Köln. Der Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Köln erhitzt die Gemüter. Bereits am Vorabend gab es verbale Auseinandersetzungen der verfeindeten Lager. 15.000 Erdogan-Anhänger werden am Samstag in der Lanxess-Arena erwartet - doppelt so viele Gegner wollen in der Stadt demonstrieren.
Vor sechs Jahren ist Recep Tayyip Erdogan schon einmal Köln aufgetreten. Damals hingen überall in der Stadt große Plakate mit seinem Bild. "Will Erdogan Bundeskanzler werden?", fragten Spötter. Diesmal hat die einladende Organisation - die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) - auf Plakate verzichtet. Noch ist Erdogan nirgends zu sehen. Aber geredet wird viel über ihn. Und am Freitagabend hat es bereits die ersten Konfrontationen in Köln gegeben.
Der türkische Minister Emrullah Isler wurde von Regierungsgegnern erkannt, als er in einem türkischen Restaurant in der Kölner Weidengasse zusammen mit dem türkischen Botschafter in Deutschland zu Abend aß. Rund 300 Menschen protestierten spontan gegen das türkische Regierungsmitglied mit Parolen wie "Erdogan ist ein Faschist". Kurz darauf versammelte sich auch eine Gruppe regierungsnaher Demonstranten in der Weidengasse. Die Polizei verhinderte ein direktes Aufeinandertreffen der beiden Gruppen. Der Minister trat mit seinem Wagen die Flucht an.
Wenn Erdogan selbst am Samstag nach Köln kommt, dann kommt er auch in die Stadt des Türken "Ali". Unter diesem Namen recherchierte Günter Wallraff in den 80er-Jahren sein Enthüllungsbuch "Ganz unten". In seinem Gartenhaus in Köln-Ehrenfeld stehen die vielen fremdsprachigen Ausgaben im Schrank, auch die türkische: "En Alttakiler".
Keine Erdogan-Fans unter den Freunden
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"Selbst Erdogan-Anhänger sehen in mir noch den 'Ali'", sagt Wallraff. Unter seinen türkischen Freunden sei allerdings kein einziger Erdogan-Fan, egal ob Arbeiter oder Intellektueller. "Von daher sehe ich in der politischen Show, die er hier abzieht, schon auch eine Brüskierung all jener in Deutschland lebenden Türken, die sich hier längst zu Hause fühlen."
Die erwarteten Jubelszenen aus der Arena sind für ihn reine Inszenierung. "Die Karten sind ja alle schon verteilt, die Zuschauer werden aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Belgien und Holland mit Bussen herangekarrt, um sicherzustellen, dass er dort frenetisch gefeiert wird."
In der Türkei könne Erdogan nicht mehr auftreten, ohne ausgebuht zu werden. "Und deshalb veranstaltet er hier diese Propagandashow vor handverlesenem Publikum. Das wird live in die Türkei übertragen und soll zeigen, wie er im westlichen Ausland gefeiert wird." Er traue Erdogan durchaus zu, am Ende auch noch Wählerstimmen zu manipulieren, meint Wallraff.
Ein Besuch bei Erdogans Befürwortern
Nur wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt wird die entgegengesetzte Meinung vertreten. Dort wächst an einer quirligen Straße mit türkischem Gemüsehändler und Wasserpfeifen-Café die neue Hauptverwaltung der Türkisch-Islamischen Union Ditib empor. Dieser größte islamische Dachverband in Deutschland ist direkt der Erdogan-Regierung in Ankara unterstellt. Die jungen Männer, die vor der Kuppelmoschee aus Beton auf den Beginn des Freitagsgebets warten, erweisen sich als stramme Verteidiger des Regierungschefs.
"Schauen Sie, was der Erdogan alles eingeführt hat", sagt ein 29-Jähriger. "Der deutsche TÜV ist in der Türkei jetzt zuständig für Verkehrssicherheit. Wissen Sie, wie viele Autos deshalb schon ausgemustert worden sind? Wie viele Menschen in der Türkei das ihre Existenz gekostet hat? Und trotzdem hat Erdogan es gemacht! Weil ihm die Sicherheit wichtig ist."
Ein Wohnort der Minderheiten
Auf der anderen Rheinseite, im Stadtteil Mülheim, liegt die Keupstraße. Sie erlangte traurige Bekanntheit durch einen Nagelbombenanschlag der Neonazi-Zelle NSU. Mülheim ist seit Jahrhunderten ein Wohnort der Minderheiten: Vor 400 Jahren lebten dort die Protestanten - heute sind es die Türken.
Hier fallen die Meinungen vielstimmiger aus. Der 32 Jahre alte Emre findet auch, dass Erdogan einiges verbessert hat, zum Beispiel für Kranke und Alte. "Ich bin zwar kein Fan, aber ich muss sagen: Er macht was. Solange er was tut für die Menschen, werden die ihn auch wählen." Einige seiner Freunde wollen Erdogan sehen und haben sich Plätze in der Lanxess-Arena gesichert.
Ahmet Özkan ist gegen den Erdogan-Besuch: "Er soll besser bleiben, wo er ist. Er produziert jedes Mal Chaos, wenn er in Deutschland ist." Im August will Özkan bei der Präsidentschaftswahl von Deutschland aus mitwählen: "Aber nicht Erdogan!" (dpa/sat)