Essen. Künstliche Intelligenz, Eier im Tetrapack und viel Musik: Die Messe „Altenpflege“ zeigt, wie moderne Hilfsmittel Arbeit und Leben erleichtern.

Stationär oder ambulant? Sie fragen das in Essen gerade jeden, bevor sie noch guten Tag gesagt haben – so wie man sonst nach dem Kaffee fragt: Milch oder Zucker? In der Messe läuft die „Altenpflege 2022“, die Leitmesse für Pflegewirtschaft ist zum ersten Mal im Ruhrgebiet zu Gast und will bleiben. 500 Aussteller zeigen: Vieles von dem, was die Probleme der Pflege lösen helfen könnte, gibt es längst zu kaufen. Wenn denn das Geld da wäre.

Elvis lebt. Er wird in Zukunft übernehmen von Peter Alexander, Heinz Rühmann oder Romy Schneider, „die Generation geht ja langsam weg“, ahnt der Ergotherapeut Jörg Hauswald. Doch eine Altenpflegerin aus Oberhausen widerspricht: „Ich betreue die noch!“ Die alten Menschen, manche dement, deren Geist wieder wach wird, wenn sie die alten Lieder hören, deren Erinnerung tanzt beim „Weißen Rössl“ oder der „Piroschka“. Hauswald hat aus alten Filmplakaten ein Memory-Spiel gemacht, er hängt in Altenheimen Poster auf gemeinsam mit den Bewohnern, es sei ja bewiesen: „Musik stimuliert das Herz-Kreislauf-System und schenkt soziale Geborgenheit.“

Pflegefachkräfte, Pflegedienstleister, Praktikanten, Azubis, Helferinnen: Die Besucher der Messe „Altenpflege 2022“ sollen sich informieren über die neuesten Hilfsmittel auf dem Markt – und sich untereinander vernetzen.
Pflegefachkräfte, Pflegedienstleister, Praktikanten, Azubis, Helferinnen: Die Besucher der Messe „Altenpflege 2022“ sollen sich informieren über die neuesten Hilfsmittel auf dem Markt – und sich untereinander vernetzen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Auch in der Altenpflege kommt die Digitalisierung

Der Therapeut hat einen sehr bunten Stand in Halle 7, viele andere bemühen sich, lebendig aussehen zu lassen, was bloß Computertechnik ist. Es geht auf dieser Messe ja darum, den Pflegenden die Pflege leichter zu machen, und dabei hilft viel Künstliche Intelligenz. Impfplan, Dienstplan, Medikamentenplan, die digitale Patientenakte, das Patientenprofil im Krankenhaus: Josef, Elfriede, Marianne oder Erwin heißen die Mustermanns der Anbieter, der Rechner weiß alles über sie. Arzt, Risiken, Wunde, Planung, Josef zum Beispiel bekommt lauter Medizin mit -ol am Ende, daneben ist er „kommunikativ und gern in Gesellschaft“ – da weiß das Personal doch, was es an ihm hat.

An diesem Personal steht in Essen dran, wer sie sind: „Altenpflegerin“, „Pflegedienstleitung“, „Praktikant“, „Wohnberatung“. Noah und Sebastian sind „angehende Pflegefachmänner“ und aus Duderstadt gekommen: Klassenfahrt des zweiten Jahrgangs, ihre Rucksäcke sind schon voll mit Werbegeschenken, und gerade haben sie „ein Ei im Tetrapack gegessen“. Es war püriert für Menschen, die Kau- und Schluckbeschwerden haben, Noah (22) findet, „es war besser als ich dachte“. Beide sagen, sie gehen in den Beruf, weil sie „nah bei den Menschen sein wollen“, Noah, weil er „etwas zurückgeben“ will. Nach einer Stunde ist für sie eine neuartige Bettpfanne der Hit: Sie ist aus Pappe, „die klebt nicht fest und macht keine roten Druckstellen“. In Sichtweite steht ein Vertreter, der eine Art Windel, die natürlich Vorlage heißt, über seine Jeans gezogen hat.

