Berlin. Der Anschlag in Magdeburg bewegt. Auch Kinder bekommen das mit. Eine Therapeutin gibt Eltern Tipps und warnt vor gängigem Fehler.

Der Anschlag in Magdeburg war für viele ein schwerer Schock. Ein Mann raste mit seinem Auto in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt – mindestens fünf Menschen starben, über 200 wurden verletzt. Der Täter wurde kurz danach festgenommen, die Ermittlungen laufen, das Motiv ist noch nicht ganz klar. Die Tat hat nicht nur in Deutschland für große Bestürzung gesorgt und war das beherrschende Thema am vierten Adventswochenende.

So bleibt es meist nicht aus, dass auch Kinder davon erfahren. Doch wie spreche ich mit meinem Kind über die Geschehnisse in Magdeburg? Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Sandra Münch gibt Tipps, wie Eltern und Angehörige mit Kindern über die Gewalt und Trauer sprechen können.

"Fassungslos": Magdeburger trauern um die Opfer des Anschlags

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    Frau Münch, sollten Eltern aktiv mit ihren Kindern darüber sprechen, was auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg geschehen ist, oder eher versuchen, das Thema zu vermeiden?

    Sandra Münch: Das hängt natürlich vom Alter der Kinder ab. Prinzipiell würde ich aber schon sagen, dass das schlimme Ereignis daheim einmal Thema sein sollte. Überall ist davon zu hören, in Radio, in den sozialen Netzwerken, auf der Straße – es bleibt also kaum aus, dass die Kinder irgendwann etwas mitbekommen. Aber ganz wichtig: Man sollte es natürlich nur ansprechen, wenn man selbst auch bereit ist, Fragen dazu zu beantworten.

    Bei Kindern entstehen vermutlich automatisch ganz viele Fragen. 

    Münch: Meist definitiv. Auch wenn da jedes Kind natürlich anders ist. Aber das Schlechteste, was passieren könnte, wäre, wenn man die Kinder mit ihren Fragen zurücklässt. Dabei geht es gar nicht darum, dass Eltern oder andere Erwachsene auf alles auch eine Antwort wissen müssen. Auf die vermutlich größte Frage, „Warum hat der Täter das gemacht?“ oder „Warum passiert so etwas Schreckliches?“, wird man die Antwort vielleicht auch selbst nicht oder nicht hundertprozentig kennen. Das macht auch uns Erwachsene hilflos. Und auch das darf Thema sein. Wichtig ist aber, dass man sich Zeit für das Gespräch nimmt und das Gespräch nicht abbricht, etwa weil man im Stress ist, noch Besorgungen machen muss.

    Sollten dabei wirklich alle Fragen beantwortet werden?

    Münch: Grundsätzlich ja, aber je nach Alter, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Es geht um Ehrlichkeit, aber auch bewusstes Vereinfachen. Bei Kindern im Kindergartenalter reicht es meist schon zu erzählen, dass es in Magdeburg einen Unfall auf dem Weihnachtsmarkt gab. Meine Erfahrung zeigt, dass sie so ein Thema dann aber eigentlich nur mehr beschäftigt, wenn sie persönlich betroffen wären. Andere Kinder sehen keinen Bezug zum eigenen Leben. Erst etwa ab dem Grundschulalter wird das Thema „Tod“ tatsächlich greifbarer, und es entsteht ein anderes Gefahrenbewusstsein. Dann knüpfen solche Nachrichten wie aus Magdeburg auch an eigene emotionale Erlebnisse an.

    Sie haben selbst drei Kinder im Alter von 9, 12 und 15 Jahren. Wie sind Sie vorgegangen?

    Münch: Ich hatte meinen Mann gefragt, ob er schon mitbekommen hat, was in Magdeburg passiert ist. Und in dem Zuge haben wir dann auch direkt unserer Jüngsten von den Geschehnissen erzählt. Aber ich würde gerade mit Kindern im Grundschulalter noch keine Sachen dazu im Internet anschauen oder im Fernsehen und ich würde ihnen auch keine Bilder zeigen, auf denen etwa Verletzte zu sehen sind oder das Ausmaß der Zerstörung klar wird. Ich würde die Geschehnisse nicht visualisieren.

    Wie ist das bei jugendlichen Kindern?

