München. Viele Hintergründe zum braunen Terror des “Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) liegen weiter im Dunkeln. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt bis heute. Nach Angaben ihrer Anwälte konnte ihr bisher noch nicht die Mittäterschaft an den zehn Morden nachgewiesen werden.
Im Staatsschutzprozess gegen eine mögliche rechtsextreme Terrorzelle und vermutete Helfer beginnt an Dienstag der 100. Verhandlungstag. Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle wirft die Bundesanwaltschaft den drei mutmaßlichen Mitgliedern des nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor. Mundlos und Böhnhardt leben nicht mehr. Sie sollen sich am 4. November 2011 in Eisenach erschossen haben, als sie von der Polizei entdeckt wurden.
Gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte verhandelt seit dem 6. Mai des Vorjahres der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in München. Der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, legte vor einem Jahr mit der Presseakkreditierung einen klassischen Fehlstart hin, ausländische, vor allem türkische Medien, fühlten sich benachteiligt.
Die Presseplätze mussten erneut verlost werden. Doch seither wird intensiv verhandelt. Der Senat und seine Richter haben mehrere Befangenheitsanträge überstanden. Das Gericht ist bemüht, kaum Leerlauf zuzulassen.
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Dem Prozess sitzt ein Senst mit fünf Richtern und drei Ersatzrichtern vor. Den fünf Angeklagten wurden elf Verteidiger zur Seite gestellt. Die Bundesanwaltschaft schickt vier Ankläger, drei Männer und eine Frau. Zudem wohnt den Verhandlungen immer wieder auch ein Gutachter bei, der die Hauptangeklagte einschätzen soll.
Seine wirkliche Dimension erfährt das Münchner Verfahren aber durch die unzähligen Opfer, die der NSU hinterlassen hat. Allein zehn Menschen sollen von mutmaßlichen Mitgliedern erschossen worden sein. Unter den Todesopfern befinden sich neun Menschen mit Migrationshintergrund. Das jüngste Opfer war der 21-jährige Halit Yozgat, der am 6. April 2006 in Kassel in seinem Internetcafé getötet wurde.
Motiv der Fremdenfeindlichkeit wurde nicht geprüft
Sein Vater schilderte eindrücklich, wie die Polizei die Familie verdächtigt hat, wie die Angehörigen des Toten über Jahre Anfeindungen ausgesetzt waren. Ein Leid, dass fast alle Familien der Opfer erfahren mussten. Denn bei keinem der rassistischen Morde wurde ernsthaft geprüft, ob Fremdenfeindlichkeit ein Motiv gewesen sein könnte.
NSUDabei gab es mehrfach Hinweise, auch auf Radfahrer. Nach dem Mord an Ismail Yazar 2005 in Nürnberg sagte eine Frau den Ermittlern, dass die beiden Männer, die sie mit Fahrrädern kurz nach der Tat am Imbiss-Kiosk von Yazar gesehen habe, denen stark ähneln, die vor dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004 von einer Überwachungskamera gefilmt wurden. Heute sind sich die Ermittler sicher, dass es damals in Köln Mundlos und Böhnhardt waren.
Alle zehn Morde wurden inzwischen in den Prozess eingeführt. Der tödliche Anschlag auf die 22-jährige Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn soll der letzte Mord des NSU gewesen sein.
Mehr als 100 Zeugen sagten bisher aus: Ermittler, die Angehörigen der Opfer, Sachverständige und Gutachter und seit diesem Jahr verstärkt auch frühere Freunde und Bekannte der Angeklagten, viele aus ihrem rechtsextremen Umfeld.
Details sind für Angehörige der NSU-Opfer nur schwer zu ertragen
Manche Aussagen waren nur schwer zu ertragen: Wenn dem Gericht mit akribischer Genauigkeit Verletzungen der Mordopfer und das Vorgehen der Täter geschildert wurden, verließen die Angehörigen der Getöteten nicht selten den Münchner Schwurgerichtssaal A101.
Doch für den Prozess sind diese Schreckensszenarien notwendig. Mit Zschäpe, Ralf Wohlleben und Andé E. schweigen drei der fünf Angeklagten. Deshalb sieht sich das Gericht immer wieder gezwungen, jedes für erforderlich gehaltene Detail einzuführen und vortragen zu lassen.
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Das ist ein mühsames und zeitaufwendiges Sammeln von Fakten für die Schuld oder die Unschuld der Angeklagten. Nicht selten gingen die Ansichten von Verteidigung und Nebenklage über die Bewertung einer Aussage weit auseinander. Weil nicht nur die Angeklagten schweigen, muss das Gericht immer wieder, statt der eigentlichen Zeugen, Vernehmungsbeamte befragen.
