Gelsenkirchen. . Der Flüchtling Abdallah Taan ließ in Damaskus eine Kanzlei zurück und startet in Gelsenkirchen in einen neuen Beruf.

Der Weg von Damaskus nach Gelsenkirchen war weit, aber Abdallah Taan hat sich schon wieder aufgemacht, sein nächster Weg klingt fast noch weiter: Der studierte Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Syrien ist in Deutschland jetzt Azubi – der Advokat wird Altenpfleger.

Nicht nur alte Damen werden es lieben, dieses freundliche Zwinkern, mit dem Abdallah Taan das Gespräch unterbricht. Ob er jetzt erzählen darf? Er hat die Frühschicht extra unterbrochen, 6 bis 13 Uhr, er muss, er will wieder zurück: Kompressionsstrümpfe anziehen, Blutzucker testen, Medikamente geben. Ach, er möchte gern „viel schneller machen“, die Arbeit, sagt der 39-Jährige, „gefällt mir sehr“. Und die Patienten fragen schon nach ihm, viele, sagt er, „brauchen Unterstützung, von der Seele, von dem Herzen“.

In Damaskus machte er Familienrecht

Nicht ganz klar, ob er dem Herz der Menschen helfen will oder seinem eigenen, jedenfalls ist der Mann ehrlich begeistert. Und die Juristerei, fünf Jahre Studium, zehn Jahre in der eigenen Kanzlei? Es war Familienrecht, Scheidungen, „viel Streit“. Es ging nie um Glück, sondern um das Gegenteil, das will Abdallah Taan jetzt anders: Er habe das Gefühl, wenn der Pfleger kommt, seien die Menschen einmal am Tag glücklich, hat er nach dem ersten Praktikum gesagt.

Mittagsmahlzeit in der Tagespflege: Abdallah Taan reicht Hans-Dieter und Christel Fluegel das Essen an.
Mittagsmahlzeit in der Tagespflege: Abdallah Taan reicht Hans-Dieter und Christel Fluegel das Essen an. © André Hirtz

Da war ihm schon klar, dass er als Jurist nichts werden konnte in Deutschland, „keine Chance in deinem Beruf“, hatte ihm der Sachbearbeiter beim Arbeitsamt gesagt. „Die Gesetze sind anders“, weiß Taan. Und ehrlich, er ist nie gerne Anwalt gewesen, der Vater wollte es so. Für die Altenpflege hat er sich nun selbst entschieden, „das ist Freiheit für mich“. In Syrien schon hatte er seine Oma gepflegt, nach einem Schlaganfall teilweise gelähmt. Und dann war da in Gelsenkirchen dieser nette Nachbar: 90 Jahre alt, allein. Erst ging Taan einkaufen für ihn, dann begann er, ihn zu waschen und zu pflegen. Seine Frau ist Krankenschwester, die wusste, wie das geht.

Es war der alte Mann, der schließlich sagte: „Abdallah, das ist der richtige Beruf für dich.“ So kam Taan zu den Ambulanten Pflegediensten Gelsenkirchen (APD), wo man gerade versuchte, Flüchtlinge für die Pflege zu gewinnen. Denn, sagt Pflegedienstleiter Björn Schulte: „Allein mit deutschen Bürgern schaffen wir es nicht.“ Zwei von sieben aus dem Projekt sind geblieben, neben dem Syrer eine Frau aus Ägypten. „Hätte er seine Schulzeugnisse nicht dabei gehabt“, sagt Schulte, „hätte Abdallah allerdings keine Chance gehabt.“ Im April sind sie in die Ausbildung gestartet, eine Klausur hat Taan schon bestens bestanden, einmal erst hat er gefehlt: für seine Führerscheinprüfung. Er hat sie auf Deutsch gemacht; für einen Job in der ambulanten Pflege, sagt Schulte, war der Schein „ein Meilenstein“.

Lernen mit dem Medizin-Wörterbuch

Und doch geht dem Azubi alles nicht schnell genug. „Ich versuche täglich, meine Sprache zu verbessern.“ Das war vom ersten Tag an in Deutschland so, denn: „Ohne Sprache, ohne Arbeit, ohne Leben.“ Kollege Dennis Przybysz, sein „Praxisanleiter“, muss sich im Auto 1000 Fragen nach neuen Vokabeln stellen lassen, das medizinische Wörterbuch ist zerlesen, bald jede Fernsehserie gesehen, und noch immer spricht die zehnjährige Tochter besser deutsch. „Die Patienten“, spornt Björn Schulte seinen Schüler an, „möchten sich unterhalten können.“

Viele fragen Abdallah nach dem Krieg, manche haben noch selbst eine Fluchtgeschichte, aber der 39-Jährige spricht nicht gern darüber. „Viele schlechte Sachen erlebt“, sagt er, aber sonst nicht viel über die Gründe, warum er sein Land verließ. „Ich war gegen Assad“, das muss reichen, vielleicht noch das: „Mein Bruder hat eine andere Meinung.“ Vergangenheit.

Heute ist Ausbildung, heute ist Gelsenkirchen, heute ist Schalke. Abdallah Taan interessiert sich nicht für Fußball, er mag lieber Schwimmen, aber das hat er gelernt: Montags ist wichtig, wie Schalke gespielt hat. Immerhin, er findet den Namen schön. Taan hat zwei syrische Freunde, drei Akademiker unter sich: Anwalt, Arzt und Architekt. Die beiden anderen bewundern, was ihr Kumpel macht. Er sagt, „die wollen das jetzt auch“.

>>INFO: 28 000 FLÜCHTLINGE IN AUSBILDUNG

Die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland eine Ausbildung machen, hat sich zwischen Dezember 2016 und 2017 auf 28 000 nahezu verdoppelt.

Laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit suchten bis August dieses Jahres 36 900 Geflüchtete einen Ausbildungsplatz. Etwa 10 000 sind danach noch unversorgt.