Gladbeck. Die tödlichen Schüsse auf Polizisten in Kusel bewegen auch Kollegen in Gladbeck. Das sagen Experten über tätliche Angriffe auf Einsatzkräfte.
Die tödlichen Schüsse auf eine 24-jährige Polizeianwärterin und einen 29-jährigen Oberkommissar in Rheinland-Pfalz bei einer Verkehrskontrolle lassen auch Kollegen im Kreis Recklinghausen nicht unberührt. Schließlich handelte es sich bei diesem tragischen Ereignis ursprünglich um einen Routineeinsatz – der eskalierte. Eine Situation, auf die Menschen im Polizeidienst auf den Straßen immer wieder gefasst sein müssen, sagt Victor Ocansey, Pressesprecher des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) NRW. Und auch sein Kollege im für Gladbeck zuständigen Polizeipräsidium Recklinghausen, Andreas Lesch, stellt fest: Tätliche Angriffe auf Polizeibeamte sind ein Thema, das seit Jahren im Blick steht.
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Die Fallzahlen bewegen sich im Kreisgebiet auf hohem Niveau, so Lesch. Wer Polizeibeamte, Rettungssanitäter oder Gerichtsvollzieher tätlich angreift, muss seit dem Jahr 2017 mit härteren Strafen rechnen, zudem greift seit 2018 der Paragraf „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“, der bereits Störungen beim Einsatz – zum Beispiel von Feuerwehrleuten – ahndet. „Beleidigungen, Bespucken und andere Respektlosigkeiten sind dabei noch nicht einmal berücksichtigt“, erläutert Lesch.
Polizeisprecher: „Die Zahlen stehen auf einem zu hohen Plateau“
Die Gesetzesverschärfung hat zur Folge, dass die Daten aus den Jahren zuvor nicht mit denen ab 2018 vergleichbar sind. Lesch: „Seinerzeit hatten wir 330 reine Tätlichkeiten.“ 2019 waren es 328, 2020 noch 282. Und auch für die jetzt zurückliegenden zwölf Monate rechnet Lesch mit einer Fortsetzung der sinkenden Tendenz. Also alles in allem gut? Mitnichten. Lesch betont: „Die Zahlen stehen auf einem zu hohen Plateau.“
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In der Statistik 2018 sind gut 400 Fälle aktiven Widerstands, tätlichen Angriffs und Beleidigungen aufgeführt. Laut Andreas Wilming-Weber, Leiter der Pressestelle in der Polizeibehörde Recklinghausen, seien „Kollegen vielen Beleidigungen ausgesetzt, werden angespuckt, es kommt zu Körperverletzungen.“ Die Zahl der Beamten, die im Dienst Verletzungen davontragen, steige seit einiger Zeit kontinuierlich. Wilming-Weber: „Jedes Jahr mehr verletzte Polizeibeamte – diese Entwicklung spricht für sich. Die Dimensionen haben zugenommen.“ Das sei für „die Kollegen sehr belastend“.
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Eine Bluttat wie die in der Nähe von Kusel geht Polizeiangehörigen verständlicherweise noch einmal ungleich näher. Victor Ocansey: „Der Fall zeigt einmal mehr, wie gefahrenvoll ein Routineeinsatz sein kann. Man weiß nicht, mit wem man es bei seinem Gegenüber zu tun hat.“ Aber: „Verkehrskontrollen gehören zum Alltagsgeschäft. Sie sind das Szenario, das in der dreijährigen Ausbildung am meisten trainiert wird.“ Ein anderes Beispiel für eine vermeintlich übersichtliche Situation, die eskalieren kann: der Bereich häusliche Gewalt. Wer weiß schon, ab der Täter nicht vielleicht alkoholisiert ist und zu einem Messer greift...?
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„Polizistinnen und Polizisten müssen oftmals in Sekundenschnelle schwerwiegende Entscheidungen treffen und ihre Position und Kommunikation der jeweiligen Situation fortwährend anpassen. Darauf werden sie im Rahmen der Aus- und Fortbildung sehr intensiv vorbereitet“, berichtet Ocansey. Trainiert werde in den berufspraktischen Themengebieten Schießen/Nichtschießen und Eingriffstechniken. „Wir setzen Rollenspiele beim Training ein“, berichtet Ocansey.
Das ist geschehen
Eine Polizeianwärterin (24) und ein Oberkommissar (29) wurden am Montagmorgen bei einer Verkehrskontrolle in der Nähe der pfälzischen Stadt Kusel erschossen. Zunächst waren die zwei Tatverdächtigen (32/38) auf der Flucht. Sie wurden jedoch am Nachmittag festgenommen.
Nach bisherigen polizeilichen Erkenntnissen wollten die beiden Männer durch den Doppelmord eine vorherige Wilderei verdecken. Die Beamten, die durch Kopfschüsse getötet wurden, sollen im Fahrzeug getötetes Wild entdeckt haben. Die mutmaßlichen Täter sitzen derzeit in Untersuchungshaft.
Der Schusswaffengebrauch „ist immer die ultima ratio, also das letzte zur Verfügung stehende geeignete Mittel“ und stelle die Einsatzkräfte „vor große emotionale, psychische und ethische Herausforderungen“. Die Kollegen kommen „möglicherweise in Grenzbereiche ihrer persönlichen Belastbarkeit“. Hilfe biete die PSU, die Psychosoziale Unterstützung.
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Genau für solche Routine-Szenarien wie eine Verkehrskontrolle müssen die Polizeikräfte gerüstet sein. Ocansey betont: „Ein Polizist muss immer im Hinterkopf haben, dass es von einer Sekunde auf die andere gefährlich werden kann.“