Ruhrgebiet. Kurzfristig werden Menschen ab 60 in NRW mit Astrazeneca geimpft. Zu Ostern gingen Leitungen erneut in die Knie, die meisten Termine sind weg.

Und plötzlich sind schon die 60-Jährigen dran: Seit acht Uhr am Samstagmorgen glühten bei den Kassenärztlichen Vereinigungen in NRW die Leitungen, zwischen Besetztzeichen und über lahmende Internet-Verbindungen schafften es bis Ostersonntag trotzdem fast 370.000 Bürger, einen Impftermin zu ergattern. In Westfalen-Lippe sind alle Termine schon am zweiten Tag weg, der Bereich Nordrhein meldet am selben Abend nur noch wenige in „einzelnen Impfzentren“. Zigtausende sind da bereits geimpft.

Diesmal war es ein Stau mit Ansage: 450.000 Impfdosen für fast vier Millionen Berechtigte gab der Gesundheitsminister Mitte der vergangenen Woche kurzfristig frei, es könne sein, warnte Karl-Josef Laumann (CDU) vorsichtshalber, „dass die Systeme an ihre Grenzen kommen“. Das gebe „schon wieder Chaos“, ahnte einer, der an der Organisation beteiligt ist. Theoretisch hatten Bürger zwischen 60 und 79 Jahren seit Karsamstag ganze drei Tage Zeit, einen Termin zu buchen. Doch so lange, das war schon am Samstagmittag abzusehen, dauerte es nicht, bis das Angebot vergriffen war.

450.000 zusätzliche Dosen von Astrazeneca – für fast vier Millionen Menschen

Der Kühlschrank im Essener Impfzentrum ist voll mit zuästzlichen Dosen von Astrazeneca.
Der Kühlschrank im Essener Impfzentrum ist voll mit zuästzlichen Dosen von Astrazeneca. © dpa | Fabian Strauch

Möglich geworden war der kurzfristige Impf-Sprint, nach dem die Ständige Impfkommission (Stiko) die Empfehlungen für das Vakzin von Astrazeneca zu Beginn der Woche erneut geändert hatte. Millionen schon geplante Impfdosen drohten liegenzubleiben, allein 450.000 in NRW, weil ab sofort gilt: Astrazeneca wird wegen der Gefahr von Blutgerinnseln in Hirnvenen nicht mehr an Menschen unter 60 Jahren verimpft.

Spontan öffnete NRW-Gesundheitsminister Laumann deshalb die Impf-Reihenfolge für Menschen älter als 60 Jahre. Mittwoch Pressekonferenz, Donnerstagmorgen folgte der 15. Impferlass. Eine „einmalige Sache“, sagt Laumann, „nichts soll im Lager bleiben“. Die Städte als Betreiber der Impfzentren kamen ins Rotieren: Sie waren gerade noch mit dem Impfstart für den Jahrgang 1941 am nächsten Donnerstag beschäftigt, hatten schon für die Ostertage den Betrieb aufgestockt.

Städte richten eilig zusätzliche Impfstraßen und -termine ein

Ins Impfzentrum in Essen, das zur KV Nordrhein gehört, kommen am Sonntag viele Menschen ohne Impftermin: Sie sind im Buchungssystem steckengeblieben, versuchen es trotzdem. Statt geplanter 300 werden daraufhin zu Ostern fast 700 Menschen mit Astrazeneca geimpft. Ohnehin hatte die Stadt aber angekündigt, auf 800 Termine ausweiten zu können. Dortmund, das urspünglich 11.370 Impftermine vom vergangenen Mittwoch bis Ostermontag verplant hatte, erhöhte die Kapazität seines Impfzentrums ab Ostersonntag auf 2310 Termine am Tag. Insgesamt können dort in den kommenden zwei Wochen zusätzliche 13.620 Dosen verimpft werden. Am Sonntagmorgen bildeten sich hier zunächst lange Schlangen.

Das Bochumer Impfzentrum richtete zusätzliche Impfstraßen ein, kann in zehn Stunden täglich bis zu 1800 Menschen impfen. Insgesamt wurden für die Sonderaktion 364.750 Termine in die Buchungssysteme der Kassenärztlichen Vereinigungen eingestellt, 369.658 werden bis Sonntagabend sogar vergeben. Die übrigen sollen über kommunale Strukturen oder Hausärzte an über 60-Jährige vergeben werden.

Voraussetzung ist, dass die Bürger, die sich um einen Termin bewerben, den Impfstoff von Astrazeneca haben wollen. Ausschließlich dieses Vakzin wird den 60- bis 79-Jährigen im Rahmen des Sonderkontingents verabreicht. Wer das nicht wolle, heißt es etwa aus Essen, solle sich gar nicht erst melden, ein Umswitchen auf einen anderen Impfstoff vor Ort sei nicht möglich.

Erste Astrazeneca-Impfungen schon am frühen Samstagmorgen

Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kündigt am Mittwoch an, die Menschen über 60 zur Impfung einzuladen.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kündigt am Mittwoch an, die Menschen über 60 zur Impfung einzuladen. © dpa | Marcel Kusch

Doch die Sorge, dass Astrazeneca an Zuspruch verloren haben könnte, dass viele Menschen den unter Verruf geratenen Impfstoff eher fürchten als begehren würden, ist offenbar unbegründet: Innerhalb nur einer Stunde, meldet die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) am Samstag, seien bereits rund 40.000 Impftermine vergeben worden. Die ganz Schnellen wurden da sogar bereits bedient. Vier Stunden später sind es schon 80.000 und 150 rasch Geimpfte, am Abend sind es sowohl in Westfalen-Lippe als auch im Bereich Nordrhein jeweils mehr als 100.000 vergebene Termine, wie das Gesundheitsministerium meldet – trotz des Staus in allen Leitungen.

