Ruhrgebiet. Hygiene-Produkte werden knapp. Gesundheitsämter dürfen Betriebe schließen. Und Verdachtsfälle im Revier beschäftigen die Medizin. Ein Überblick.
„Der Virus wird ins Ruhrgebiet kommen“, ist sich der Wittener Hausarzt Arne Meinshausen sicher. Vielleicht ist er bereits da, am Donnerstagvormittag wurde ein junges Paar vorstellig an seinem Arbeitsplatz, dem „Rathaus der Medizin“, mit ernsten Symptomen einer Grippe und einer „bronchitisartige Infektion“. Eineinhalb Wochen zuvor hatten sie Kontakt zu Kollegen, die in China waren. Ob sie tatsächlich infiziert sind, muss ein DNA-Test zeigen. Auch ein Paar aus Duisburg wird nach einer Italien-Reise auf Corona untersucht. Es ist im Fahrner Krankenhaus isoliert worden, nachdem es sich beim Gesundheitsamt gemeldet hatte – vorsichtshalber.
Desinfektionsmittel werden knapp
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Die Vorsicht wirkt sich derzeit stärker aus als die Krankheit selbst. Schulen sagen ihre Freizeiten ab. Die Notaufnahmen werden überrannt von besorgten Menschen, die Corona-Schnelltests einfordern – obwohl die dringende Empfehlung ist, sich telefonisch beim Hausarzt oder Gesundheitsamt zu melden. Die Kirchen verzichten auf Gemeinschaftskelche beim Abendmahl, auf Mundkommunion und Friedensgruß. Die Bischofskonferenz mahnt zur „Zurückhaltung am Weihwasserbecken“. Erste Firmen melden Kurzarbeit an. Und Deutschland desinfiziert.
In den Drogerien und Supermärkten sind vielerorts Hygiene-Tücher, Gels und Sprays ausverkauft, einschließlich Reisegrößen. Bei Amazon verlangen Drittanbieter schon Wucherpreise: knapp 40 Euro für 105 Sagrotantüchlein. Auch eine „verstärkte Nachfrage“ nach Nudeln, Konserven und anderen haltbaren Lebensmitteln stellen Aldi Süd und Lidl fest, teilten die Unternehmen am Donnerstag mit. Rewe konnte diesen Trend jedoch nicht bestätigen.
„Ich habe zum Glück noch ein bisschen Sagrotan“, sagt Helga K., 85, und zaubert ein halbvolles Fläschen Desinfektionsgel aus ihrer Handtasche. Sonderlich beunruhigt wegen der Corona-Krise ist die Essenerin eigentlich nicht – „Was kann man schon machen. Ich gehe nicht in große Menschenmengen“ – , aber ein weiteres Fläschchen Sagrotan hätte Helga K. schon gerne. „Ausverkauft.“ Der Apotheker im Einkaufszentrum Limbecker Platz zuckt entschuldigend mit den Schultern. „Seit gestern. Nachschub gibt es wahrscheinlich nächste Woche.“
Ganz so schlimm ist die Versorgungslage dann doch nicht. Bei Rewe im Center wird Helga K. fündig. Eine Packung Tücher und zwei Flaschen Spray der Eigenmarke stehen noch im Regal. „Nehmen Sie Pril, 20 Sekunden lang, hilft genauso“, rät die Verkäuferin.
Aber auch der Großhandel hat Lieferprobleme. Die Stadt Wesel versucht derzeit 150 mobile Desinfektionsspender für all ihre Gebäude zu bekommen – auf Anregung von Mitarbeitern. Doch die Lieferzeit beträgt zwei bis drei Wochen. Bei der Kreisverwaltung in Wesel stehen am Donnerstag die Telefone nicht mehr still: Ärzte fragen nach Ansprechpartnern, Bürger fordern Schutz und bitten um Informationen. Deutschland wird hektisch.
Kann das Gesundheitsamt auch Betriebe schließen?
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Viele Fragen scheinen offen, auch zwei Monate nach Beginn der Corona-Krise. Viele Firmen überarbeiten erst jetzt ihre Notfallpläne und fragen sich: Kann das Gesundheitsamt auch die Schließung eines Betriebs anordnen, so wie es bei Kitas und Schulen üblich ist? „Ja. Das ist möglich, wenn in der Belegschaft ein Fall auftritt“, sagt Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg. „Allerdings ist das kein Mechanismus. Es wird immer im Einzelfall entschieden. Die Gesundheitsbehörde wird immer mit der betreffenden Firma reden und abwägen.“ Der Fokus liegt eher auf einzelnen Personen, die gegebenenfalls unter Quarantäne gestellt werden, als auf der Firma als Institution.
Gleiches gilt für die Absperrung von Stadtteilen oder Städten. Das Infektionsschutzgesetz (§16 und §17) gebe es her, erklärt Essens Pressesprecherin Jasmin Trilling. „Das Gesundheitsamt darf theoretisch fast alles.“ Nur müsse die Maßnahme eben verhältnismäßig sein. Auch wenn das Gesundheitsamt oder der Krisenstab einer Stadt nominell zuständig sind, werde eine solche Entscheidung praktisch auf höherer Ebene getroffen. Und die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts und von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist derzeit – unabhängig von Fragen der Durchführbarkeit –, dass Corona eben nicht ausreichend gefährlich ist, um die Quarantäne ganzer Stadtteile zu rechtfertigen.
Keine besonderen Maßnahmen am Flughafen
Gelassen sieht man die Lage auch beim Flughafen Düsseldorf und der für ihn zuständigen Gesundheitsbehörde der Stadt. „Es gelten die Sicherheitsvorschriften, die immer gelten“, sagt Stadtsprecher Michael Bergmann. Wenn ein Passagier auf dem Flug erkrankt, wird der Flieger separat geparkt, ein Amtsarzt geht an Bord, checkt die Lage, trifft gegebenenfalls Sicherheitsvorkehrungen und nimmt Personalien der anderen Passagiere auf.
Das Gesundheitsamt Düsseldorf, wie auch die Ämter anderer Städte, hält sich an die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts. „Und danach gehört Corona nicht zu den gefährlichsten Sachen“, sagt Bergmann. Temperaturmessungen wie an chinesischen Airports hält er für „reine Symboltätigkeit“. Die Inkubationszeit sei sehr lang, viele Erkrankte mit leichtem Verlauf hatten kein Fieber, dieses lasse sich auch mit Paracetamol unterdrücken.
Aktuell sind lediglich die Flugverbindungen nach Peking, dreimal die Woche mit Air China, ausgesetzt bis Ende März. Die 60 Verbindungen nach Norditalien, darunter nach Mailand, Bologna und Venedig stehen laut einem Flughafen-Sprecher derzeit nicht zur Debatte. (mit Stephanie Heske, Martin Ahlers, Andreas Böhme)