Ruhrgebiet. Nach dem Hochwasser räumt das Ruhrgebiet auf. Mancher hat auch hier sein Zuhause verloren. Was davon blieb, schaffen Containerdienste fort.
Das Wasser ist wieder weg, der Schlamm bleibt. Und der Schmerz. Am Montag räumt das Ruhrgebiet immer noch auf. Die Entsorger fahren Sonderschichten.
Einen roten Eimer hat Nachbarin Heike unterm Arm und am anderen einen schweren Staubsauger. Aber soweit sind sie noch gar nicht am Karrenbergsfeld, gleich wird Heike schleppen statt zu schrubben: verbogene Türblätter, feucht bis zur Klinke, Tische, Schränke, Sessel, alles braun. Die Farben sind gewichen aus Kettwig vor der Brücke, Essen, alles Feuchte ist schmutzig-braun, alles Getrocknete grau. Es ist Montag, vier Tage, nachdem Ruhr und Rinderbach kamen, nicht mal durch die Tür, von unten durch die Rohre: Von „einer Fontäne aus der Toilette“ erzählt Katharina. „Es hat sich angehört wie am Meer.“
Alles kaputt: Möbel, Stofftiere, die Kommunionbibel
Es war der Moment, der sie auf die Straße trieb, bloß weg aus der Wohnung der Mutter im Souterrain. Der Moment, in dem draußen die Feuerwehrleute sagten: „Wir müssen die Häuser aufgeben.“ Dabei hatten sie noch Sand vom Spielplatz geholt, die Supermärkte spendeten Stoffbeutel, sie versuchten es mit Pumpen, aber die waren zu klein. „Wir retten das Schlafzimmer!“, rief eine Nachbarin, aber da war nichts mehr zu retten. Die Feuerwehr winkte ab. „Ein schrecklicher Moment“, sagt Heike. Sie kriegt immer noch Gänsehaut.
Die Wohnung ihrer Freundin Ulla, unten im Souterrain des Mietshauses am Karrenbergsfeld, gibt es nicht mehr. Sie, man muss das so sagen, „ist obdachlos“. Ein einziges Möbel haben sie gerettet, ein paar Unterlagen auch, weil die Mama die immer oben lagerte, als hätte sie etwas geahnt. Tochter Katharina wiederholt es: „Sie hat noch eine Couch.“ Sonst nichts. „Die ganzen Sachen, die man mochte“, muss sie jetzt entsorgen, ihre eigenen Stofftiere, die Kommunionsbibel, die 35-Jährige ist „fassungslos“.
Und sie räumen immer noch. Bei Ulla nebenan reichen sie triefende Bettdecken aus dem Fenster, einen Bademantel, Koffer voller Matsch. Eine Matratze plättet die Hortensien, die tapfer den Kopf oben hielten in all dem Chaos. Aufgereiht am Straßenrand liegen die Haufen, Müll in unter dem Gewicht des Wassers gerissenen Tüten, gut zu unterscheiden, wer Keller verlor, wer Wohnraum. Farbeimer, Blumentöpfe, alte Fliesen, eine Lichtröhre „defekt, Flur“), eine leere Kiste „Chateau du nozet“, das waren einmal Keller. Sofa, Sessel, Bettgestell, ein Sonnenhut aus Stroh, das waren Wohn-, Schlafzimmer, das waren Zuhause.
Familie Schulz sucht ein neues Haus für Kinder und Haustiere
Zuhause wie das der Familie Schulz, wohnhaft eigentlich um die Ecke, die bei „Ebay Kleinanzeigen“ um Hilfe ruft. Zwei Kinder, zwei Katzen, zwei Hunde haben sie und eigentlich ein Haus, aber das stand unter Wasser. Die Schadensliste ist lang, „Bett, Nachtkonsolen, TV, Schränke, Anziehsachen, Bettzeug, Handtücher, Computer, Schreibtisch, Kopierer, Waschmaschine Trockner, Kühlschrank, Gefrierschrank“, in dieser unsortierten Reihenfolge, „alles ist unbrauchbar“. Schulz’, bei denen das dritte Kind unterwegs ist, suchen jetzt ein Haus.
