Essen. Impfzentrum ermöglichte Ü-60-Jährigen eine Astrazeneca-Impfung, auch wenn sie bei der Anmeldung stecken geblieben waren. Aktion wurde gestoppt.
Etwa 400 Über-60-Jährige sind Ostersonntag im Essener Impfzentrum ohne vorherige Anmeldung mit dem Impfstoff Astrazeneca geimpft worden. „Die Leute sind auf dem Anmeldeportal der Kassenärztlichen Vereinigung nicht durchgekommen und dann zum Teil mit Screenshots ihres unterbrochenen Anmeldevorgangs zum Impfzentrum gekommen“, so Ordnungsdezernent Christian Kromberg. Dort hat man dann unbürokratisch entschieden, jene zu impfen, die glaubhaft machen konnten, dass sie im System stecken geblieben waren.
Weil sich wiederum dieses Vorgehen offenbar per Mundpropaganda wie ein Lauffeuer verbreitete und einen Ansturm auslöste, musste die Leitung des Impfzentrums gegen 14 Uhr auf die Notbremse treten und die Spontan-Verimpfung abbrechen.
Laut Stadt kam es sogar vereinzelt zu Sitzstreiks, um die Impfung zu erzwingen
„Wir haben es in guter Absicht versucht, aber es hat nicht funktioniert“, berichtet Dr. Stefan Steinmetz, Ärztlicher Leiter des Essener Impfzentrums. „Ab Nachmittag haben wir nur noch Menschen geimpft, die sich vorher angemeldet hatten.“ Die Entscheidung, auch unangemeldeten Ü-60 die Astrazeneca-Spritze zu geben, sei in Absprache mit Impfzentrumsleiter Jörg Spors von der Feuerwehr Essen geschehen.
Kromberg will die Impf-Chefs deshalb aber angesichts der Lage nicht tadeln, denn es sei sogar zu Sitzstreiks gekommen, manche hätten ihre Impfung erzwingen wollen. „Da war es eine pragmatische Lösung, so zu verfahren.“ Die Alternative wäre gewesen, das Gelände mit Hilfe der Polizei zu räumen. „Das konnten und wollten wir uns aber nicht leisten“, so der Ordnungsdezernent.
Impfarzt: „Die Leute waren sehr froh, dass sie mit Astrazeneca geimpft wurden“
Als das Impfzentrum am Ostersonntag um 10 Uhr seine Pforten öffnete, habe sich sofort eine Warteschlange gebildet. Anscheinend verbreiteten die unbürokratisch Geimpften unter den Ü-60 die „gute Nachricht“ vor allem in Whatsapp-Gruppen und sozialen Netzwerken. Die Folge: Teilweise habe die Wartezeit bis zu zwei Stunden betragen.
Bei den Über-60-Jährigen, die sich – ob mit oder ohne Anmeldung – den umstrittenen britisch-schwedischen Impfstoff in den Oberarm drücken ließen, habe die Spritze Glücksgefühle ausgelöst, berichtet der Impfarzt. „Die Leute waren sehr froh, dass sie mit Astrazeneca geimpft wurden.“ Auch in den Impfgesprächen sei keine Skepsis zu spüren gewesen. Steinmetz: „Das Vertrauen in Astrazeneca ist da.“
Das Impfzentrum Essen sei am Ostersonntag bis an seine Kapazitätsgrenze gegangen. „Wir haben in den zehn Stunden 2500 Menschen geimpft“, so Steinmetz. Neben den Über-60-Jährigen (mit Anmeldung) seien auch die Über-80-Jährigen sowie die so genannten Sonderkontingente und die Einzelfälle (Vorerkrankte mit ärztlichem Attest) an der Reihe gewesen.
Auch Auswärtige eilten zum Essener Impfzentrum - sogar ein Ruderclub war dabei
Als der Andrang nicht mehr zu bewältigen gewesen sei, habe das Impfzentrum die Spontan-Aktion für die Über-60-Jährigen notgedrungen stoppen müssen. Die Mitarbeiter des Ordnungsdienstes hätten den Auftrag erhalten, unangemeldet erschienene Impfwillige wieder nach Hause zu schicken. Wegen des unerwartet starken Andrangs war zwischenzeitlich auch die Polizei vor Ort im Einsatz. „Wir mussten einen Streit unter Wartenden schlichten“, berichtet Polizeisprecher Christoph Wickhorst. Ansonsten habe es keinerlei Vorkommnisse gegeben.
Um den Wartenden draußen, insbesondere den Älteren, angesichts der kühlen Temperaturen die Zeit so angenehm wie möglich zu machen, seien vorübergehend Bänke aufgestellt worden. Auch die Hilfsdienste hätten mitangepackt. Der Impfarzt verweist auch auf den hohen bürokratischen Aufwand. Zum Teil müssen bis zu fünf Seiten ausgefüllt werden, insbesondere wenn die Über-80-Jährigen mit Begleitpersonen erscheinen.
Die überraschende Nachricht, Essen verimpfe Astrazeneca an Über-60-Jährige ohne Anmeldung, muss sich auch über die Stadtgrenzen hinaus in Windeseile verbreitet haben. Denn zwischenzeitlich eilten auch Auswärtige zum Essener Impfzentrum. „Sogar ein Ruderclub aus Bochum kam vorbei“, so Steinmetz. Bei dem Sonderkontingent Ü 60 sind – anders als sonst – auch Impfungen von Bürgern aus Nachbarstädten möglich. Umgekehrt schafften es etliche Essener am Samstag, sich über das viel besser funktionierende Buchungssystem der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen einen zeitnahen Impftermin in Bochum zu besorgen, was ebenfalls möglich ist.
OB Kufen zu langen Wartezeiten: „Das ist unangenehm und ärgerlich zugleich“
Oberbürgermeister Thomas Kufen reagierte Ostermontag auf seiner Facebook-Seite auf die Situation im Impfzentrum am Tag zuvor. Es sei „leider aus ganz unterschiedlichen Gründen zu längeren Wartezeiten“ gekommen. „Das ist unangenehm und ärgerlich zugleich“, schreibt der OB. Quasi über Nacht seien die Abläufe und die Organisation des Empfangsbereiches optimiert worden, um insbesondere längere Warteschlangen im Freien und Menschenansammlungen zu vermeiden.
Auch am Ostermontag (5. April) wird im Essener Impfzentrum von 10 bis 20 Uhr geimpft. Damit niemand draußen im kalten und ungemütlichen Dauerregen warten müsse, habe man bei der Messe Essen eine weitere Halle angemietet und diese zu einem Warteraum umfunktioniert. Auch OB Kufen schaute morgens vor. Sein Urteil: „Alles klappte reibungslos.“