München. Die mutmaßlichen Terroristen des NSU haben sich gegenüber ihren Helfern offenbar nur mit Decknamen ausgegeben. Diese Einschätzung geht aus der Vernehmung eines Helfers des Trios um Beate Zschäpe hervor. Uwe Böhnhardts Bruder sagte aus, nach dem Untertauchen des NSU keinen Kontakt gehabt zu haben.

Der mutmaßliche NSU-Helfer Matthias D. hat vor Gericht seine Aussage verweigert. Weil die Bundesanwaltschaft gegen ihn ermittelt, darf er schweigen, um sich nicht selber zu belasten. Stattdessen erläuterte ein Kriminalbeamter aus Zwickau die Aussagen, die Matthias D. im November 2011 bei der Polizei gemacht hatte. Der 38-jährige Kriminalist war damals sein Vernehmer.

Auf die Spur von Matthias D. kam die Polizei, nachdem sie die Mietverträge für die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 geprüft hatten. Diese Wohnung soll das letzte Quartier von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewesen sein.

Am 4. November 2011 wurde die Unterkunft am Nachmittag durch eine Explosion weitgehend zerstört. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, das Feuer dafür gelegt zu haben. Etwa drei Stunden davor hatten Polizisten Mundlos und Böhnhardt in einem Wohnmobil in Eisenach-Stregda entdeckt. Sie wurden gesucht, weil sie eine Sparkasse überfallen haben sollen. Als sich die Beamten dem Fahrzeug näherten, sollen sich die beiden Männer erschossen haben.

Matthias D. taucht für zwei Zwickauer Wohnungen über einen Zeitraum von etwa acht Jahren als Mieter in den Verträgen auf. Er soll der Polizei gesagt haben, dass ihn sein Bekannter, der ebenfalls Angeklagte André E., gebeten habe, die Wohnungen zu mieten. Der eigentliche Mieter solle Probleme mit der „Schufa“ habe.

Helfer hatte wenig Kontakt zu dem Trio

Die Personen, die in den beiden aufeinander folgenden Wohnungen gelebt hatten, will D. nur unter den Namen „Max-Florian B.“, „Garry“ und „Lisa“ gekannt haben. Laut Angaben des Beamten hatte sich Mattias D. auch nicht daran gestört, dass nur sein Name auf dem Klingelschild stand und auch der Internetanschluss über ihn lief.

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Bei der Polizei soll er anhand eines Fotos „Lisa“ als Beate Zschäpe erkannt haben. Bei „Garry“ für Böhnhardt und „Max-Florian B.“ für Mundlos sei er sich nicht so sicher gewesen. Erst als der Ermittler darauf verweisen haben, dass die vorgelegten Fotos älter seien, räumte D. damals ein, dass es die beiden Männer gewesen sein könnten. Max habe ihm einmal erzählt, dass Lisa und Garry ein Paar seien. Außerdem sollen die Drei keine Geldsorgen gehabt haben, weil der Vater von Max Professor in Jena war und regelmäßig Geld überweisen würde.

Matthias D. habe sich nach Angaben des Kriminalisten auf die Wohnungsanmietung eingelassen, weil er ein Zimmer in Zwickau gesucht hatte, in dem er tagsüber schlafen könne, da er als Fernfahrer vor allem nachts gearbeitet habe. Mit den Mietzahlungen soll es nie Probleme gegeben haben. Monatlich seien von ihm zwischen 50 und 70 Euro an Max gezahlt worden, je nachdem wie oft er übernachtet habe. Ansonsten soll es nur wenig Kontakt zu den Dreien gegeben haben.

Bönhardts Bruder steht vor Aussage

Auf Nachfrage von Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl räumte der Ermittler ein, dass Mattias D. nur davon gesprochen habe, Geld an den Max-Florian B. – also Mundlos – gezahlt zu haben. Stahl kritisierte daraufhin die Bundesanwaltschaft, die Zschäpe in der Anklage vorwerfe, sie habe das Geld für die Drei verwaltet. Diese Erkenntnis gehe auf Urlaubsreisen zurück, ignoriere aber knapp acht Jahre Wohnungsanmietung, so der Rechtsanwalt.

Der 125. Verhandlungstag begann mit etwa einer Stunde Verzögerung. Eine Gerichtssprecherin informierte, dass Beate Zschäpe an Kopfschmerzen leide. Offenbar war auch ein Arzt konsultiert worden. Mit Beginn der Verhandlung kritisierte Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm, dass mit dieser Information gegen die Persönlichkeitsrechte ihrer Mandantin verstoßen wurde.

Bönhardt-Bruder wusste von nichts

Am Nachmittag sagte der acht Jahre ältere Bruder von Uwe Böhnhardt vor Gericht aus. Mehrfach spricht der Zeuge davon, dass der jüngere Bruder „ausgerissen“ sei. Richter Manfred Götzl ignoriert das zum Beginn seiner Befragung, hakt dann aber erwartungsgemäß nach. Der Zeuge meint die Flucht von Uwe Böhnhardt, gemeinsam mit Beate Zschäpe und Uwe Mundlos: Sein Untertauchen in die Illegalität, nachdem im Januar 1998 bei einer Razzia in einer von dem Trio genutzten Garage Teile von Rohrbomben gefunden wurden.

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So formuliert das der ältere Bruder aber nicht. Es spricht dann davon, dass sie „abgehauen“ seien. Er habe sich noch gewundert, warum sein kleiner Bruder nicht mehr bei ihm vorbei gekommen sei, erzählt der Zeuge. Etwa drei, vier Wochen später erzählte ihm dann seine Mutter, dass der Uwe wahrscheinlich nicht mehr zurückkommt. „Ich glaube, es ging um Bomben“, so der Zeuge. Wie er zur Schuld seines kleinen Bruders bei den Uwe Böhnhardt vorgeworfenen Verbrechen steht, lässt der Zeuge gestern nicht ein einziges Mal erkennen.

Vor Gericht macht er aber deutlich, dass er dessen Abdriften in die rechtsextreme Szene nicht gut fand. Nach seinen Angaben habe die Familie sogar gehofft, dass die Freundschaft mit Beate Zschäpe vielleicht dazu führe, dass er aus der Szene wieder herausfinde. Seiner Freundin sei damals nicht anzumerken gewesen, dass sie auch zu den Rechtsextremen gehört habe. Beate Zschäpe schildert er als „nett, nicht bösartig“.

Über die Flucht konnte der Zeuge anfangs wenig sagen. Erst auf Nachfrage wurde klar, dass sich die Eltern von Uwe Böhnhardt zwei oder drei Mal mit ihrem Sohn nach seinem Untertauchen getroffen haben könnten. Wo und wie das organisiert wurde, wusste der Zeuge nicht, sagt er. Als ihm aus den Akten vorgehalten wird, dass eine Ex-Frau der Polizei erzählt habe, dass er für ein Treffen mit Uwe eine Postkarte erhalten würde, reagierte der 44-Jährige verärgert. Er habe nie eine solche Postkarte bekommen, versicherte er und seinen Bruder seit dessen Flucht nicht mehr gesehen.

Dagegen soll seine Mutter auch mit Hilfe eines Rechtsanwalts versucht haben, Uwe Böhnhardt zur Rückkehr zu bewegen. Vom Uwes Tod erfuhr der 44-Jährige erst Tage danach. Seine Mutter habe ihn nicht erreicht, erzählt er und bestätigt, dass Beate Zschäpe die Mutter einen Tag nach den Ereignissen von Eisenach angerufen habe.