    Münch: Unsere Größeren haben wir gefragt, ob, und falls ja, was, sie dazu bereits mitbekommen oder gesehen haben. Viele Jugendliche haben bereits ein Handy, und da muss man im Blick behalten, was die eigenen Kinder zum Thema lesen, sehen und hören und was sie beschäftigt. Wichtig ist es dann natürlich, sich selbst auszukennen oder sich zu informieren, um Gesprächspartner auf Augenhöhe zu sein. Das ist bei Betroffenen aber natürlich noch viel wichtiger. Ihnen muss man das Gefühl vermitteln, dass man wirklich ganz genau Bescheid weiß. Das Kind muss spüren, egal, was es mir berichtet, es muss keine Angst haben, dass es mich schockiert, weil ich es ohnehin schon weiß. 

    Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Sandra Münch
    Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Sandra Münch rät Eltern, ihren Kindern ganz bewusst Rückfragen zu stellen. © privat | Privat

    Gibt es weitere Punkte, die Eltern unbedingt beachten sollten?

    Münch: Ganz wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass die Fragen der Kinder und wie wir Erwachsene die Frage verstehen, oft ganz unterschiedliche Dinge sind. Daher würde ich immer lieber einmal mehr nachfragen, wie genau etwas gemeint ist und was das Kind an etwas interessiert. Manchmal haben Fragen einen ganz anderen Hintergrund, und es gilt herauszufinden, was die Kinder meinen und was sie eigentlich wissen wollen. Auch Rückfragen sind bei Gesprächen mit Kindern immer sehr hilfreich.

    Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

    Münch: Wenn das Kind etwa fragt, warum der Täter das gemacht hat, dann kann man sagen, dass man es tatsächlich auch nicht genau weiß, und direkt zurückfragen: „Was denkst du denn? Was sind Gründe, warum jemand so was machen könnte?“ Wenn das Kind eigene Antworten hat, ist das sehr wertvoll, da sie dann auch zum eigenen inneren Erleben passen. Auch Eltern haben durch die eigene Emotionalität oft schon bestimmte Meinungen zu einem Thema und können durch solche Rückfragen sicherstellen, dass sie die Kinder in deren Realität abholen.

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    In der Weihnachtszeit stehen viele Familientreffen an. Wie vermeidet man, dass Kinder hier Dinge hören, die man als Eltern nicht gutheißt?

    Münch: Man kann ganz klar sagen, dass man darüber jetzt nicht sprechen möchte. Dabei ist es egal, ob Anschlag in Magdeburg oder ein anderes tragisches Ereignis oder ob Weihnachten oder ein anderes Treffen. Man kann betonen, dass man eigentlich aus einem anderen Grund zusammengekommen ist. Weihnachten ist ja gerade für Kinder ein bedeutungsvolles Fest, und an solchen Gesprächen könnten Kinder generell nicht gut teilnehmen. Ein kurzer Austausch darüber oder ein Beten für die Opfer ist durchaus okay, aber es sollte kein großes Thema sein.

    Und wie geht man damit um, wenn Kinder nun vielleicht selbst Angst haben vor dem geplanten Weihnachtsmarktbesuch mit der Familie?

    Münch: Es ist wichtig, die Kinder und ihre Ängste ernst zu nehmen. Es ist klar, dass so ein Ereignis Angst machen kann, und die Angst hat ihre Berechtigung und darf sein. Wenn man als Eltern entscheidet zu gehen, hat man ja selbst dagegen vermutlich keine Angst, und das würde ich teilen. Ich würde den Kindern erklären, warum man sich selbst keine Sorge macht. Man kann ihnen etwa sagen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass einem etwas passiert, und dass man davon nicht ausgeht. Man kann ihnen auch erklären, dass man sich ja auch täglich entscheidet, ins Auto zu steigen – trotz Unfallrisiko.

    Wie können Eltern ihr Kind unterstützen, wenn es von so einem Ereignis stark emotional betroffen ist?

    Münch: Ich würde ihm erstmal das Gefühl vermitteln, dass es okay ist, so traurig zu sein, und es ist wichtig, das Kind zu trösten. Bei kleineren Kindern kann das eine Umarmung sein. Für Jugendliche ist es vielleicht das Angebot, gemeinsam Zeit zu verbringen, um auf andere Gedanken zu kommen, oder ein Gespräch. Und wenn ich das Gefühl habe, die Reaktion und die Intensität der Traurigkeit ist übermäßig hoch, dann sollten Eltern hellhörig werden. Oft stecken hier noch andere Themen und Sorgen der Kinder oder Jugendlichen dahinter – etwa der Tod der Oma, der noch nicht verarbeitet ist. Auf Nachfrage haben sie meist schon selbst eine Idee, was noch dahinter stecken könnte.