Ruhrgebiet. Im Kino und beim Friseur nur noch Zutritt für Geimpfte? Die 2G-Regel stimmt nun auch Zögerliche um: In NRW wächst die Zahl der Erstimpfungen.

2G kommt – und schickt alle Ungeimpften faktisch nach Hause. Weshalb die Impfquoten nicht nur wegen der vielen Auffrischungsimpfungen derzeit steigen: In den Warteschlangen vor Arztpraxen und Impfbussen stehen zunehmend auch jene, die der Corona-Spritze bisher aus dem Weg gegangen sind. „Aus Gründen“, wie man Neudeutsch so sagt. Der Grund, warum sie nun doch kommen, ist meist der: „Ich darf ja sonst nirgendwo mehr hin.“

So dicht gedrängt stehen die Leute, dass die Ordnungsleute dazwischengehen müssen: „Halten Sie bitte Abstand!“ Bloß, dann wird die Schlange ja noch länger, sie füllt in Dortmund schon die Straße hinterm Fußballmuseum, wo sie am Freitag impfen, sie macht in Duisburg diese riesige Schleife vom Eingang Hauptbahnhof zur Straße und zurück und versperrt in Herne beinahe den Eingang zum „Weihnachtszauber“. Als gäbe es etwas umsonst! Aber es gibt ja wirklich etwas umsonst: die Corona-Schutzimpfung, auf einmal wieder nachgefragt wie zu ihren knappsten Zeiten. Nicht nur von Menschen, die zum dritten Mal dran sind: auch von jenen, die glauben, nun nicht mehr entkommen zu können.

Die meisten Menschen wollen ihre dritte Impfung, immer stehen aber auch für die allererste an. Hier am Fußballmuseum in Dortmund.
Die meisten Menschen wollen ihre dritte Impfung, immer stehen aber auch für die allererste an. Hier am Fußballmuseum in Dortmund. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Ohne Impfung kann ich ja nicht mal mehr zum Friseur“

Robin aus Duisburg hat sich „lange Gedanken gemacht“, eigentlich will er die Spritze nicht. So kurze Zeit, den Impfstoff zu entwickeln, und schon war er auf dem Markt, und dann sollen doch auch schon Leute gestorben sein… Der 32-Jährige ist „kein Verschwörungstheoretiker, an sowas glaube ich nicht“, und doch: „Man weiß ja nicht, was man sich da antut.“ Aber er ist der einzige Ungeimpfte in dem Lager, in dem er arbeitet, wie soll das werden nächste Woche: 3G am Arbeitsplatz, „dann muss ich Tests machen jeden Tag“, und außerdem: „Ohne Impfung kann ich ja nicht mal mehr zum Friseur.“ Aber schon geht die Tür auf zum Impfcontainer, und Robin geht wirklich hinein. „Dann halt lieber impfen“, hat er noch gesagt.

David aus Herne geht das ähnlich, „mein Chef schickt mich“. Etwas nervös steht er vor dem Impfcontainer auf Crange, „richtig überzeugt“ ist er nicht, muss aber als Elektriker zu den Kunden. Und auch privat: „Man kommt ja nirgends mehr rein“, er will auch mal wieder auf Schalke. David, 33, ist einst krank geworden von einer Impfung, auch in seiner Familie sind Menschen, denen es nicht gut ging nach der Spritze. Jetzt aber steht er an, die rote Mappe für „Erstimpfungen“ unterm Arm.

Impfarzt: Der Druck steigt, „Sie hören keine medizinische Begründung“

Es ist viel von „Zwang“ zu hören in den Warteschlangen, Andreas in Herne benutzt das Wort; „wer sich nicht impfen lässt“, gehöre gefühlt zum falschen Teil der „Zwei-Klassen-Gesellschaft“: „Ich komm’ noch nicht mal mehr beim Friseur rein.“ Robin sagt das, der die 2G-Regel für eine Methode hält, „die Menschen anders zu zwingen“. Andreas’ Freundin sagt es auch: „Ich will feiern, ich will Normalität.“ Und immer wieder fällt der Satz: „Man kommt ja nirgends mehr rein sonst.“

Impfarzt Dr. Stephan von Lackum sieht, dass auch in Mülheim die Zahl der Erstimpfungen steigt, seit die 2G-Regel im Raum steht.
Impfarzt Dr. Stephan von Lackum sieht, dass auch in Mülheim die Zahl der Erstimpfungen steigt, seit die 2G-Regel im Raum steht. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Das sei auch einzige Grund für die späte Erstimpfung, beobachtet Mülheims Impfarzt Stephan von Lackum: „Sie hören keine medizinische Begründung.“ Durch den „Druck“, dass schon jetzt und nächste Woche fast überall nur noch Geimpfte und Genese hineinkommen, „ändern die bisher Nicht-Impfbereiten ihre Meinung“. Das mag eine Motivation für die Politik gewesen sein, die jedenfalls wirkt: Die Zahl der Erstimpfungen in Nordrhein-Westfalen steigt. Besonders stark in der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen.

