Essen. 1993 stirbt ein Neunjähriger in Thüringen. Uwe Böhnhardt gerät ins Visier der Fahnder. Verdächtigt wird auch ein Freund des Neonazi-Killers. Der Fall Bernd ist nur eine der ungeklärten Kindestötungen in den neuen Ländern aus der Nach-Einheits-Zeit. Und doch hat er besondere Brisanz.

Es ist der 6. Juli 1993. Der neunjährige Bernd Beckmann aus Jena in Thüringen hat wieder mal Probleme in der Schule. Er reißt aus. Er will zu den Großeltern. Ein älteres Paar sieht ihn, spät am Abend, noch im Bus. Es ist das letzte Lebenszeichen. Zwölf Tage später wird Bernds Leiche am Saale-Ufer gefunden. Er wurde ermordet. Wie kam er um? Wurde er missbraucht? Das verschweigt die Polizei seit 21 Jahren. Sie will „Täterwissen“ nicht preisgeben. Ein Täter wurde nie ermittelt.

Der Fall Bernd ist nur eine der ungeklärten Kindestötungen in den neuen Ländern aus der Nach-Einheits-Zeit. Die Akten stauben ohne neue Spuren in den Regalen. Doch der Verdacht, dem thüringische Staatsanwälte im Fall Bernd nachgehen, hat besondere Brisanz.

War es ein Freund von Böhnhardt?

Die Ermittler glauben: Das Kind könnte einem Mörder zum Opfer gefallen sein, der später zum Dunstkreis des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gehört hat, dem Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe. Die Bundesanwaltschaft wirft der Gruppe zehnfachen Mord zwischen 2001 und 2007 aus Hass und rassistischen Motiven vor. Opfer waren meist türkische Gewerbetreibende. Zschäpe steht dafür in München vor Gericht. Böhnhardt und Mundlos sind 2011 bei einer geplanten Festnahme selbst aus dem Leben geschieden.

Auch interessant

Staatsanwalt Jens Wörmann aus Gera fahndet trotz Böhnhardts Tod in dessen Vorleben. Könnte Böhnhardt Bernds Mörder gewesen sein? Oder Enrico T., ein Ex-Freund des mutmaßlichen Neonazi-Killers? Er ist Zeuge im NSU-Prozess, weil er die Mordwaffe Ceska mit besorgt haben soll.

Der Fall wird jetzt wieder aufgewärmt

Es sind Vernehmungen im Zusammenhang mit der Münchner Anklage, die die Spur des Kindesmordes aus dem Jahr 1993 nun wieder aufwärmen. Enrico T. hat damals schon Verdacht erregt. Ihm gehörte ein Außenbordmotor, der am Tatort lag. Als die Fahnder 2012 den Weg der Ceska-Pistole verfolgten und Aussteiger aus der rechten Szene fragten, bekamen sie den Hinweis: T. „stehe auf kleine Kinder“.

Enrico T. sagt, er habe mit dem Kindesmord nichts zu tun. Sein Boot samt Motor sei eine Woche vor dieser Tat gestohlen worden. Er sagt auch: Böhnhardt, damals noch befreundet mit ihm, habe gewusst, wo das Boot lag. Als T. später von den NSU-Morden erfahren habe, da habe er gedacht: Böhnhardt hat Bernd getötet, um ihm die Tat in die Schuhe schieben zu können.

„Wenn ihr Böhnhardt seht, dann rennt“

Denkt man einfach so? Die Szene der jungen Menschen aus Jena war lange vor dem ersten Ceska-Mord im Jahr 2001 gewalttätig. „Wenn ihr Böhnhardt seht, dann rennt.“ Der Satz war bekannt um 1992/93. Körperverletzung, Erpressung, Einbruch, Diebstahl standen in seiner Polizeiakte. „Ein lebhaftes Kind“, sagt seine Mutter. Die Polizei prüft überdies seit wenigen Wochen, ob der Neonazi etwas mit dem Tod von Sven und Michael Silbermann in Dresden zu tun hatte. Die Brüder wurden als „Verräter“ 1995 regelrecht hingerichtet. Aber Enrico T. ist auch kein Engel. Zusammen mit Böhnhardt habe er Autos geknackt, berichten Zeugen.

Untersuchungen zeigen, dass gemeine Kriminelle oft in Rechtsextremismus abgleiten, Rechtsextreme wiederum gemeine Kriminalität begehen. Findet die Polizei bald einen schrecklichen Beleg für die Thesen?

„Wir haben verbesserte Möglichkeiten, Spuren auszuwerten“, sagt Staatsanwalt Wörmann.