Denn manch einer, der vor zwei Jahren noch Angaben bei Bundesanwaltschaft und Polizei gemacht hatte, sagt inzwischen lieber nichts mehr. In mehreren Fällen setzte die Verteidigung durch, dass früheren Zeugen nun ein Aussageverweigerungsrecht zusteht, weil auch diese in den Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder der Beihilfe zum Mord geraten könnten. So geschehen auch bei Zeugen, die etwas über das Beschaffen der mutmaßlichen NSU-Mordwaffe, einer Pistole der Marke „Ceska 83“, wissen könnten.
Zschäpes Verteidigung kritisiert Vorgehen der Beamten
Referieren dann Vernehmer die früheren Aussagen der Zeugen, kritisiert die Verteidigung nicht selten das Vorgehen der Beamten und fordert für den einen oder anderen Fall, auch die früheren Zeugenaussagen nicht im Prozess zu verwenden. Häufig ist schon die Art, wie die Befragungen protokolliert wurden, Streitpunkt. Dafür gibt es keine festen Regeln.
Die Verteidiger von Beate Zschäpe gehen davon aus, dass ihrer Mandantin bisher im Prozess weder die Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung noch die Mittäterschaft an den zehn Morden nachgewiesen wurde.
Chronik der Fahndung nach den NSU-Terroristen
Das machte Rechtsanwalt Wolfgang Heer vergangenen Donnerstag in einer Erklärung noch einmal deutlich. Zur Tatbeteiligung Zschäpes an den beiden Sprengstoffanschlägen in Köln und den 15 Raubüberfällen kann bisher ohnehin noch nichts gesagt werden, da diese noch nicht im Prozess behandelt wurden.
Erhärtet wurde dagegen der Vorwurf der Brandstiftung im besonders schweren Fall. Mehrere Zeugen hatten die Hauptangeklagte unmittelbar nach der Explosion ihrer Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße 26, am Tag des Entdeckens des NSU, auf der Straße vor dem Haus gesehen.
Sie soll zwei Katzenkörbe in die Einfahrt eines gegenüberliegenden Grundstücks gestellt haben. Im Januar lieferte ein Gutachter an Hand der Spuren zudem eine Erklärung, wie das Feuer in der Wohnung gelegt und gezündet worden sein könnte.
Bildung einer Terroristischen Vereinigung noch unklar
Der Angeklagte Carsten S. hat sich mit seiner Aussage, am Beschaffen der Tatwaffe für die fremdenfeindlichen Morde beteiligt gewesen zu sein, selber belastet. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor. Entlastend wird ihm angerechnet, dass er mit seinen Aussagen einen großen Anteil am Aufdecken möglicher Verbrechen hat, die vom NSU begangen worden sein sollen.
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Auch Ralf Wohlleben wird Beihilfe zum Mord in neun Fällen vorgeworfen. Vor allem die Aussage von Carsten S. belasten den früheren NPD-Funktionär aus Jena. Mehrere Zeugen, die Wohlleben mit belastet haben, müssen aber inzwischen keine Angaben mehr machen. Seine Verteidiger haben auch frühere Vernehmungen dieser Zeugen in Frage gestellt.
Holger G. räumte die ihm vorgeworfene die Unterstützung des Trios unter anderem durch das Besorgen gefälschter Papiere ein. Vor Gericht beschränken sich seine bisher gemachten Angaben vor allem auf eine verlesene Erklärung.
Eine Verurteilung wegen Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung ist aber nur dann möglich, wenn das Gericht die Bildung einer Terroristischen Vereinigung als gegeben ansieht. Die Hürden dafür sind sehr hoch.
Das Gleiche gilt für André E. Auch er ist wegen Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung angeklagt. Er steht unter anderem im Verdacht, das Bekennervideo des NSU produziert zu haben. Zudem wird ihm Beihilfe zum versuchten Mord und zu einer Sprengstoffexplosion vorgeworfen. Bisher wurde aber noch nicht über die Kölner Sprengstoffanschläge verhandelt.
Bilder zum NSU-Prozess
Damit und mit den 15 Raubüberfällen, die von mutmaßlichen Mitgliedern des NSU begangen worden sein sollen, wird sich das Gericht in den nächsten Monaten noch beschäftigen müssen. Zum 100. Verhandlungstag wurden ein weiterer Thüringer Verfassungsschützer und ein möglicher Helfer beim Untertauchen des Trios als Zeugen nach München geladen.