Gelsenkirchen. Aus Damaskus nach Gelsenkirchen, aus der Rechts- in die Altenpflege: Der Syrer Abdallah Taan hat umgeschult und nun einen Job in Deutschland.

Abdallah Taan hat es geschafft. Nach fünf Jahren in Deutschland und drei Jahren in Ausbildung hat der 42-jährige Syrer seinen Abschluss gemacht – und am selben Tag einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Der Anwalt ist jetzt Altenpfleger.

Das ist doch ein Frauenberuf, haben sie ihm gesagt. Aber du bist doch Akademiker, haben sie ihm gesagt. Mancher hat es ihm auch nicht zugetraut. Aber Abdallah Taan wusste, dass er sich richtig entschieden hat: „Man kann nicht ohne Arbeit bleiben.“ Nichtstun war nie eine Option für ihn, so ist der Familienvater nicht, aber es hat auch mit Dankbarkeit zu tun: „Deutschland ist gut“, sagt er, er kann sich doch darauf nicht ausruhen.

„Es gibt in Deutschland viele alte Leute: Mach das!“

Die alten Menschen tun auch ihm gut: Altenpfleger Abdallah Taan hat im neuen Beruf auch seine Berufung gefunden.
Die alten Menschen tun auch ihm gut: Altenpfleger Abdallah Taan hat im neuen Beruf auch seine Berufung gefunden. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Eine Rückkehr in die Juristerei fiel aus, „mein alter Beruf geht nicht“ in Gelsenkirchen, das haben sie ihm beim Arbeitsamt gleich gesagt. Die deutschen Gesetze sind andere, ein neues Studium wäre zu schwierig gewesen. Die Rechtsanwaltskanzlei bleibt zurück in seinem alten Leben, vor der Flucht. Aber Altenpflege?

Das kam, weil Taans Nachbarin in Gelsenkirchen ihn an seine Oma erinnerte, die er zuhause gepflegt hatte nach einem Schlaganfall. Über 90 ist sie, erst ging er für sie einkaufen, später hat er sie gewaschen. „Abdallah“, sagte sie zu ihm: „Es gibt in Deutschland viele alte Leute. Mach das!“ Und Abdallah machte, sofort: ein Praktikum bei den Ambulanten Pflegediensten (APD) Gelsenkirchen und dann die Ausbildung, denn er findet: „Alte Menschen brauchen zu viel Hilfe.“

Was er meint, ist nicht „zu viel“, sondern „sehr viel“. Es sind manchmal noch kleine sprachliche Hürden, die ihn etwas bremsen in seinem Eifer. Er sagt auch „männlich“, wenn er „menschlich“ meint, so erklärt er seine Begeisterung für die Pflege: „Ohne menschlich geht es nicht.“ Es ist aber auch schwierig mit der deutschen Sprache, so viele Wörter hat er täglich neu entdeckt und jedes einzelne versucht zu behalten wie einen Schatz. Und jetzt verschwinden diese Wörter hinter den Masken der Menschen, er hört sie, aber er sieht sie nicht.

Für „Alte Menschen pflegen“ steht im Zeugnis eine Eins

Abdallah Taan aber kann mit den Augen sprechen, die alten Damen in seiner neuen Demenz-WG reagieren auf die tiefen Lachfalten. Sie sagen „Danke“, sie sagen ihm, dass er „gut tut“, das wärmt sein Herz. „Sie sind wie Kinder“, sagt der Altenpfleger selbst über seine demenzerkrankten Schützlinge, „sie brauchen viel Sorge.“ Es ist keinerlei Kritik, wenn sein Pflegedienstleiter Björn Schulte sagt: „Mündlich hat er seine Stärken noch nicht ganz gefunden.“ Er meint damit nur die Prüfung, vor der der 42-Jährige solche Angst hatte. Nicht vor der Theorie, nicht vor der Praxis, sondern vor den drei mündlichen Aufgaben an jenem Montag vor zwei Wochen, vor denen Taan keinen Schlaf fand.

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Doch dann erzählte er den Prüfern, was er gelernt hat in drei Jahren und in den sechs Monaten vor dem Examen, als er täglich sechs Stunden büffelte nach der Arbeit – und sie schrieben ihm drei Einsen ins Zeugnis. Eine für das Fach „Alte Menschen personen- und situationsbezogen pflegen“, eine Zwei gibt es etwa für „Lernen lernen“. In der Berufsschule hat Taan immer vorn gesessen, er wollte, er musste sich konzentrieren – der Rest der Klasse war ja halb so alt wie er. Er begriff früh, dass er die Dinge verstehen muss, dass Auswendiglernen nicht genug ist.

