Witten. Pflegekräfte sind Leisetreter findet Prof. Angelika Zegelin, die lange an der Uni Witten lehrte. Warum die Pflege sich Gehör verschaffen sollte.

Es geht um die Helden in Corona-Zeiten, Deutschlands Pflegekräfte. Die Pflegewissenschaftler Prof. Angelika Zegelin und Dr. German Quernheim haben für sie ein „Mutmachbuch“ geschrieben. Das Anliegen der Autoren: Fachpflegekräfte sollten Selbstbewusstsein und einen Berufsstolz entwickeln - nicht nur in Pandemie-Zeiten.

19 Jahre hat Angelika Zegelin an der Universität Witten/Herdecke gelehrt und geforscht, hat den ersten pflegewissenschaftlichen Studiengang in Deutschland mit aufgebaut. Die Dortmunderin zählt zu den bekanntesten Pflegewissenschaftlerinnen im Land. Die Pflege, sagt sie, habe hierzulande immer noch kein politisches Gewicht. Der so wichtige Berufsstand wird aus ihrer Sicht gesellschaftlich wenig anerkannt. Kollegen in der Praxis seien häufig frustriert über ihre Arbeitsbedingungen, über Pflege mit der Uhr im Nacken, die auch die Gesundheit der Pflegenden strapaziere.

Professorin: „Großer Respekt wird Pflegekräften nicht entgegengebracht“

Der öffentliche Applaus für die Pflegekräfte beim Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 sei zwar groß gewesen, mittlerweile aber wieder verklungen. „Jetzt werden Pflegekräfte in Corona-Zeiten in Verbindung gebracht mit angstvollen, schlimmen Zuständen.“ In der öffentlichen Wahrnehmung seien sie weiter diejenigen, die Patienten den Po abputzten und dem Arzt helfen. Pflegekräfte würden zwar als systemrelevant angesehen. „Großer Respekt wird ihnen aber nicht wirklich entgegengebracht.“

Das Ziel ihres „Mutmachbuches“ sei es, „professionell Pflegende zu stärken und ihnen Mut zu machen, um gegen chronische Belastungen vorzugehen und unwürdige Situationen zu ändern“, betont die 68-Jährige, die für ihr vielfältiges Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Mit ihrem Buch will die gelernte Krankenschwester den Kollegen auch Mut machen, ihrem Beruf, der heute ein Knochenjob sei, treu zu bleiben.

„In Deutschland sind Pflegende Leisetreter. Sie fühlen sich gegenüber den Ärzten oft minderwertig“

Im „Mutmachbuch“ kommen Praktikerinnen und Praktiker zu Wort, die sich um Krebspatienten und Frühgeborene, um alte Menschen und Schwerkranke auf der Intensivstation kümmern. Die Autoren zeigen an Beispielen, wie Pflegende wieder Freude an ihrem Beruf gewinnen und auch Berufsstolz entwickeln können. Denn an Berufsstolz mangele es in der Pflege. Da höre man immer wieder den Satz: „Ich bin ja nur Krankenschwester“, so die Professorin. Dies sei in anderen Ländern ganz anders. Was Zegelin auch für einen großen Fehler hält: „Pflegekräfte sind in Deutschland nicht mächtig organisiert.“ Rund 1,2 Millionen Menschen arbeiteten bundesweit in der Pflege. Der Berufsverband für Pflegeberufe zähle aber nur 20.000 Mitglieder.

„Nicht jammern, sondern sich organisieren, damit sich die Bedingungen verbessern. Das muss das Ziel sein“, findet die Professorin. Sie verweist auf die einflussreiche Interessenvertretung der Ärzte, den Marburger Bund. Und meint: „Pflegende verstehen nicht den Zusammenhang zwischen Organisation und Macht.“ Man könne Dinge im Arbeitsleben aber nur verändern, wenn man politisch mächtig auftrete. In den Niederlanden und der Schweiz zum Beispiel sei die Pflege besser organisiert. „In Deutschland sind Pflegende Leisetreter. Sie fühlen sich gegenüber den Ärzten oft minderwertig.“ Zu Unrecht, wie Zegelin betont. „Wir brauchen eigentlich auch ein Pflegeministerium!“

Alten- und Pflegeheime beschäftigen immer mehr Pflegehilfskräfte

Klinikfachpflegekräfte verdienten - auch mit ihren Schichtzulagen - nicht schlecht. „In der Altenpflege gibt es bei der Bezahlung Nachholbedarf.“ Dort tätige Fachkräfte verdienten bislang etwa ein Drittel weniger als Kollegen in Kliniken, kritisiert die Professorin. In Alten- und Pflegeheimen wachse auch die Zahl der Pflegehilfskräfte, deren Verdienst häufig gerade nur etwas über dem Mindestlohn liege.

Autor ist gelernter Krankenpfleger

Autor German Quernheim ist gelernter Krankenpfleger. Er promovierte von 2007 bis 2013 an der Universität Witten/Herdecke in der Pflegewissenschaft und arbeitet seither als Dozent, Fachautor und Coach in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

German Quernheim/Angelika Zegelin: Berufsstolz in der Pflege. Das Mutmachbuch. Hogrefe-Verlag, 344 Seiten, 39,95 Euro.

Bis vor ein paar Jahren hätten in Heimen 50 Prozent der in der Pflege Beschäftigten Fachkräfte sein müssen. Diese Quote könne heute von einem Großteil der Einrichtungen nicht mehr erfüllt werden, „weil es das Personal auf dem Markt gar nicht gibt“. Alle Heime, weiß Angelika Zegelin, hätten beim Personal einen hohen Krankenstand. „Die Leute sind mit ihren Kräften am Ende.“

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