Das alte ist unbewohnbar, der Strom immer noch weg, niemand weiß, ob sie je wieder dort wohnen können. „Wir wissen gerade nicht mehr, was wir tun sollen“, schreibt die Familie, „ob wir überhaupt noch mal da wohnen können („was wir eigentlich gar nicht mehr wollen“). So geht es vielen an der Ruhr, in Kupferdreh auch oder in Mintard, das zu Mülheim gehört: „Wenn man wieder einziehen würde“, sagt Heike, „man hätte ja gar nicht mehr das Vertrauen. Man hat doch Angst, so noch mal zu leben.“
Da stehen sie mit ihren dreckverkrusteten Turnschuhen, in verschlammten Gummistiefeln, pitschnassen Hosen, sie haben keine Zeit, aber dann sprechen sie doch über das „Trauma“. „Diese Hilflosigkeit“, sagt Katharina. „Wenn man dasteht und nichts mehr machen kann“, sagt Heike.
Andere stehen da und gucken nur. Schaulustige kommen vorbei, viele auf Fahrrädern, sie schieben sich genervt zwischen Installateuren und Lastwagen hindurch, die mit schweren Containern in engen Gassen rangieren, sagen: „Guck mal hier!“ und „Scheiße, ey!“ Am Wochenende schon sind sie in Scharen gekommen, auch am Montag fotografieren die Menschen noch Hochwasser-Warnschilder und Absperrungen und drängen sich doch daran vorbei.
Kinder am Ruhrdeich: „Das muss man alles neu machen“
Nicht alles ist Gaffen, viele gucken auch nach dem Wasser, wo keine Menschen sind. Wie schnell die Ruhr wieder in ihr Bett zurück kroch. „Wo ist denn das ganze Wasser hin!?“ Wie rasend sie immer noch strömt. Was da alles schwimmt: Fahrräder, Baumstämme, eine Waschmaschine. Wie der Fluss Weiden umlegte, Schilder, an denen nun noch das Gras der Wiese hängt, in Oberhausen steht nur noch der Riesenbärenklau. Dort leckte die Ruhr bis an die Autobahn 3, und wo eine Wiese war, schwimmen jetzt Enten. Kinder steigen staunend von ihren Rädchen: „Das muss man aber alles neu machen. Die Bäume. Und die Blumen auch.“
Vieles wird die Natur wohl richten, in den Wohnvierteln repariert sich nichts von allein. Noch immer packen sie überall an, in Oberhausen spucken Gartenschläuche Wasser aus Kellerfenstern, das Landgericht Wuppertal ist weiterhin geschlossen, musste für seine wichtigsten Prozesse nach Velbert ziehen.
Und die Container-Dienste fahren Hochbetrieb. In Bochum hat der städtische Entsorger USB fünf große Container an die Ruhr in Dahlhausen gestellt, einen zur DLRG, nur für Treibgut. Alle wurden inzwischen mehrfach geleert. Auch die Entsorgungsbetriebe Essen sind im Sondereinsatz, Mitarbeiter des Containerdienstes packten am Wochenende freiwillig mit an und entsorgten 41 Sperrmüllcontainer – 55 Tonnen Unrat. In Mülheim fährt die MEG in den Stadtteilen, die am schlimmsten von der Überschwemmung betroffen sind, Extratouren, um Sperrmüll und Elektroschrott einzusammeln. In der Innenstadt wird die Promenade von Schlammresten gereinigt.
Eisessen und Rasenmähen: „Das ist wohl das Leben“
Auch in Kettwig kommen am Montag privat bestellte Container an, im Karrenbergsfeld haben sie einen mit 36 Kubikmetern bestellt, und er wird absehbar nicht reichen. Ein Elektro-Installateur fährt vorbei, zum dritten Mal jetzt schon, „einer nach dem anderen“, sagt der Mann am Steuer. Es riecht nach Schlamm, Muff und Öl.
„Man kommt sich vor wie im Krieg“, sagt Heike. Aber auf der anderen Straßenseite, da haben die Menschen Eis gegessen, und dahinten mäht schon wieder jemand Rasen, „das ist wohl das Leben“. Immerhin haben sie in Kettwig ihres noch. Um die Ecke wird gerade eine Baulücke gefüllt, das Projekt heißt „Wohnen am Bach“. Die Arbeiter sägen schon wieder. Die Keller waren ja auch noch leer.
INFO: MEHR ALS 100 STRASSEN GESPERRT
Auch am Montag meldete Straßen.NRW noch fast 30 Sperrungen von Landstraßen und Brücken allein in Essen, Mülheim, Witten, Hattingen, Wetter und dem Märkischen Kreis. An die 80 Straßen sind im Hochsauerland und in der Eifel nicht befahrbar, Autobahnen nicht eingerechnet.