Berlin. Heutzutage kann sich das Gefühl einstellen, dass die Welt „den Bach heruntergeht“. Was dagegen helfen kann, erklärt eine Top-Expertin.

Die Wahl in den USA, der allzeit drohende Klimawandel, und fast tägliche neue Kriegsdrohungen aus Russland: Das aktuelle Weltgeschehen kann auf jeden Fall erschlagen und im schlimmsten Fall sogar Angstzustände und psychische Schäden mit sich bringen.

Doch wie normal sind solche Ängste? Und wie kann man sich gegen solche Ängste wehren? Das erklärt Psychologin Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Direktorin des Zentrums für Psychologische Psychotherapie der Uni Greifswald und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.

Wie sollte man sich verhalten, wenn einem das Weltgeschehen Angst einflößt?

Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier: In herausfordernden Zeiten, in denen das Weltgeschehen Unsicherheit und Ängste auslöst, ist es wichtig, diese Gefühle zunächst als natürliche Reaktion anzuerkennen. Angst ist eine tief in uns verankerte biologische Reaktion, die uns darauf hinweist, dass mögliche Gefahren bestehen, und uns dabei helfen soll, uns zu schützen. 

Was genau passiert da in unserem Körper?

Brakemeier: Unser Körper aktiviert in solchen Momenten oft einen der drei grundlegenden Mechanismen: Kampf, Flucht oder Erstarren. Diese Reaktionen sind evolutionär bedingt und dienen dazu, unser Überleben in potenziellen Gefahrensituationen zu sichern. Allerdings können diese impulsiven Muster in unserer modernen, oft abstrakten Welt auch hinderlich sein. Statt uns von ihnen beherrschen zu lassen, können wir lernen, achtsam mit unseren Ängsten umzugehen. Es geht darum, sie nicht als überwältigende Hindernisse zu erleben, sondern sie in konstruktive und hilfreiche Reaktionen umzuwandeln.

Wie genau geht man dabei vor?

Brakemeier: Ein erster wichtiger Schritt besteht darin, Ängste bewusst wahrzunehmen und sie zu reflektieren. Geben Sie sich selbst die Erlaubnis, diese Gefühle zu spüren, und versuchen Sie, diese zu benennen: Was genau löst Angst aus? Welche Gedanken oder Bilder stehen im Vordergrund? Dieser Prozess der Selbstbeobachtung kann helfen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Darüber hinaus ist es wichtig, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Ein offener Austausch über Ängste und Sorgen kann entlastend wirken und oft auch neue Perspektiven eröffnen.

Wie entstehen solche Ängste überhaupt?

Brakemeier: Solche Ängste wurzeln oft in dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren – ein Zustand, der durch die Vielzahl globaler Krisen unserer Zeit noch verstärkt wird. Ob Klimakrise, anhaltende Konflikte, Kriege oder globale Pandemien: Diese Themen prägen nicht nur unsere Realität, sondern sind durch die ständige Berichterstattung in den Medien allgegenwärtig. Diese ununterbrochene Konfrontation mit komplexen und oft beängstigenden Entwicklungen kann das Empfinden von Ohnmacht und Unvorhersehbarkeit zusätzlich verstärken.

Besonders herausfordernd ist dabei die enorme Komplexität solcher globalen Herausforderungen. Sie entziehen sich oft unserem direkten Einfluss und lassen uns mit der Frage zurück, wie wir als Einzelne etwas bewirken können. Dieses Spannungsfeld zwischen Betroffenheit und vermeintlicher Machtlosigkeit kann dazu führen, dass Sorgen und Ängste immer mehr Raum einnehmen.

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Wie „natürlich“ sind solche Ängste?

Brakemeier: Ängste sind grundsätzlich ein natürlicher Schutzmechanismus, der uns auf Gefahren aufmerksam macht und unseren Körper in Alarmbereitschaft versetzt. In einer zunehmend komplexen und unsicheren Welt, in der Bedrohungen oft abstrakt und nicht kontrollierbar sind, können diese Ängste intensiver und nachhaltiger auftreten. Globale Risiken wie Klimakrise, Konflikte oder soziale und wirtschaftliche Instabilitäten entfalten sich langsam, was unser natürliches Angstsystem überfordern kann, da es schwerfällt, klare Handlungsstrategien zu erkennen oder direkten Einfluss zu nehmen.

