hanke, egal ob Feuerwehr, Stadt oder Polizei: „Wir sind nicht nur bloße Uniformträger, die als Prellbock für persönliche Frustrationsbewältigung tätig sind.“ In jeder Uniform stecke „ein Mensch, der sich entschieden hat, einen Teil der individuellen Interessen und Bedürfnisse für gesellschaftlich wichtige Aufgaben zurück zu stellen“. Dafür wollen die Porträtierten um Verständnis werben. Feuerwehrmann Helmecke sagt: „Ich bin ein Mensch und nicht die bezahlte Einsatzkraft, die alles auszuhalten hat.“
>>INFO: DIE WANDER-AUSSTELLUNG
Die Wander-Ausstellung „Der Mensch dahinter“ geht zurück auf eine Idee von Andrea Wommelsdorf. Sie sah im Juni 2020 die Bilder der Ausschreitungen von Stuttgart. Gemeinsam mit Burkard Knöpker, Dirk Reinhardt und der Fotografin Charlotte Beck machte sie sich auf, die Geschichten der Einsatzkräfte zu erzählen, die solche Gewalt aushalten müssen.
Die Schau aus großformatigen Bildern und kurzen Porträts der Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr, Rettungs- und Ordnungskräften ist noch bis zum 6. Juni in der Dortmunder Berswordthalle (altes Rathaus) zu sehen. Danach ist sie zunächst im Westfälischen unterwegs. Im August kommt sie zurück ins Ruhrgebiet: vom 11. August bis zum 2. September werden die Porträts im Rathaus Recklinghausen gezeigt. Mehr Informationen im Netz: www.der-mensch-dahinter.de