Essen. Noch haben viele nicht mal die erste Corona-Impfung intus, da stehen immer mehr zur dritten an. Mit welchem Angebot die Stadt Essen nun reagiert.

Über 600 Impfwillige an einem einzigen Tag in Kray, fast 500 in Werden, gut 300 in Frohnhausen – sind die Ungeimpften über Nacht bekehrt? Der Mix aus Widerstand und Gleichgültigkeit gebrochen? Kommt Essen also „mit Wumms“ aus der Corona-Krise und weg von der seit Wochen nur ausgesprochen zäh steigenden Impf-Quote? Gemach, gemach: Was da derzeit raketengleich zündet, ist vor allem die Zahl all jener, die eine Auffrischungs-Impfung wollen, Spritze Nr. 3, der sogenannte „Booster“. Und die Stadt reagiert.

OB bittet Betriebe um Mithilfe beim Impfen

In einem am Donnerstag verschickten Schreiben hat Oberbürgermeister Thomas Kufen alle Betriebe und Unternehmen in Essen um erneute Mithilfe bei der Impfkampagne gebeten.„Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei“, mahnt der OB und appelliert an die Wirtschaft, sie möge die hausinternen Impfungen wieder aufnehmen – für Erst- und Zweitimpfungen, aber auch für den danach folgenden Impf-„Booster“.Vor allem ein Dutzend große Firmen hatten über ihre Betriebsärzte im Sommer tausende Impfungen abseits des Impfzentrums möglich gemacht.

Nein, ein großes Impfzentrum, wie es 231 Tage lang in Messehalle 4 existierte, wird es wohl nicht mehr geben, auch wenn eine Stadt in Zeiten wie diesen nie „nie“ sagen sollte: „Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die Impfkampagne auf möglichst viele Schultern verteilt wird“, betont Stadt-Sprecherin Silke Lenz, und dazu zählen vor allem die vielen Hausarzt-Praxen im Stadtgebiet.

Die Zahlen täuschen, die Impflücke füllt sich nur schleppend

Dort wird derzeit geimpft, was die Kanülen hergeben: Die vergangene Impfwoche war im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, „die beste seit Schließung der Impfzentren“, betonte ihr Vorstandsvorsitzender Dr. Frank Bergmann am Donnerstag. Zusammen mit den dezentralen Aktionen der Stadt kam Essen da auf insgesamt 8205 Impfungen.

 Mit ihren dezentralen Impfangeboten wie hier auf dem Willy-Brandt-Platz erreichte die Stadt erkennbar viele Essenerinnen und Essener, die für die Impfkampagne sonst nicht zugänglich waren.
 Mit ihren dezentralen Impfangeboten wie hier auf dem Willy-Brandt-Platz erreichte die Stadt erkennbar viele Essenerinnen und Essener, die für die Impfkampagne sonst nicht zugänglich waren. © Stadt Essen | Elke Brochhagen

Doch ein Blick auf die detaillierten Zahlen wirkt ernüchternd: 5613 und damit gut zwei Drittel waren Auffrischungs-Impfungen, mit denen derzeit vor allem ältere Bürgerinnen und Bürger den mit der Zeit schwindenden Schutz vor der heimtückischen Covid 19-Erkrankung wieder aufmöbeln wollten. Für 1558 Personen war es die zweite, die Folge-Impfung, und nur in 1034 Fällen ließen sich Essenerinnen und Essener erstmals immunisieren. Kein Wunder, dass die Impfquote um 72,5 Prozent Erst- und 67,7 Prozent Zweitimpfungen herumdümpelt.

Start der Mini-Impfzentren mit einem Öffnungstag pro Woche

Das reicht nicht, um die Krise in den Griff zu bekommen, heißt es allenthalben, und wenn schon der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Professor Lothar H. Wieler nach eigenem Bekunden „noch nie so beunruhigt war wie jetzt“, kann man den Bürgerinnen und Bürgern nicht verdenken, wenn es ihnen genauso geht.

