Düsseldorf. Ordnungsdienstler in Revierstädten beobachten eine zunehmende Aggressivität. Sie geht auch von Gegnern der Corona-Maßnahmen aus.

Der tödliche Angriff eines Maskenverweigerers auf einen Tankstellen-Kassierer in Idar-Oberstein mag ein Einzelfall sein. Sicherheitskräfte, insbesondere die von Kommunen, leiden allerdings seit Monaten unter einer gestiegenen „Grundaggressivität“, die nicht nur, aber auch von Corona-Extremisten ausgeht.

Am Dienstag belästigte im Dortmunder Hauptbahnhof ein 49-jähriger, der keine Schutzmaske trug, mehrere Reisende. Zwei Mitarbeiter der Deutschen Bahn ermahnten den Mann und forderten ihn auf, den Bahnhof zu verlassen. Der Maskenverweigerer stieß daraufhin laut einer Mitteilung der Bundespolizei einen der Bahn-Mitarbeiter zu Boden. Das 19-jährige Opfer musste sich nach der Attacke von einem Arzt behandeln lassen, den Täter erwartet ein Verfahren wegen Körperverletzung. Mit Situationen wie diesen sehen sich Sicherheitskräfte offenbar immer häufiger konfrontiert.

"Die Grundaggressivität nimmt zu"

„Es ist leider zu verzeichnen, dass die Grundaggressivität gegenüber Einsatzkräften des Ordnungsamtes steigt“, sagte ein Sprecher der Stadt Dortmund auf Nachfrage dieser Redaktion. Mit gewalttätigen Zeitgenossen hätten es die Kräfte des Ordnungsamtes nicht nur bei der Kontrolle der Corona-Maßnahmen, sondern auch bei „Routinekontrollen, zum Beispiel bei der Verkehrsüberwachung“ zu tun. Die Aggressivität habe im August 2021 während einer Bombenentschärfung am Schwanenwall ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Während der Evakuierung von Anwohnern wurde ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes schwer, ein zweiter „erheblich“ verletzt.

In Gelsenkirchen kündigte Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) die Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) von 50 auf 100 Kräfte an – eine Reaktion auf Beschwerden über Müll, Respektlosigkeiten und Regelverstöße in verschiedenen Teilen der Stadt. In Dortmund widersetzten sich am Wochenende Dutzende Jugendliche der Polizei, die Anwohner wegen einer Ruhestörung gerufen hatten. Polizisten wurden beleidigt, mit Flaschen beworfen, setzten Stöcke und Tränengas ein. Ein Zusammenhang zu Corona-Maßnahmen habe es hier aber nicht gegeben, versicherte eine Sprecherin der Dortmunder Polizei.

Manchmal spenden Bürgerinnen und Bürger auch Lob

Welche Hintergründe die Gewalt auch haben mag, „die Grundaggressivität ist gestiegen“, erklärt auch eine Sprecherin der Stadt Bochum gegenüber dieser Redaktion. Verbalattacken und Beleidigungen gehörten leider zum Tagesgeschäft der Ordnungsdienstler, insbesondere bei Corona-Kontrollen. Im „normalen Präsenzdienst“ auf der Straße gebe es auch freundliche Gespräche mir Bürgerinnen und Bürgern. „Sie sprechen auch mal – wenn auch selten – ein Lob für den Einsatz und die Arbeit des Ordnungsamtes aus.“

In Essen sind Polizei, Ordnungs-, Feuerwehr- und Rettungskräfte ebenfalls aggressivem Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern ausgesetzt, heißt es in dieser Revierstadt. „Die Fälle und Gründe sind sehr unterschiedlichen. Allen einher geht aber eine Respektlosigkeit gegenüber staatlichen Behörden und Institutionen einher“, so eine Sprecherin der Stadt.

"Querdenker"-Szene macht Probleme

Insbesondere während der Corona-Pandemie habe es sich gezeigt, dass das Verhalten gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ordnungsamtes aggressiver geworden sei. „Dies hat sicherlich auch mit dem individuellen Stress zu tun, dem die Bürgerinnen und Bürger während der durchaus einschränkenden Corona-Schutzmaßnahmen zu tun“, so die Essener Pressestelle.

Auch bei Demonstrationen oder Veranstaltungen aus der sogenannten Querdenker-Szene gebe es in Essen immer wieder aggressive Ansprachen und Diskussionen, nicht nur den Ordnungsamts-Kräften gegenüber, sondern in mindestens einem Fall auch gegenüber Mitarbeitern des Gesundheitsamtes in einem Corona-Info-Mobil.

Ein Sprecher der Stadt Duisburg sagte: "Die Streitlust der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Einsatzkräften des Bürger- und Ordnungsamtes ist ähnlich hoch wie im vergangenen Jahr, nicht nur in Bezug auf Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Schutzverordnung." In diesem Jahr seien bereits 13 Strafanzeigen gegenüber aggressiven Personen eingeleitet worden. "Zusätzlich wird von den Einsatzkräften immer wieder berichtet, dass sich auch vermehrt unbeteiligte Personen in Maßnahmen einmischen."

Gewaltforscher Zick fordert eine bessere Konfliktschulung vor Ort

Der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick beobachtet mit Sorge eine wachsende Radikalisierung der Corona-Proteste. Daher sei es wichtig, schon bei den ersten Anzeichen zu reagieren. „Wir müssen die Hinweise und Anzeichen von Gewalt sehr ernst nehmen. Vor Ort brauchen Kommunen und jene, die sich mit den Protesten auseinandersetzen, eine gute Konfliktschulung“, so Zick.

In der Vergangenheit habe es nach den islamistischen Terroranschlägen bereits Fortschritte gegeben, erklärt der Forscher. „Die Risikobewertung von Gruppen und Personen in sozialen Medien, in radikalen Gruppen hat sich verbessert. Die Bildungsformate zu Radikalisierung und Extremismus haben zugenommen. Diese Pakete brauchen wir jetzt für neue extremistische Gruppen, die sich in einer Zeit, in der sich so viel in der Gesellschaft verändert hat - ich rede von der Corona-Pandemie mit all ihren Regeln und Eingriffen - gebildet haben.“