Düsseldorf. Unter widrigsten Bedingungen werden nach und nach die Schulen wieder geöffnet. Schüler, Lehrer und Eltern halten das für sehr riskant.

Gegen heftigen Widerstand hält die NRW-Landesregierung daran fest, die Abschlussjahrgänge der 10., 12. und 13. Klassen im Mai in die Prüfungen zu schicken. Bereits ab dem kommenden Donnerstag dürfen Schüler, die vor Abschlussprüfungen stehen, zur Vorbereitung freiwillig in die Schulen. Das betrifft rund 148.000 Jugendliche und junge Erwachsene. Die Abiturprüfungen beginnen wie geplant am 12. Mai.

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) verteidigte diese Entscheidungen: „Mit der Öffnung der Schulen und der Vorbereitungszeit auf die Prüfungen erzielen wir ein Stück Normalität für die Schüler und die Gesellschaft. Wir gehen den Weg der Prüfungen mit den anderen 15 Bundesländern“, sagte sie am Donnerstag im Schulausschuss des Landtags. Dies verschaffe den Schülern eine „enorme Sicherheit“ für die Anerkennung ihrer Abschlüsse.

Diesmal bleibt kein Schüler sitzen

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Auf die Zehntklässler wartet in diesem Schuljahr wegen der fehlenden Vorbereitungszeit keine zentrale Abschlussprüfung. Sie wird durch eine Klassenarbeit ersetzt, die sich nur auf das in der jeweiligen Schule Gelernte bezieht. Ab dem 4. Mai werden auch Grundschüler wieder in die Schulen gerufen, allerdings zunächst nur die vierten Klassen. Schüler, die nicht vor Abschlussprüfungen stehen, werden in die nächste Jahrgangsstufe versetzt. Ein Sitzenbleiben gibt es diesmal also nicht.

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Die Bildungsgewerkschaft GEW in NRW übte heftige Kritik an den Plänen. Insbesondere das Festhalten an den Abiturklausuren und den Prüfungen im Jahrgang 10 sei falsch. „Wie man unter diesen schwierigen Bedingungen an Prüfungen festhalten kann, macht mich fassungslos“, sagte GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern.

Reicht die Hygiene?

Die Vorbereitungszeit für die Schulen sei auch hinsichtlich der Hygienebedingungen zu kurz. Zudem stelle sich die Frage, wie viele Lehrkräfte überhaupt einsetzbar seien, so Finnern. Stefan Behlau, NRW-Chef des Verbands Bildung und Erziehung sagte, die Schulen dürften nicht geöffnet werden, wenn die Hygiene nicht gewährleistet sei.

Die Landesschülervertretung (LSV) lehnt den „geplanten verfrühten Unterrichtsbeginn uneingeschränkt ab“. Angesichts fehlender Masken sowie schlechter Sanitäranlagen würden Schüler und Lehrer in Gefahr gebracht.

SPD und Grüne kritisieren die Pläne heftig

Die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Monika Düker, warf der Landesregierung „Verantwortungslosigkeit“ vor. Die Schulen könnten sich nicht einheitlich auf diese Situation vorbereiten. Die Grünen-Bildungsexpertin Sigrid Beer hält Pflicht-Abiturprüfungen unter diesen Umständen für falsch. SPD-Schulexperte Jochen Ott sagte, es sei „fahrlässig“, die Kommunen bei der Schulhygiene alleine zu lassen.

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Nach und nach gehen die Schulen in NRW ab der kommenden Woche also an den Start. Von einem „Normalbetrieb“ kann aber noch lange keine Rede sein, so die Landesregierung. Hier zusammengefasst die wichtigsten Informationen für Schüler, Eltern und Lehrer:

Was geschieht in den nächsten Tagen?

Von Montag bis Mittwoch öffnen die Schulen zunächst für Lehrkräfte, anderes Personal und Schulträger. Sie sollen den Start vorbereiten. Ab Donnerstag können Schüler der 10., 12. und 13. Klassen zwecks Prüfungsvorbereitung wieder zur Schule gehen, dürfen aber auch zu Hause bleiben. Die Abi-Prüfungen beginnen am 12. Mai.

Ab dem 4. Mai öffnen die Grundschulen, zunächst aber nur für Viertklässler. Schüler an weiterführenden Schulen, die im nächste Jahr vor Prüfungen stehen, starten ebenfalls am 4. Mai . Danach werden die Schulen behutsam für andere Jahrgänge geöffnet. „Unterricht nach Stundenplan“ ist bis zu den Sommerferien dennoch undenkbar.