„Pflege hat nicht nur mit Körperflüssigkeiten zu tun, sondern mit Leben“

„Wiege“, englisch „Cradle“, nennen die Erfinder das Holzei, das auf Berührung mit Musik reagiert.
„Wiege“, englisch „Cradle“, nennen die Erfinder das Holzei, das auf Berührung mit Musik reagiert. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Dabei ist das alles nicht zum Lachen, und Claudia Moll als Pflegebeauftragte der Bundesregierung hat bei der Messe-Eröffnung gesagt, Pflege habe „nicht nur mit Körperflüssigkeiten zu tun, sondern mit Leben“. Es gibt viel Applaus dafür, wie auch für den Satz, man dürfe das Thema „nicht immer nur schlecht reden, das ist es nicht“. Es zieht in diesem Moment eine kleine Demo vorbei, junge Leute in Schutzanzügen, sie tragen Transparente: „Seit Monaten kein Wochenende frei?“ „Die Hochzeit der Schwester verpasst?“ „Fair ist anders“, aber es ist nicht politisch gemeint, sondern eine Werbung für einen „Ausfallmanager“.

Der „Heroplan“ wirbt mit weinenden „Helden“ und erschöpften Pflegerinnen; kein Wunder, dass ganze Gruppen von Fachkräften sich in ein aufblasbares Einhorn werfen: Mit dem Foto davon kann man „42 Tage Urlaub“ gewinnen. Susanne steht gerade „echt glücklich“ von einem Rückenkissen auf, sie ist mitten auf dieser Messe plötzlich „herrlich entspannt“. Ihr Alltag ist der einer Pflegehelferin in einer Demenz-WG, zurückgekehrt nach 18 Jahren in einen Beruf, den sie nicht wiedererkennt: „Ich bin hoffnungslos überfordert.“ Sie hat frei bekommen für die „Altenpflege“, zu sehen, was sich alles verändert hat und neue Ideen zu sammeln.

Dienstkleidung in Pink und Apfelgrün

Und davon gibt es so viele! Rollstühle mit Ecken in den Rädern, dass man sie unter den Tisch schieben kann, Desinfektionsspender, „Sackkarren“, die nach Zauberern heißen und nur mit Gewichtsverlagerung Menschen aus Stühlen und Betten hieven. Waschmaschinen und Mangeln, Blistersysteme, um Tabletten zu sortieren. Massagestühle, Nackenkissen, Dienstkleidung, die mehr ist als nur weiße Kittel: schicke Shirts in Apfelgrün, Orange und Pink. Hochkalorische Trinknahrung, Tablett-Roboter mit Katzengesicht, Schaukelstühle mit Musik, Brei gewordenes Käse-Toastie und Staubsauger. „Das ist kein Spielzeug“, mahnt der Vertreter, „er hat eine Anleitung in sechs Sprachen, das ist auch wichtig, wenn Sie mal Ausländer haben“.

Noch bis zum 28. April in Essen: die „Altenpflege 2022“.
Noch bis zum 28. April in Essen: die „Altenpflege 2022“. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Vieles ist Spielerei im besten Sinne, die Zaubertafel, der Plaudertisch, die virtuelle Brille „Granny Version“ (Deutsch: für Omas), die Menschen zum Sprechen und Reisen bringen, die beides nicht mehr können. „Sunken identity“, erklärt Ger Schuivens die Welt fortgeschritten Demenzerkrankter, „versunkene Identität“ sei ein großes Problem, die Isolation derer, die sich nicht erinnern können. Sie will er mit einer hölzernen Wiege wecken, die ein 6000 Euro teures Ei ist, das auf Berührung mit Musik reagiert.

Elvis weckt die Erinnerung

Womit man wieder bei Herrn Hauswald wäre mit seinen Rühmann-Plakaten. Fünf Jahre, glaubt er, „hält“ der noch, für die neuen, heute noch jüngeren Alten hat er schon Heino vorbereitet, Elvis eben und „Dick und Doof“. Die Pflegenden der Zukunft, glaubt der Therapeut, gehen auf die ZDF-Hitparade zu. Nur „Heinz Erhardt, der wird bleiben“.

>>INFO: DIE MESSE „ALTENPFLEGE 2022“

Noch bis Donnerstag, 28. April, läuft die Leitmesse in Essens Messehallen. Die Veranstaltung kommt aus Hannover, wird künftig im zweijährigen Wechsel mit Nürnberg ins Ruhrgebiet kommen. 500 Aussteller auf 12.000 Quadratmetern, zusätzlich Kongress und Vorträge. Täglich von 9 bis 17 Uhr, Tageskarte 15 Euro. www.altenpflege-messe.de