Ankara/Berlin. . Nach dem Grubenunglück in Soma haben sich deutsche Politiker parteiübergreifend gegen einen geplanten Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln ausgesprochen. Bei den Ermittlungen zum Unglück wurden am Sonntag Medienberichten zufolge 24 Menschen festgenommen.

Vier Tage nach dem schwersten Grubenunglück in der Geschichte der türkischen Republik hat die Regierung am Samstagabend die Bergungsarbeiten eingestellt. Bei den Ermittlungen wurden am Sonntag Medienberichten zufolge 24 Menschen festgenommen, darunter Führungskräfte der Bergwerks-Betreibergesellschaft Soma Holding. Zudem sei der Zugang zur Grube zugemauert worden.

Zu dem Areal hätten nur noch Experten Zutritt, die den Vorfall untersuchten. Unterdessen sorgt eine neue Videoaufnahme vom Besuch des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Bergarbeiterstadt Soma für Empörung. In Deutschland wächst derweil die Kritik an dem für Samstag geplanten Auftritt Erdogans in Köln.

"Es wird niemand mehr vermisst"

Bei dem Brand in der Kohlengrube, dem weltweit schwersten Bergwerksunglück seit fast 40 Jahren, sind nach offiziellen Angaben 301 Kumpel ums Leben gekommen, offenbar überwiegend durch giftiges Kohlenmonoxid. 485 Bergleute konnten sich in Sicherheit bringen oder gerettet werden. „Es wird niemand mehr vermisst“, erklärte der türkische Energieminister Taner Yildiz am Samstagabend.

Die Lage in der westtürkischen Bergarbeiterstadt blieb aber angespannt. Der örtliche Gouverneur hat alle Kundgebungen und Demonstrationen verboten. Tags zuvor hatte es Massenproteste gegen die Regierung gegeben. Die drei Zufahrtsstraßen, die nach Soma führen, wurden von der Polizei gesperrt und die Ortschaft damit praktisch von der Außenwelt abgeriegelt.

Eine Gruppe von Rechtsanwälten, die nach Soma kommen wollten, um Hinterbliebenen der Opfer Rechtsbeistand zu geben, wurde von der Polizei festgenommen und in Handschellen in ein Sportstadion gebracht. Erst auf Intervention eines Staatsanwalts seien die Anwälte später wieder freigelassen worden.

„Wenn Du den Ministerpräsidenten ausbuhst, bekommst Du eine geknallt!“

Im Internet ist inzwischen ein weiteres Video aufgetaucht, das Einzelheiten des umstrittenen Auftretens von Premier Erdogan am Tag nach dem Unglück in Soma zeigt. Erdogan hatte die Tragödie als „normal“ heruntergespielt, was Empörung und Wut unter den Hinterbliebenen der Opfer auslöste. Erdogan wurde in Soma mit Pfiffen und Buhrufen empfangen. Das neue Video zeigt, wie der Premier auf einen jungen Mann zugeht und ihn mit erhobenem Zeigefinger anherrscht: „Sei nicht frech! Was passiert ist, ist passiert. Es ist gottgegeben. Wenn Du den Ministerpräsidenten ausbuhst, bekommst Du eine geknallt!“

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Nach dem von Kritikern als provozierend empfunden Besuch Erdogans in der Bergarbeiterstadt wächst in Deutschland die Kritik an einem für Samstag geplanten Auftritt des türkischen Premiers. Erdogan will in der Kölner Lanxess-Arena vor Landsleuten sprechen. Offizieller Anlass ist das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.

Die Kundgebung dürfte aber im Zusammenhang mit der für August geplanten Präsidentenwahl in der Türkei stehen, bei der erstmals auch Auslandstürken abstimmen können. Von den 2,6 Millionen wahlberechtigten Türken im Ausland leben 1,5 Millionen in Deutschland. Bereits 2008 hatte Erdogan für Kontroversen gesorgt, als er bei einer Massenkundgebung in Köln Assimilation als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnete.

„Es ist nicht in Ordnung, dass Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht“

Vor dem Hintergrund der Katastrophe in Soma sei „dieser Auftritt in Deutschland das völlig falsche Signal“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU). „Herr Erdogan sollte auf seinen Auftritt in Köln verzichten.“

Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Strobl, kritisierte: „Es ist nicht in Ordnung, dass Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht.“ Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte, mit seiner Reaktion auf das Grubenunglück in der Türkei verwandele Erdogan die tiefe Trauer vieler Türken in Wut. Der Regierungschef könne jetzt nicht einfach Wahlkampf machen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner teilte mit, am klügsten wäre es, wenn Erdogan nicht käme.