Um dabei den Druck von den 126 Essener Hausarzt-Praxen zu nehmen, die Corona-Impfungen anbieten – immerhin 109 von ihnen ja auch für praxisfremde Personen – will die Stadt die „Booster“-Angebote bündeln. Neben ständig wechselnden dezentralen Impf-Angeboten in den Stadtteilen und dem Impfbus soll es deshalb zunächst drei zusätzliche feste Standorte geben: Mini-Impfzentren, wenn man so will, wiewohl die ersten zu Beginn nur einmal wöchentlich Impfwilligen die Pforten öffnen.

Im Norden, in der Mitte und im Süden impfen an vier Tagen pro Woche

Dazu gehört die AOK-Zentrale (Friedrich-Ebert-Straße 49), die seit längerem donnerstags von 10 bis 17 Uhr impft und ihren Turnus von zweiwöchentlich auf wöchentlich umgestellt hat. Ab 29. November und von da an wöchentlich bittet auch das Grillo-Theater (Theaterplatz 11) von 15 bis 20 Uhr zum Pieks. Und schließlich gibt es ab 3. Dezember im Wochen-Rhythmus von 14 bis 20 Uhr auch ein Angebot am ehemaligen Marienhospital (Hospitalstraße) in Altenessen.

Damit aber nicht genug: Die Stadt will im Norden, in der Mitte und im Süden des Stadtgebiets jeweils eine weitere stationäre Impfstelle auf Zeit einrichten. Hier sollen dann an vier Tagen in der Woche Erst-, Zweit- und Dritt-Impfungen angeboten werden. In welchem Zeitrahmen ist noch ebenso unklar wie die Orte selbst.

„Wir werden nicht alle, die sich jetzt ,boostern’ wollen, bedienen können“

Bei alledem gilt auch weiter eine Dringlichkeits-Reihenfolge: Sofort geboostert werden laut Verwaltung die Älteren über 70 und all jene, die mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson und AstraZeneca immunisiert wurden. Wer eine sogenannte heterologe Impfung erhielt, also eine Überkreuz-Impfung zweier Impfstoffe (zum Beispiel AstraZeneca und BioNTech), der muss sich wie auch jene, die zweimal mit einem mRNA-Impfstoff (BioNTech oder Moderna) geimpft wurden, an das Zeitschema halten: Um die sechs Monate sollte die zweite Impfung her sein, wobei es allerdings nicht auf den Tag ankommt.

Hält nichts von Impfungen durch Apotheker: Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.
Hält nichts von Impfungen durch Apotheker: Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Wir werden nicht alle, die sich jetzt ,boostern’ wollen, bedienen können“, räumt Dr. Frank Bergmann ein, der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, „da machen wir uns nichts vor“. Umso mehr appelliert er an die Geduld der Bevölkerung – wohl wissend, dass die besonders Ungeduldigen ihren Frust im Zweifel an anderen auslassen: Immer wieder würden Praxis-Teams „beschimpft und aufs Übelste beleidigt oder gar bedroht – das ist ekelhaft“. Da würden, so Bergmann, „Grenzen überschritten, wie wir uns das nicht haben vorstellen können“.

KV-Chef ist gegen Einbindung der Apotheker: „Impfen gehört in die Hand eines Arztes“

Dass sich in der Folge manche Praxen dem Impfen verschließen, glaubt oder besser: hofft die Kassenärztliche Vereinigung vermeiden zu können. Sie will den Druck auch dadurch herausnehmen, dass sie im Advent hilft, offene Impfangebote ohne erforderliche Terminabsprache zu organisieren, auch an Samstagen und Sonntagen.

Den Wiederaufbau von Impfzentren hält die KV dagegen nicht für nötig, und während RKI-Chef Wieler sogar fordert, auch Apotheker beim Impfen einzubeziehen („Jeder Mann und Maus, die impfen kann, soll gefälligst impfen, sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff“), lehnt der KV-Vorsitzende Bergmann dies entschieden ab: „Impfen ist eine medizinische Maßnahme und gehört in die Hand eines Arztes.“