München. Seit genau einem Jahr läuft der NSU-Prozess. Vor dem Gericht in München demonstrieren türkische Verbände gegen die schleppende Aufklärung. Die Staatsanwaltschaft dagegen sieht die Mordanschläge “fast“ durchverhandelt. Und drinnen sorgt Hauptangeklagte Beate Zschäpe für einen Eklat.

Weiß-blau wölbt sich der Himmel über vor dem Münchner Strafjustizzentrum. Rot wehen die Fahnen des DIDF, einem Dachverband türkischer Arbeiter- und Kulturvereine. Ufuk Altun steht in der Morgensonne und berichtet, warum er hier ist. „Es ist ja bisher noch nicht so viel aufgeklärt worden“, sagt er. Insbesondere sei noch ungewiss, wer hinter den Verbrechen stehe, was sich dahinter verberge. „Das beunruhigt uns.“

Es ist Jahrestag, ein merkwürdiger gewiss, aber eben doch ein Jahrestag. Vor dem Eingang beglückwünscht eine gut aufgelegte Gerichtssprecherin mit ironischem Timbre Bundesanwalt Herbert Diemer, der hernach routiniert in die öffentlich-rechtlichen Kameras erzählt, was er schon gelegentlich des 100. Verhandlungstags vor gut einem Monat mitteilte.

Mit zehn Mordanschlägen "fast durch"

Es seien, sagt er, „zahlreiche Beweistatsachen“ eingeführt worden, mit den zehn Mordanschlägen sei man „fast durch“. Der Prozess befinde sich auf „einem guten Weg“.

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Im Vergleich dazu, was sich genau vor einem Jahr zuvor an dieser Stelle abspielte, bleibt es an diesem Dienstagmorgen ruhig. Damals, am 6. Mai 2013, war der Platz vor dem Gericht voller Demonstranten, Prozessbeteiligter und Journalisten. Die Polizei hatte ihre liebe Not. Diesmal gibt es für die zusätzlich angerückten Beamten wenig zu tun. Die Fahnen des DIDF wehen einsam. Drinnen, im Gerichtssaal, sind immerhin fast alle Plätze auf der Besuchertribüne besetzt, die meisten von ihnen sind Türken oder Deutsch-Türken.

Diesmal ist für die in mehreren Einsatzwagen angerückten Beamten wenig zu tun. Die Fahnen des DIDF wehen einsam. Nur ein, zwei Kamerateams mehr als sonst suchen nach Gesprächspartnern. Drinnen, im Gerichtssaal, sind immerhin fast alle Plätze auf der Besucher- und Pressetribüne besetzt. Unter den Zuschauern befinden sich besonders viele Türken oder Menschen türkischer Abstammung. Die meisten sind aus Köln angereist, wo vor knapp 10 Jahren eine dem NSU zugeschriebene Nagelbombe explodierte und zwei Dutzend Menschen zum Teil schwer verletzte.

Latenter Rassismus innerhalb der Sicherheitsbehörden?

Als erster Zeuge ist ein Dortmunder Kriminalbeamter geladen, der die Verwirrung um eine andere Zeugenaussage aus dem April 2006 auflösen soll. Damals war in Dortmund der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik mutmaßlich von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen worden. Eine Nachbarin wollte zwei Männer nahe dem Tatort zur Tatzeit gesehen haben.

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Im Protokoll ihrer ersten Vernehmung hieß es, sie habe die Beiden als Neonazis beschrieben. Laut den Akten nahm sie sie jedoch diese Behauptung später wieder zurück und sprach von „Junkies“. Die Frau selbst sagte bei ihrem Auftritt vor Gericht im vergangenen November, sie habe, sofern sie sich überhaupt noch erinnern könne, beide Begriffe gebraucht.

Die Aussage des an der zweiten Vernehmung beteiligten Polizisten bringt am Dienstag keine Aufklärung darüber, ob damals die Ermittler eine Spur in Richtung Rechtsextremismus ignorierten. Dies jedenfalls vermuten einige Vertreter der Nebenkläger und sehen ihre These eines latenten Rassismus innerhalb der Sicherheitsbehörden bestätigt.

Beate Zschäpe lässt um Unterbrechung bitten

So weit, so bekannt. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes. Mitten in der Aussage des Beamten bittet Wolfgang Heer als einer der drei Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe um eine sofortige Unterbrechung aus „gesundheitlichen Gründen“. Seiner Mandantin gehe es nicht gut.

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Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl unterbricht erst für zehn Minuten, dann für eine halbe Stunde, dann für zwei Stunden – und dann nochmals für eine Stunde. Vor dem Gerichtsgebäude hat sich inzwischen eine kleine Kundgebung formiert. Überlebensgroße Fotos der Mordopfer werden gezeigt, auch die Linkspartei hat eine große Fahne ausgerollt. Parolen wie „Tod dem Faschismus“ werden auf Türkisch und Deutsch skandiert.

Es ist fast 14 Uhr, als das Gericht endlich wieder erscheint. Die Hauptangeklagte, sagt Götzl, habe „über den Wachtmeister“ mitgeteilt, dass sie sich „nicht vorführen“ lasse. Herr erklärt dagegen, dass sich „nichts an dem Zustand der Mandantin geändert“ habe. „Ihr ist übel. Sie sieht sich nicht im Stande, der Hauptverhandlung zu folgen.“

"Ihr ist übel"

Nach einem langwierigen juristischen Geplänkel, das von etlichen Beratungspausen unterbrochen wird, teilt der Richter mit, dass ein Arzt festgestellt habe, dass Zschäpe „mit gewissen Einschränkungen“ verhandlungsfähig sei. Bei der Ursache der Übelkeit handele es sich nach Zschäpes eigenen Angaben um eine Nachricht, die sie vor Sitzungsbeginn erhalten habe, deren Inhalt sie aber nicht preisgeben wolle.

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Nun beantragt Chefankläger Diemer für Generalbundesanwaltschaft „die Vorführung der Angeklagten“ durch das Wachpersonal, derweil die Verteidigung die Darstellung des Arztes anzweifelt und einen Befangenheitsantrag gegen den Arzt stellt.

Am Ende erinnert dieser vergeudete Verhandlungstag auf verblüffende Art an den Prozessbeginn vor einem Jahr. Auch damals hatte die Verteidigung mit immer neuen Anträgen teils tagelange Unterbrechungen produziert. Als Richter Götzl endlich ein Einsehen darin hat, dass sich nicht jedwedes Problem mit Paragrafen regeln lässt, haben die meisten Besucher den Gerichtssaal längst verlassen.

Die Verteidigung wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, wie die ominöse Nachricht an Zschäpe lautete. Das Gerücht, dass es der Großmutter der Angeklagten schlechter gehe, dementierte sie allerdings.