„Noch nie so gefreut, über 60 zu sein“

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann frohlockt: „Der Ansturm auf die Impftermine ist ein gutes Zeichen und ein wichtige Signal.“ Er zeige, dass die Menschen dem Astrazeneca-Impfstoff weiterhin vertrauen. Die Impfkampagne in Nordrhein-Westfalen habe am Osterwochenende deutlich Fahrt aufgenommen.

„Noch nie“, freut sich eine 61-Jährige aus Dortmund, „habe ich mich gefreut, über 60 Jahre alt zu sein.“ Zwei jüngere Freundinnen sind längst geimpft, keine klagte über Nebenwirkungen. „Bisher ausschließlich positive Impferfahrungen“, meldet ein 60-jähriger Bochumer. Die erwachsenen Kinder hätten nach einer Impfung mit Astrazeneca zwar einen Tag Beschwerden gehabt, er selbst aber habe keine Bedenken: „Das Gefährlichste an der Impfung ist die Fahrt zum Impfzentrum.“

Schwere Nebenwirkungen seien selten, weiß auch eine 64-Jährige aus Herne: „Wir spielen ja nicht Russisch Roulette.“ Ein Risiko gebe es immer, angesichts schwerer Covid-Erkrankungen aber sagt sie: „Besser geimpft als nicht geimpft“, egal mit welchem Vakzin. Ein soeben 60 gewordener Mann aus Düsseldorf, der schon am Ostersonntag tatsächlich geimpft wird, sieht das genauso: „Auf jedem Beipackzettel stehen mehr Nebenwirkungen“, er sehe „überhaupt kein Risiko“. Er beginnt am Samstag am zwei Minuten vor acht, sich im Internet um einen Termin zu bemühen. Um acht hat er Erfolg, da sind die Telefone schon dauerbesetzt, werden es auch Stunden später sein.

Wartezeit bis zu einer Terminbuchung: oft mehr als eine Stunde

Kein Durchkommen: Die Leitungen der Kassenärztlichen Vereinigungen waren am Samstag dauerbesetzt.
Kein Durchkommen: Die Leitungen der Kassenärztlichen Vereinigungen waren am Samstag dauerbesetzt. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Tatsächlich meldet das Gesundheitsministerium schon kurz nach Öffnung der Leitungen, die Buchungssysteme seien überlastet: „Für die Unannehmlichkeiten bitten wir um Verständnis.“ Die Rufnummer 116117 ist dauerbesetzt, im Bereich Westfalen-Lippe schwächelt auch das Internet. Dabei war hier gerade auf einen anderen Anbieter umgestellt worden. „Aktuell kann es zu leichten Verzögerungen beim Versand der Registrierungs- und Bestätigungsmails kommen“, heißt es. Ein Mann aus Bochum wartet einen ganzen Tag, bis er eine Bestätigungsmail für seine Anmeldung erhält, Termine hat er da noch nicht.

Es sei „leider ein nicht völlig problemfreier Start mit Ansage“ gewesen, bilanziert der Vorstandsvorsitzende der KVNO Frank Bergmann am Samstagabend. „Das kann kein noch so gut durchdachtes System leisten.“ Wie schon bei den über 80-Jährigen muss sich online zuerst registrieren, wer einen Termin buchen will. Wegen der enormen Anzahl an Zugriffen habe das Online-Buchungssystem phasenweise gedrosselt werden müssen, teilt die KV Nordrhein mit. „Im Vergleich zum Start der Impfterminvergabe für über 80-Jährige am 25. Januar ist dieses Mal ein Vielfaches an Zugriffen zu verzeichnen – allein am Samstag werden bald 200 Millionen Zugriffe gezählt; die Hotlines verzeichnen bis 17 Uhr am Samstag rund 1,2 Millionen Anrufe.

Wer durchkommt, erhält im Osten des Ruhrgebiets schon am Samstagmittag die Information: „Bitte melden Sie sich am Dienstag noch einmal.“ Das aber geht auf keinen Fall: Das kurzfristig geöffnete Buchungsfenster für Astrazeneca ist dann schon wieder zu, die 450.000 Impfdosen sind verplant. Vereinzelt sind die Termine in Westfalen schon am Samstagnachmittag ausgebucht, etwa in Bielefeld oder einzelnen Kreisen in Westfalen. Am Sonntag sind melden im Ruhrgebiet zuerst Oberhausen und Recklinghausen: Wir sind voll. Inzwischen sind nur noch im Bereich Nordrhein vereinzelte Termine zu bekommen.

Erste Impfzentren im Osten NRWs sind schon am Samstag ausgebucht

Die Organisatoren freut das: Es mache deutlich, heißt es von der KVWL, dass die Impfbereitschaft der Bürger weiterhin hoch ist. „Das ist eine erfreuliche Erkenntnis und gibt uns Hoffnung für die kommenden Monate im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie.“ Minister Laumann verspricht am Sonntag, man werde die Impfkampagne weiter beschleunigen, allein im April fast zwei Millionen NRW-Bürger impfen. Ab Dienstag, 6. April, erwartet das Land die nächsten Impfkandidaten der Priorisierungsgruppe 2: Menschen des Geburtsjahrgangs 1941. Sie bekommen in diesen Tagen ihre Einladung, ab Donnerstag sind sie dran.