In der Folge können solche anhaltenden Sorgen unsere innere Balance stören und sich negativ auf den Alltag auswirken. Das Bewusstsein darüber, dass diese Reaktionen nicht nur normal, sondern eine biologische Schutzfunktion darstellen, kann der erste Schritt sein, um ihnen mit mehr Verständnis und Mitgefühl zu begegnen. Gleichzeitig eröffnet es Raum für Strategien, diese Ängste zu regulieren und einen konstruktiven Umgang mit ihnen zu finden.

Eva-Lotta Brakemeier
Interview Psychologie Weltgeschehen Angst Psychologie  © Martin Pauer | Martin Pauer

Sind manche Menschen „eher“ betroffen als andere?

Ja, bestimmte Gruppen sind besonders anfällig. Jüngere Menschen beispielsweise reagieren häufig sensibler auf globale Krisen, da sie sich in einer Lebensphase befinden, in der Zukunftsplanung und Orientierung im Vordergrund stehen. Themen wie Klimakrise, soziale Unsicherheit oder wirtschaftliche Instabilität wirken nachvollziehbarer Weise in diesem Kontext besonders belastend. Ebenso neigen Menschen, die ohnehin psychisch vulnerabel sind, dazu, intensiver auf diese Ängste zu reagieren.

Die Klimakrise kann der Psyche zu schaffen machen, wie hier Waldbrände in den USA.
Die Klimakrise kann der Psyche zu schaffen machen, wie hier Waldbrände in den USA. © AFP | PATRICK T. FALLON

Können auch psychische Vorerkrankungen eine Rolle spielen?

Brakemeier: Vorbelastungen wie Angststörungen, Depressionen oder ein generell sensibles Stresssystem können die Wahrnehmung von Bedrohungen verstärken und den konstruktiven Umgang mit ihnen erschweren. Auch Personen, die sich stark in sozialen oder ökologischen Bewegungen engagieren, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Ihre intensive Auseinandersetzung mit belastenden Themen kann zu einem Gefühl der Überforderung beitragen.

Gibt es Selbsthilfe-Methoden für die Betroffenen?

Brakemeier: Ja, es gibt verschiedene Ansätze, die sowohl individuell als auch auf gesellschaftlicher Ebene hilfreich sein können – im Sinne des „One Health“-Ansatzes, der die enge Verbindung zwischen individueller, gesellschaftlicher und globaler Gesundheit betont. Die zentrale Strategie ist aktives Engagement. Konzentrieren Sie sich auf konkrete und überschaubare Handlungsfelder, in denen Sie etwas Sinnstiftendes bewirken können. Selbst kleine Aktivitäten können das Gefühl von Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit stärken. Besonders wertvoll ist Engagement, das gemeinsam mit anderen geschieht, da es zu einem Gefühl kollektiver Selbstwirksamkeit führen kann. Überlegen Sie: Welche kleinen Schritte können Sie direkt angehen, um einen positiven Unterschied zu machen?

Ein weiterer Ansatz ist die Akzeptanz. Nicht alles im Leben liegt in unserer Hand. Es ist wichtig, Dinge zu akzeptieren, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Achtsamkeitsübungen oder Akzeptanzstrategien können dabei helfen, gelassener mit unveränderlichen Gegebenheiten umzugehen.

Neben Engagement und Akzeptanz sollte auch an die Selbstfürsorge gedacht werden. Planen Sie gezielt angenehme Aktivitäten und Pausen in Ihren engagierten Alltag ein, um neue Energie zu tanken. Ob durch Bewegung, Entspannungstechniken, Zeit in der Natur oder bewusste Medienpausen – Selbstfürsorge ist essenziell, um langfristig belastbar und ausgeglichen zu bleiben.

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Ab welchem Punkt sollte man einen Arzt oder Psychologen aufsuchen?

Brakemeier: Wenn Ängste den Alltag erheblich beeinträchtigen, ist es wichtig, diese ernst zu nehmen und professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Typische Anzeichen können anhaltende Schlafstörungen, eine dauerhafte innere Anspannung oder das überwältigende Gefühl sein, den Anforderungen des Lebens nicht mehr gewachsen zu sein. Auch wenn Angehörige oder Freunde auf besorgniserregende Veränderungen hinweisen, sollten diese Hinweise ernst genommen werden. In solchen Fällen ist es ratsam, frühzeitig das Gespräch mit einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten beziehungsweise einer Ärztin oder einem Arzt zu suchen.