Ruhrgebiet. Die Gesundheitsämter sind überlastet. Soldaten und Landesbedienstete werden eingearbeitet. Doch nicht alle Hilfsangebote werden ausgeschöpft.
Eine Anruferin möchte wissen, wie viele Leute sie jetzt noch treffen darf. Ein Mann hat wegen der Quarantäne Probleme mit seinem Arbeitgeber. Die Seniorin kennt niemanden, der für sie Lebensmittel einkauft. Meistens gehe es bei den über 1000 Anrufen täglich darum, den Bürgern die Corona-Maßnahmen zu erläutern, erklärt Maurice Roth , Teamleiter der Corona-Hotline im Kreis Recklinghausen. Verunsichert, unzufrieden, besorgt, aufgebracht seien viele Anrufer. „Der Ton wird rauer.“
Das liegt sicher nicht nur an den langen Wartezeiten in vielen Städten – sofern man überhaupt durchkommt. Die Menschen spüren, dass auch das Kerngeschäft der Pandemie-Bekämpfung leidet, die Kontaktnachverfolgung vor allem und die rechtsverbindliche Verhängung und Aufhebung von Quarantänen, seltener die Tests. Kaum eine Stadt kommt noch hinterher. Tim Zujevic aus Gelsenkirchen hat es erlebt.
Da war die Quarantäne schon fast vorbei
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Am 3. November bekamen der 33-Jährige, seine Frau und seine Mutter ihr positives Testergebnis. Zujevic informierte selbst seine Familie, auch die Schwägerin war Covid-positiv. „Unser elf Monate alter Sohn hat eine vorbelastete Lunge, weil er wenige Tage nach seiner Geburt von einem Virus befallen wurde. Deshalb waren wir verunsichert, hatten gedacht, das Gesundheitsamt meldet sich zügig und testet unsere Kinder.“ Die Helfer der Corona-Hotline versprachen Rückrufe des Gesundheitsamtes. Doch erst nach zwei Wochen meldete sich jemand, da war die freiwillige Quarantäne im Gunde vorbei.
Die Nachverfolgung dauere zu lange, die Aufhebung von Quarantänen „hat nicht immer geklappt“, weiß auch Stadtsprecher Martin Schulmann. „Der Anstieg war so schnell.“ Eben lag die Inzidenz noch bei 35, dann waren es schon 236. Nun flacht die Kurve wieder ab. 158 sind es am Freitag in Gelsenkirchen – dieser Trend ist in der ganzen Region zu spüren. Doch noch immer hinken die Städte hinterher.
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Gelsenkirchen hat um mehr Soldaten gebeten, die bei der Kontaktverfolgung helfen; 30 sind es nun. „Erst am Montag sind die letzten angekommen“, sagt Schulmann. Und städtische Angestellte, die wegen der Pandemie nicht regulär arbeiten können, wurden für die Kontaktnachverfolgung abgestellt, zum Beispiel Kita-Mitarbeiterinnen, die zur Risikogruppe gehören. Natürlich waren die Arbeitsplätze ein Problem. Die Stadt hat ad hoc ein Haus in Buer gemietet und dort 40 Einzelbüros eingerichtet.
Die Überlastung wird anhalten
In Dortmund sind sogar doppelt so viele Soldaten in der Kontakt-Nachverfolgung aktiv. Mit ihnen sind es 230 Kräfte, doch hier wie dort sind noch nicht alle geschult. Drei bis vier Tage Verzug gebe es derzeit bei der Nachverfolgung, erklärt Stadtsprecherin Anke Widow – und erwartet, dass dieser Zustand anhält, „so lange die Zahlen auf dem hohen Niveau bleiben“.
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Die Gesundheitsämter erhalten inzwischen von unterschiedlichen Seiten Unterstützung. Neben den rund 1000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern des NRW-Landeskommandos der Bundeswehr schicken auch die Landesministerien Mitarbeiter. Auf eine entsprechende Abfrage haben sich nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums rund 200 Beschäftigte im Landesdienst gemeldet, die sich zu einem zeitlich begrenzten Einsatz in den Gesundheitsämtern bereit erklärt haben. Darunter sind nach Informationen des Deutschen Beamtenbundes in NRW allein 140 Beschäftigte der Finanzbehörden, die für drei Monate abgeordnet werden. Die Vermittlung der Freiwilligen in die Gesundheitsämter vor Ort befinde sich derzeit im Prozess und solle schnellstmöglich erfolgen, hieß es am Freitag aus dem Gesundheitsministerium.
Die Landesregierung geht davon aus, dass in den Städten rund 1000 Vollzeitstellen zur Kontaktnachverfolgung fehlen. Neben der Hilfe der Landesbediensteten sollen bis zu 800 Stellen durch finanzielle Hilfe in Höhe von 25 Millionen Euro besetzt werden – befristet für bis zu sechs Monate.
Auch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) stellen Unterstützung bereit: In Westfalen-Lippe helfen derzeit 40 Mitarbeiter. In der ersten Hochphase waren bis zu 180 Fachkräfte im Einsatz. Martin Rieger, MDK-Chef in Westfalen-Lippe, nannte die Hilfe eine „Selbstverständlichkeit“.
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Doch noch ist die Situation so: In Oberhausen saß ein Familienvater nun dreieinhalb Wochen in Quarantäne, weil der erlösende Anruf des Gesundheitsamtes fehle. „Ich darf nicht nach draußen. Das alles ist eine ungeheure psychische Belastung“, sagt der Müllarbeiter Stefan Schattauer . An einem einzigen Tag habe er 95-mal die Quarantäne-Nummer angerufen – ohne Erfolg. Mails blieben unbeantwortet. „Ich bin gesund, ich will arbeiten, aber ich darf nicht.“
Da kommt womöglich die Idee von Gabriele Gaul gelegen: „Wenn wir im Reisebüro eine Sache können, dann ist es das Telefonieren“, sagt die Oberhausenerin. Ihr Geschäft liege ohnehin brach, sie würde also „ gerne bei der Kontaktverfolgung helfen “. Als Agentur – dafür könne sie Angestellte aus der Kurzarbeit holen.
Kein Interesse an ehrenamtlicher Hilfe
Die Antwort Oberhausens steht noch aus. Doch die Städte reagieren unterschiedlich. Duisburg erteilte jüngst Christa Will (67) eine Absage, die gerne ehrenamtlich geholfen hätte. Die Rentnerin war lange im Öffentlichen Dienst einer Krankenkasse beschäftigt. Der Datenschutz sei ein Problem, so Stadtsprecher Jörn Esser. Bei Ehrenamtlern bestehe zudem die grundsätzliche Gefahr , „dass sie möglicherweise schon nach kurzer Zeit das Interesse an der Tätigkeit verlieren“.
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Gegen ehrenamtliche Hilfe hat Gelsenkirchen dagegen nichts einzuwenden. „Wir haben sogar dazu aufgerufen“, sagt Sprecher Schulmann. Eine Liste sei vorbereitet. „Wir haben auch eine Ehrenamtsagentur mit einem großen Pool an Helfern, die sich als zuverlässig erwiesen haben.“ Aber Ehrenamtler erhalten in der Regel eine Aufwandsentschädigung – auch darum sei es geboten, zunächst auf eigene Angestellte zurückzugreifen.
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