Allein in den Arztpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) ließen sich in der vergangenen Woche mehr als doppelt so viele Menschen zum ersten Mal impfen als in der Woche zuvor: Die Zahl stiegt von 15.400 auf 33.021 an. In allen Ruhrgebiets-Städten der KVNO stiegen die Zahlen im Wochenvergleich deutlich, in Duisburg um 341, in Essen um 627. Allein am Mittwoch wurden 39 Mülheimer nur in den Impfstellen geimpft, am Donnerstag schon 56, in den Praxen von Montag bis Sonntag 333. Der Andrang, sagt Dr. von Lackum, wachse „kontinuierlich“. Auch Oberhausen verzeichnet in bei den niedergelassenen Medizinern einen Anstieg von 129 Erstimpflingen.

Auch die KV Westfalen-Lippe sah schon in der Vorwoche einen Anstieg um mehr als 2000 Erstimpfungen bei ihren niedergelassenen Ärzten, in der Woche bis zum 22. November nun zählten die Arztpraxen bereits 19.705 – ein weiterer Anstieg um fast 4000 Menschen. Der Großteil meldete sich an den Tagen, nachdem aus der Politik die neuen Regelungen durchgesickert waren, die meisten standen am Donnerstag, dem Tag der Berliner Entscheidungen, an: 4624. In Herne zählte Jennifer Metzlaff Anfang der Woche eine Verdoppelung der Erst-Impflinge von 25 auf 50 an nur einem Tag. „Wir freuen uns“, sagt die Leiterin der Koordinierenden Covid-Impfeinheit (KoCi), „über jeden, der kommt.“

Schwangere wagte es nicht, sich impfen zu lassen

Schlangen, wo man hinsieht: hier vor dem wiederbelebten Impfzentrum in Ennepetal.
Schlangen, wo man hinsieht: hier vor dem wiederbelebten Impfzentrum in Ennepetal. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Es kommt in Crange auch Christin mit ihrem Kinderwagen. Ganze vier Tage ist die kleine Sophie darin alt, seit zwei Tagen erst sind die beiden aus dem Krankenhaus entlassen. Eine Impfung während der Schwangerschaft hat die 26-jährige Mutter nicht gewagt, sie hatte schon die gegen Keuchhusten nicht vertragen: „Ich hatte Fieber.“ Nun aber führt sie der erste Weg zur Impfstelle. Es kommt in Bottrop ein junger Mann, dem die hohen Infektionszahlen keine Ruhe mehr lassen. Warum er sich nicht eher für die Spritze entschied? „Ich hatte ein bisschen Schiss.“ Es kommen Menschen, die auf den Weihnachtsmarkt möchten oder doch lieber nicht ins Krankenhaus.

Es kommt Andreas, 56, der bisher „immer gesund“ war und Corona bis heute für „eine schwere Grippe“ hält. Und Ahmad, der gerade 16 geworden ist. Sein Hausarzt impft nicht, sein Patient will eigentlich auch nicht: Bei Ahmad sind es die Eltern, die ihn „gezwungen“ haben. „Ich brauch’ das eigentlich nicht, ich mache einen Schnelltest jeden Tag.“ Nur reicht das nicht mehr fürs Kino, für den Sport, und was ein 16-Jähriger sonst so macht. Also wartet er jetzt hier in Wind und Nieselregen, eine halbe Stunde schon und sicher noch eine weitere ganze. Auch deshalb hat Duisburg seine Impfstelle am Hauptbahnhof erweitert: Seit Samstag gibt es sechs Impfkabinen statt zwei – in einem großen Festzelt.

>>INFO: DIE STÄDTE ERWEITERN IHRE IMPF-ANGEBOTE

Wegen der steigenden Nachfrage, vor allem nach Auffrischungs-Impfungen, stampfen die Städte im Ruhrgebiet immer mehr Angebote aus dem Boden – auch um die Arztpraxen zu unterstützen, die an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Nach Ennepetal will auch Bottrop sein erst im September geschlossenes Impfzentrum reaktivieren, schon jetzt sind die Termine bis Weihnachten vergeben. Auch Gelsenkirchen erklärte am Freitag überraschend, diesen Schritt zu gehen. In Dortmund wird in dieser Woche ein Impfzentrum mitten in der Stadt eröffnet – in der Berswordt-Halle im Alten Rathaus.

Mülheim hat mehrere Impfstraßen auf dem alten Kirmesplatz und in Einkaufscentern eingerichtet, Essen plant neben mobilen Angeboten ebenfalls „Mini-Impfzentren“. Duisburg baut ein Zelt am Hauptbahnhof. Bochum hat weitere kommunale Impfstellen aus dem Boden gestampft, will auch einen kleinen Teil des Ruhr-Congresses erneut nutzen, wo bis Herbstbeginn das Impfzentrum betrieben wurde.

Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch zeigte sich erneut verärgert über die Schließung der Impfzentren: Die Städte hätten im Sommer darauf hingewiesen, dass die Zentren für Menschen ohne Hausarzt und für die Auffrischungsimpfungen gebraucht würden. Man sei vom Gesundheitsminister gezwungen worden, dennoch zu schließen. „Ich habe noch weniger Verständnis dafür, dass er sich jetzt im Herbst wundert, dass sie geschlossen sind.“