Gelsenkirchen. Polizisten in Gelsenkirchen werden, wie überall im Land, immer wieder Opfer verbaler und körperlicher Gewalt. „Es reicht“, sagen diese Beamten.

Polizisten und Rettungskräfte wurden in Gelsenkirchen in den vergangenen vier Jahren auf annähernd hohem Niveau attackiert, obwohl zahlreiche Großveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie nicht stattfanden. Das geht aus den Zahlen der Gelsenkirchener Polizei und Feuerwehr hervor. Widerstand gegen die Staatsgewalt bereitet den Sicherheitsbehörden zunehmend Sorgen – weswegen Innenminister Herbert Reul (CDU) auf Initiative des Landtags die Kampagne „NRW zeigt Respekt!“ auf den Weg gebracht hat.

In Gelsenkirchen setzt Polizeipräsidentin Britta Zur die Kampagne auf lokaler Ebene fort. Sie hatte 2020 eine Projektgruppe eingerichtet, die sich mit Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte beschäftigt, deren Ergebnisse sie nun vorstellte. Jetzt freut sich Zur „dieses wichtige gesellschaftliche Thema“, das ihr eine „Herzensangelegenheit“ ist, einmal mehr ins Bewusstsein der Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener rufen zu können. Dafür hat ihre Behörde zwei große Plakate anfertigen lassen, von denen jeweils eins an den Polizeiwachen im Süden (Wildenbruchplatz) und eines außen am Präsidium in Buer hängt. Darauf zu sehen sind Polizeikommissar Florian Mühlenbrock, Kriminaloberkommissar Manuel Assmuth und Polizeioberkommissarin Julia Ryss. Die drei stehen stellvertretend für die vielen Beamtinnen Beamten, die immer wieder Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt sein - insbesondere im Nachtdienst.

Für Polizeipräsidentin Britta Zur ist das Engagement gegen Gewalt gegen Einsatzkräfte eine „Herzensangelegenheit“.
Für Polizeipräsidentin Britta Zur ist das Engagement gegen Gewalt gegen Einsatzkräfte eine „Herzensangelegenheit“. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Nur eine dauerhafte und nachhaltige Strafverfolgung kann dazu führen, Täter abzuschrecken und Kolleginnen und Kollegen den nötigen Respekt zu verschaffen“, betont Polizeipräsidentin Britta Zur, die sich schon früher als Staatsanwältin im Kampf gegen Gewalt gegen Einsatzkräfte einen Namen gemacht hat.

„Gewalttätige Übergriffe gehören inzwischen zum Tagesgeschäft“, hatte Reul erst kürzlich noch in einem Gastbeitrag in der Zeitung „Welt“ geschrieben. Demnach wurden „laut einer Statistik des Bundeskriminalamts 2020 fast 85.000 Polizistinnen und Polizisten Opfer von Gewalt“.

Die Grafik veranschaulicht die Übergriffe auf Einsatzkräfte der Polizei Gelsenkirchen
Die Grafik veranschaulicht die Übergriffe auf Einsatzkräfte der Polizei Gelsenkirchen © funkegrafik nrw | Pascal Behning Marc Büttner

Gelsenkirchener Polizei: Im Schnitt 173 Kräfte Opfer von Übergriffen pro Jahr

Auch in Gelsenkirchen hält sich die Zahl der Übergriffe auf einem hohen Niveau, wie die Zahlen der Gelsenkirchener Polizei (siehe Grafik) zeigen. Im Schnitt wurden in den vergangenen vier Jahren 173 Polizistinnen und Polizisten Opfer solcher Übergriffe. Gemittelt macht das 361 Opfer pro Jahr bei den Einsatzkräften.

Britta Zur zitiert aus einer Umfrage ihrer Behörde, wonach 73 Prozent der befragten Polizistinnen und Polizisten angab, in den vergangenen fünf Jahren Gewalterfahrungen gemacht zu haben. Darunter gaben 27 Prozent an, verbal attackiert worden zu sein und 14 Prozent hätten in den vergangenen fünf Jahren oft oder sehr oft körperliche Gewalt erfahren. „Jede einzelne Tat ist eine zu viel“, unterstreicht Zur diese Zahlen und begründet die neue Plakat-Kampagne.

Das Spektrum reicht dabei von bespuckt, beschimpft, beleidigt bis hin zu gewalttätigen Angriffen mit Schlägen, Tritten und Bissen. „2019 waren in zwei Fällen sogar Messer als Tatmittel erfasst“, wie Polizeisprecher Matthias Büscher erklärte.

Versetzungs- oder Entlassungswünsche aufgrund eines tätlichen Angriffs oder einer Gewalttat gegen eine Polizeibeamtin oder einen Polizeibeamten sind nach Aussage von Büscher in den vergangenen fünf Jahren nicht bekanntgeworden. Ob und wie viele Polizeikräfte wegen eines Angriffs psychologische Hilfe in Anspruch genommen haben, ist ebenso offen. „Die Erhebung dieser Daten würden gegen das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen verstoßen“, begründete der Polizeisprecher das Vorgehen.

Diese Grafik visualisiert die Übergriffe auf Kräfte der Feuerwehr Gelsenkirchen
Diese Grafik visualisiert die Übergriffe auf Kräfte der Feuerwehr Gelsenkirchen © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Vergleichsweise „gut“ ist die Bilanz der Gelsenkirchener Feuerwehr bei Übergriffen. In den vergangenen vier Jahren sind 22 Einsatzkräfte attackiert worden, fünf davon waren Frauen. Auch hier beginnt der Widerstand „mit Beleidigungen oder Spuckattacken“, sagte Feuerwehrsprecher Carsten Jost. Es endet bei Schlägen und Tritten oder Angriffen mit Gegenständen, „also beispielsweise mit einem Knüppel“. Waffen, so der Sprecher, seien zum Glück noch nicht gegen seine Kolleginnen und Kollegen eingesetzt worden.

Staatsanwaltschaft Essen: Sanktionsquote bei Übergriffen liegt bei knapp 80 Prozent

Die Übergriffe auf Vollzugsbeamte (Polizei, Gerichtsvollzieher, Zoll, Ordnungsamt...) und Rettungskräfte (Feuerwehr, Sanitäter etc.) bleiben nicht ungesühnt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Essen, neben Gelsenkirchen auch noch für acht weitere Städte und Gemeinden zuständig, lag „die Sanktionsquote der vergangenen drei Jahre bei knapp 80 Prozent“.

„Im vergangenen Jahr sind 770 Verfahren eingegangen“ aufgrund solcher Taten, wie Oberstaatsanwältin Anette Milk erklärte. Über Vorwürfe gegen 774 beschuldigte Personen sei eine Sachentscheidung zu treffen gewesen.

In 362 Fällen wurden der Staatsanwaltschaft zufolge Anklage erhoben. 83 Strafbefehle wurden beantragt und in 61 Fällen ist das Verfahren zum Stichtag noch nicht abgeschlossen. Eingestellt gegen Zahlung einer Geldauflage oder Arbeitsstunden wurden 13 Verfahren. Dazu kommen noch 183 endgültig und 75 vorläufig eingestellte (meist wegen unbekannten Aufenthaltes) Verfahren.