Die Schulen müssen strenge Hygienevorschriften einhalten, über die sie vom Land informiert werden, zum Beispiel Abstandsregeln und Händehygiene. Die Klassen werden in kleinere Gruppen aufgeteilt. Ältere Pädagogen und Lehrer mit Vorerkrankungen werden nicht zum Dienst gerufen, so die Landesregierung. Wer zu diesen Corona-„Risikogruppen“ zählt, werde in Kürze festgelegt.

Was erwartet die Zehntklässler?

Eine zentrale Prüfung gibt es diesmal nicht. Sie wäre laut Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) wegen fehlender Vorbereitungszeit „nicht fair“. Die zentralen Klausuren werden durch Arbeiten ersetzt, die sich auf den tatsächlich erteilten Unterricht beziehen. Die Fristen können verschoben werden, auf das Verfahren mit Vornoten und Abweichungsprüfungen wird verzichtet.

Was geschieht an Berufskollegs?

Auch sie öffnen ab Donnerstag ihre Türen für Klassen, die Abschlussprüfungen haben. Diese Schüler bekommen die Gelegenheit zur Prüfungsvorbereitung. Das betrifft das berufliche Abitur und die Fachklassen des Dualen Systems, die vor Berufsabschlussprüfungen oder vor dem Fachhochschulabschluss stehen.

Gibt es einen Plan B?

„Für den absoluten Notfall“ behält sich NRW ein Abitur ohne Abschlussprüfungen vor: ein „Durchschnittsabitur“, das auf den Noten der Vorjahre fußt. Diese Schüler hätten dann aber keine Sicherheit für die Anerkennung ihres Abiturs in anderen Ländern.

Was ist mit Sitzenbleiben?

Alle Schüler, die jetzt nicht vor einem Abschluss stehen, sollen versetzt werden. Auch nach der Erprobungsstufe in der 6. Klasse wird in diesem Jahr niemand zum Wechsel in eine andere Schulform gezwungen. Freiwillig ist das möglich, es würden auch Elterngespräche dazu geführt, so die Schulministerin. Eine freiwillige Wiederholung werde nicht als Sitzenbleiben gewertet.

Was sagen die Verbände?

GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern lehnt das Festhalten an den Prüfungen ab. „Zum einen wird ignoriert, wie ungleich die Voraussetzungen der Schüler für die Vorbereitung auf die Prüfungen sind, zum anderen wird von den Lehrkräften Unzumutbares verlangt.“ Die GEW-Vorsitzende sorgt sich um die Hygienestandards: „Wenn sich ab Donnerstag zum Teil Hunderte von Schülern einfinden sollen, um sich auf Prüfungen vorzubereiten, müssen doch alle Vorbereitungen für einen risikolosen Hygieneschutz abgeschlossen sein. Wie sollen die Schulleitungen das bewerkstelligen?“ Stefan Behlau, Chef des Verbandes Bildung und Erziehung in NRW, kritisiert die Sonderrolle von NRW beim Schulbeginn: „Fragwürdig bleibt der Start auf der Überholspur für die Prüfungsjahrgänge nach der Vollbremsung vom 13. März.“ Gesundheit und Sicherheit müssten Vorrang haben.

Was sagen Eltern?

Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW begrüßt es, dass der Abiturjahrgang schriftliche Prüfungen ablegen soll. Sprecher Dieter Cohnen schlug vor, dass Eltern die Schulen bei der Einhaltung der Hygienestandards unterstützen könnten, um zum Beispiel für Desinfektionsmittel und Seife zu sorgen. Anke Staar von der Landeselternkonferenz zeigt sich indes empört darüber, dass NRW an den Prüfungen festhalten will. Das würde personelle und räumliche Kapazitäten binden, die besser für die Betreuung von Kindern mit Beeinträchtigungen eingesetzt würden. Staar berichtet von einer Flut von Reaktionen: „Da ist viel Zorn bei vielen Eltern.“

Was sagen Schüler?

Die Landesschülervertretung NRW meint, der Unterrichtsbeginn gefährde die Gesundheit von Schülern und Lehrern. Es sei auch „unfair“, Schüler trotz ungleicher Vorbereitungsbedingungen in Prüfungen zu schicken. Die LSV bedauert, dass ihr Vorschlag einer Wahlmöglichkeit für das Abitur zwischen einer Klausur und einer Durchschnittsnote nicht berücksichtigt wurde.