Über seine Flucht redet der Familienvater nicht gern

So bekam er viele gute Noten und nun eine weitere für „Mit Krisen und schwierigen Situationen umgehen“. Das kann man vielleicht erwarten von einem Mann mit Fluchterfahrung, aber darüber spricht Abdallah Taan nicht gern. Er hat zu leiden darunter, das wird am Rande deutlich; in einem früheren Gespräch hat er angedeutet, er sei in Syrien gegen Assad gewesen.

Endlich Frühling: Ilse Mann freut sich mit ihrem Pfleger Abdallah Taan an den Blüten.
Endlich Frühling: Ilse Mann freut sich mit ihrem Pfleger Abdallah Taan an den Blüten. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Wie auch immer, jetzt ist die Demenz-Wohngemeinschaft des APD sein „Raum“. Ein Ort, an dem er „großen Spaß“ hat, an dem er laut Vertrag „unbefristet“ arbeiten darf. Abdallah Taan ballt die Faust vor Freude, legt seine Hand auf sein Herz, am Abend des Examens gab es zuhause Freudenschreie. Seine Frau, eine Krankenschwester, die in Deutschland gerade noch einmal ein Anerkennungsjahr macht, ist stolz auf ihn. „Papa hat das toll gemacht“, sagen seine Töchter, 13 und 3 Jahre alt, er selbst hat geweint. „Jetzt bin ich frei.“

Björn Schulte sagt, es war ihnen immer klar, dass sie Taan einen Vertrag anbieten würden. So zielstrebig, so selbstständig, so willensstark sei er, und „so fürsorglich“ mit den alten Menschen. Allerdings ist Abdallah Taan der Einzige, der aus einem Projekt des APD blieb: Sieben Menschen mit Migrationshintergrund versuchten sie damals für die Altenpflege zu gewinnen, denn es ist klar, „allein mit deutschen Bürgern schaffen wir es nicht“.

Ein weiterer Anwalt hat seine Ausbildung begonnen

Immerhin, in seiner syrischen Community ist Taan jetzt „ein Vorbild“. Haben sie nicht alle gesehen, wie glücklich er jetzt ist? Erzählt er nicht jeden Tag von der Dankbarkeit, die er erlebt? „Ich bin zufriedener als damals.“ Er hat den Leuten gesagt, dass man sich nicht schämen muss, von der Rechtspflege in die Altenpflege zu wechseln. Björn Schulte sagt, er sei ein „Markenbotschafter“: Inzwischen hat auch ein syrischer Strafrechtler eine Ausbildung beim APD begonnen, ein Architekt ist kurz davor.

Abdallah Taan, der nun alsbald die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen will, sagt, er kennt nur Flüchtlinge, die arbeiten wollen. Er empfiehlt ihnen seine. Zumal: Jetzt, in der Corona-Krise, sei „viel Arbeit geschlossen“. Aber die Pflege, „die bleibt immer“.

>>INFO: BESCHÄFTIGUNG VON GEFLÜCHTETEN

Nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren in Deutschland im November 2020 insgesamt 465.000 Beschäftigte aus „nichteuropäischen Asylherkunftsländern“ registriert. Damit ist ihre Beschäftigung zwischen November 2019 und November 2020 um 25.000 oder 5,6 Prozent gestiegen. Allerdings hat zugleich die Arbeitslosigkeit um 38.000 oder 17 Prozent zugenommen – vor allem bedingt durch die Corona-Krise. Trotzdem nahm der Anteil der Geflüchteten, die Hartz IV beziehen, um 12.000 oder 1,2 Prozent ab.

Der Anteil der Beschäftigten aus den Asylherkunftsländern an allen Beschäftigten beläuft sich auf 1,2 Prozent. Von den genau 465.468 Beschäftigten waren im November 396.847 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 68.621 waren lediglich in geringfügiger Beschäftigung.

Die Quote sozialversichert Beschäftigter unter den Staatsangehörigen nichteuropäischer Asylherkunftsländer liegt bei 32,5 Prozent. Die Beschäftigtenquote für Deutsche beträgt laut BA fast das Doppelte: 63,7 Prozent.