Hattingen. Beim Alarm am Tag der Flut wurde es dramatisch. Jetzt geht es auf dem Campingplatz Freizeitdomizil in Hattingen ans Aufräumen. Das ist die Lage.

„Genieße den Sonnenschein“, steht auf Englisch auf dem T-Shirt von Annemarie Dippel, die mitten im nassen Chaos ihres kleinen Hauses auf dem Campingplatz „Freizeitdomizil Ruhrtal“ an der Isenbergstraße steht. Was 22 Jahre lang ihr romantischer Wohnort war, ist verwüstet. Wie hoch das Wasser stand, ist überall zu sehen. Die braune Brühe hat ihre Markierungen hinterlassen.

„Ich hab’ den Krieg noch erlebt, ich hab’ Corona erlebt und jetzt das hier. Aber anderen geht es ja noch viel schlimmer, ich will positiv in die Zukunft gucken“, sagt sie. Und kann dann doch die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Raus, raus, raus aus der Anlage

Der Anruf kam am Donnerstagmorgen gegen sechs Uhr. „Raus, raus, raus aus der Anlage, das Wasser steigt“, wurde sie informiert. „Wir haben über Social Media die Bommel-Gruppe, über die haben wir uns gegenseitig informiert“, schildert Tochter Tina Dippel die dramatischen Minuten, als es wirklich knapp wurde. Mama Annemarie raffte in aller Eile einige wichtige Sachen zusammen und verließ fluchtartig ihre vier Wände.

Annemarie Dippel wohnt seit mehr als 20 Jahren im Freizeitdomizil Ruhrtal - und ist fassungslos.
Annemarie Dippel wohnt seit mehr als 20 Jahren im Freizeitdomizil Ruhrtal - und ist fassungslos. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Versichert sei der Schaden nicht, weil keine Versicherung in dem Gebiet neben der Ruhr die Werte versichere. Im Garten und auf der Terrasse sieht es aus wie auf einem Trödelmarkt. Nur völlig chaotisch.

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Lampen, Kaffeekannen, Tassen, Flaschen, Farben, Mittel gegen Grünbelag – der ganze Hausrat liegt der 79-Jährigen zu Füßen. Allerdings draußen. Kühlschrank und Kühltruhe, die in einem kleinen Schuppen im Garten standen, schwammen quasi Kiel oben. „Das Wasser drückte mit solcher Macht durch die Türe, dass sich die schweren Maschinen einfach umgedreht wurden.“

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Erst muss der Holzboden trocknen

Die hübschen Sommerblumen sind mit einer dicken grau-gelben Schicht überzogen. So, als hätte sich Frau Holle vergriffen und einen Eimer Saharastaub ausgeschüttelt. Die triefend nassen Teppiche liegen längst an der Seite des Häuschens, vorerst muss der Holzboden trocknen. „Da darf man aber kein Entfeuchtungsgerät aufstellen, die Böden müssen alleine trocknen, hat ein Experte erklärt“, berichtet Annemarie Dippel.

Das Bad von Sabine Bruns ist zerstört. Die Flut hat das Freizeitdomizil Ruhrtal hart getroffen.
Das Bad von Sabine Bruns ist zerstört. Die Flut hat das Freizeitdomizil Ruhrtal hart getroffen. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Ein Trost: Sie hat ganz viele Helfer. Auch Menschen, die sie überhaupt nicht kennt, stehen ihr zur Seite. Tochter Tina aus Essen war sofort zur Stelle und deren Sohn, der im Ensemble des Theaters „Studiobühne“ in Essen-Kray ist, machte in der Gruppe mobil, um Oma zu helfen.

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Um es kamen tatsächlich viele, die mit anpackten. „Ich hab’ ja noch Glück gehabt“, sagt die 79-Jährige, die zurzeit bei Tochter Tina in Essen wohnt. Den Satz kann man nur nachvollziehen, wenn man einen Blick in die vier Wände ihrer anderen Tochter Sabine Bruns wirft.

Das Hochwasser hat alles geschluckt

Die wohnt im Freizeitdomizil nur einige Häuschen weiter. Da steht kein Stein mehr auf dem anderen. Besser gesagt: Es liegt keine Holzbohle mehr da, wo sie hingehört. Das Hochwasser hat alles geschluckt, was im Haus stand. Es ist absolut unbewohnbar.

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Da in der gesamten Anlage seit Tagen kein Strom vorhanden ist, wohnt Sabine Bruns jetzt mit ihrem Mann im Wohnmobil, das zum Glück weiter entfernt und höher stand. Sie hatten gehofft, an der Feuerwache Strom zu bekommen. „Das wurde uns aber wegen Corona verweigert. Und der Krisenstab der Stadt war übers Wochenende nicht zu erreichen.“