Essen. Indeed-Studie: Weil Pflegekräfte immer rarer werden, türmen sich die Jobangebote. In Gelsenkirchen dreimal so viele freie Stellen wie vor Corona.
Der Mangel an Pflegekräften hat sich in den Großstädten während der Corona-Pandemie dramatisch verschärft, zeigen diverse Studien und Statistiken. Die Jobplattform Indeed hat nun die Entwicklung des Stellenmarktes in der Alten- und Krankenpflege in den 40 einwohnerreichsten Städten Deutschlands untersucht. Ein Ergebnis: In Gelsenkirchen hat sich die Lage bundesweit am stärksten zugespitzt. Demnach hat sich in der Schalke-Stadt die Zahl der unbesetzten Pflege-Stellen seit Februar 2020 mehr als verdreifacht (+237 Prozent). Das ist der höchste Wert aller untersuchten Städte, geht aus der Studie hervor, die unserer Redaktion vorliegt.
Der so genannte „Pflexit“ macht Kliniken und Altenheimen schwer zu schaffen. Nach Beginn der Pandemie als Corona-Helden gefeiert, wurden Tausenden Fachkräften die durch Corona weiter verschärften Arbeitsbedingungen im Laufe der vergangenen zwei Jahre doch zu viel – etliche Pflegerinnen und Pfleger kehrten der Branche den Rücken und wechselten den Beruf. Eine Entwicklung, die auch Indeed schon vor der Pandemie beobachtet, durch sie aber verstärkt gesehen hat. Das nach eigenen Angaben weltgrößte Jobportal hat pro Monat im Schnitt knapp 900.000 Stellenanzeigen in Deutschland, das liegt etwa im Bereich dessen, was auch der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wird.
Jeden Monat werden 40.000 neue Pflegestellen ausgeschrieben
In der Pflege werden auf dem Portal monatlich 40.000 Stellen neu ausgeschrieben. „Der Jobmarkt in Deutschland ist letztes Jahr regelrecht explodiert – und mit ihm der Fachkräftemangel“, sagt Indeed-Ökonomin Annina Hering. Der Personalbedarf werde hier weiter steigen, weil der demografische Wandel die Branche in die Zange nehme: „Einerseits kommen weniger neue Arbeitskräfte nach als in Rente gehen, andererseits steigt bei einer alternden Gesellschaft der Bedarf an Pflege“, so Hering. Um den Beruf attraktiver zu machen, brauche es eine höhere Bezahlung, bessere personelle Ausstattung der Einrichtungen und mehr Aufstiegs- und Weiterbildungschancen.
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In Gelsenkirchen kommt bereits jede zehnte neu ausgeschriebene Stelle aus der Pflege, und da es lange dauert, sie zu besetzen, verschlechtert sich der Engpass zusehends. In Dortmund kommen monatlich 350 offene Pflegestellen hinzu, der Bestand hat sich seit Pandemiebeginn aber „nur“ um 56 Prozent erhöht, in Bochum um 53, in Duisburg um 50 und in Essen um 42 Prozent, das damit als einzige große Ruhrgebietsstadt unter dem Bundesschnitt beim Anstieg offener Pflegestellen von 44 Prozent liegt.
Kliniken und Altenheime suchen monatelang
Laut Indeed blieb jede vierte Pflegestelle 2021 länger als zwei Monate unbesetzt. Die Bundesagentur gibt noch viel längere Zeiten der Fachkräftesuche an: In der Altenpflege dauerte es im Ruhrgebiet zuletzt 180 Tage, eine Stelle zu besetzen, in der Krankenpflege 159 Tage. Der Bundesagentur als öffentlicher Behörde wird etwa jede zweite Stelle gemeldet, die andere Hälfte wird von den Arbeitgebern anderweitig angeboten, etwa mit Anzeigen oder auf Jobseiten wie Indeed, Monster oder Stepstone.
„Es wird immer schwieriger, neue Fachkräfte zu finden. Die Pandemie hat dieses Problem noch vergrößert“, sagt Björn Schulte, er ist Pflegedienstleiter des ambulanten Dienstes Apd in Gelsenkirchen. Dass es laut Bundesagentur zuweilen ein halbes Jahr dauere, Verstärkung zu finden, bestätigt er ebenfalls: „Das ist durchaus realistisch, auch wir brauchen in vielen Fällen Monate, um eine offene Stelle besetzen zu können.“ Eine der unangenehmen Folgen des Personalmangels: „Das führt auch dazu, dass wir bereits Anfragen für unsere ambulante Pflege ablehnen müssen. Für uns steht der Patient im Mittelpunkt. Wir nehmen deshalb nur so viele Aufträge an, wie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch angemessen bewältigen können“, so Schulte.
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Der Indeed-Auswertung zufolge trifft der Mangel die Intensivstationen am härtesten, was auch an der hier besonders gestiegenen Belastung durch Covid-19-Patienten liegen dürfte. Für Intensiv-Krankenpfleger/-innen ausgeschriebene Stellen sind demnach noch deutlich schwerer zu besetzen als Stellen in der Altenpflege. In absoluten Zahlen fehlen die meisten Pflegekräfte in Berlin – in der Hauptstadt werden jeden Monat 2390 neue Pflegestellen ausgeschrieben. Es folgen Hamburg (1410) und München (1150). In NRW werden in diesem Jahrzehnt einer Barmer-Hochrechnung zufolge 230.000 Vollzeitkräfte in der Pflege gebraucht.