Essen. Überlastete Pflegekräfte wechseln zur Zeitarbeit: Sie fehlen der Uniklinik Essen, die wiederum Zeitarbeitskräfte engagiert, um Lücken zu stopfen.

Nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch alle anderen Beschäftigten an den Krankenhäusern seien seit Jahren überlastet, Corona habe die Situation weiter verschärft, sagt Petra Bäumler-Schlackmann, stellvertretende Vorsitzende des Personalrats an der Uniklinik Essen. „Pflegekräfte, die ihren Beruf überwiegend aus idealistischen Gründen ergriffen haben, sind erschöpft und resigniert.“ Viele hätten ihre Arbeitszeit reduziert, um überhaupt Zeit zur Erholung zu haben. Andere wechselten zu Zeitarbeitsfirmen, die nicht nur besser zahlten, sondern verlässlichere Arbeitszeiten böten. Und viele hätten den Beruf aufgegeben. Der ärztliche Direktor der Uniklinik Essen, Prof. Jochen A. Werner, über die Personalsituation an seinem Haus.

Herr Prof. Werner, gibt es seit Beginn der Pandemie eine messbar höhere Fluktuation beim Pflegepersonal? Wechseln Beschäftigte zum Beispiel in die Zeitarbeit?

Prof. Werner: Eine Fluktuation gibt es immer. Über die vergangenen zwei Jahre haben uns etwa 250 Pflegekräfte verlassen. Wir konnten das mit Neueinstellungen mehr als kompensieren, weil wir als Universitätsmedizin ein attraktiver Arbeitgeber sind. Aber mit jedem Weggang einer Pflegekraft geht natürlich immer Wissen und Kompetenz verloren. Der Pflegeberuf steht unter Druck. Unsere Pflegefachpersonen haben Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen verdient. Wir wollen weitere Pflegekräfte einstellen, aber es gibt sie aktuell nicht. Die Zahl der offenen Stellen in der Pflege hat sich bundesweit von 7050 im Jahr 2016 bis auf 22.300 im vergangenen Jahr verdreifacht. Auch deshalb haben wir einen Verteilungskampf, unter dem kleinere Häuser oder auch die Altenpflege mehr leiden als große Häuser. Das ist kein Essener Problem und sicherlich kein gesondertes Problem der Universitätskliniken, es ist ein Problem nationaler Tragweite.

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Aber auch die Uniklinik muss regelmäßig auf Zeitarbeitskräfte zurückgreifen?

Ja, wir haben aktuell bis zu 50 Zeitarbeitskräfte, ohne die beispielsweise unsere Intensivmedizin in dem erforderlich hohen Maße nicht zu betreiben wäre. Andere Krankenhäuser verzichten auf die Einstellung von Zeitarbeitskräften und melden sich aus der Versorgung ab, wenn es um die Aufnahme von Intensivpatienten oder um die Notfallversorgung geht. Ich sehe unsere Funktion als Universitätsmedizin auch darin, die Versorgung schwerstkranker Menschen ständig zu gewährleisten.

Trifft es zu, dass viele Pflegekräfte ihre Arbeitszeit reduzieren, weil die Belastung durch eine Vollzeitstelle zu hoch ist?

„Viele“ ist sicherlich übertrieben, aber jede einzelne Pflegekraft, die diesen Weg geht, ist eine zu viel. Natürlich ist der Drei-Schicht-Betrieb eine besonders hohe Belastung. Deshalb setzen wir auf verschiedene und individualisierte Arbeitszeitmodelle, wann immer es möglich ist. Daneben gibt es auch Pflegekräfte, die ihre Arbeitszeit bei uns reduzieren und mit einem anderen Teil ihrer Arbeitskraft in die Zeitarbeit gehen, weil dort die Arbeitszeiten mitunter planbarer sind, zu besseren Konditionen. Das führt zu einer Disbalance, unter der alle Krankenhäuser leiden. Die zunehmende Zeitarbeit in der Pflege ist Ausdruck eines aus den Fugen geratenen Systems, das mehr Risiken als Chancen bietet. Auch deshalb muss es unser Ziel sein, den Anteil der Zeitarbeit weiter zu reduzieren.