Berlin. . Angela Merkel versucht, die Bevölkerung für die Europäische Union zu begeistern. In der Provinz gelingt ihr das immer noch besser als in der Hauptstadt, wo ihr Desinteresse und sogar Wut begegnen. Die Europawahl lässt viele Bürger kalt. Die Kanzlerin versucht tapfer, die Idee eines friedlichen und freien Europas wiederzubeleben.
Es ist trostlos. Der Wind kalt, der Himmel wolkenverhangen, die Zahl der Zuhörer übersichtlich. Und ständig muss Angela Merkel gegen den Protest anreden: Pfiffe. Buhrufe. Die CDU nennt es „Europafest“, für die Kanzlerin ist es eine Extraschicht.
Nachmittags, wenn andere Leute auf den Feierabend zugehen, zieht sie wie am Mittwoch in den Wahlkampf: 17 Uhr Wittenberge, zwei Stunden später Berlin, wo die pro-russischen Demonstranten sie lautstark stören.
Provinz ist ihr lieber
Meistens kommen mehr als die 200, 300 Leute in Berlin. Merkel tourt lieber durch die Provinz, in den mittelgroßen Städten ist sie Großereignis. In Eisenach, Naumburg, Wittenberge, Neumünster, Aachen ist der Andrang auf den Marktplätzen höher als auf dem Kudamm in Berlin.
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Indes verrät die Momentaufnahme viel über den Wahlkampf. Erstens: Die Wahl lässt viele Bürger kalt. Bei den Europawahlen 2004 und 2009 lag die Beteiligung bei 43 Prozent. Nun hört man in allen Lagern die Sorge: Am 25. Mai könnte es noch tiefer gehen. Einige Befragungen lassen darauf schließen; ebenso das laue Interesse am TV-Duell der Spitzenkandidaten.
Zweitens: Mit der Ukraine drängt sich ein Thema auf, das nicht nur in der Hauptstadt Merkels Auftritte überlagert. Drittens: Viele Wutbürger fühlen sich auf den Plan gerufen. Es sind die Leute, die jüngst in Berlin Plakate mit Sprüchen wie „Keine Nazis in der Ukraine“ hochhielten oder in Ingolstadt gegen eine Stromtrasse protestierten. Schon dort wurde die Kanzlerin ausgepfiffen.
Union bringt Schärfe in den Wahlkampf
Möglicherweise haben es kleine Protestparteien am 25. Mai doppelt gut: Weil keine Fünf-Prozent-Hürde gilt und bei einer geringen Beteiligung schon wenig Stimmen zu achtbaren Ergebnissen führen können. In den Umfragen liegen die meisten Parteien in der Nähe der letzten Bundestagswahl im Herbst 2013. Aber aus Erfahrung wissen sie, dass die Zahlen nur eine Grundstimmung ausdrücken und bei Europawahlen abweichen können.
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Dass die Christdemokraten die stärkste Partei bleiben dürften, ist wahrscheinlich. Sie sind es auch, die Schärfe in den Wahlkampf bringen, weil die CSU den SPD-Bewerber Martin Schulz hart angeht und Merkel Spekulationen ins Kraut schießen lässt, sie wolle ihn – im Falle eines Wahlsieges der Sozialisten – als EU-Kommissionspräsidenten verhindern. Dabei war es doch die Marketing-Idee des Wahlkampfes, ihn zu einem Rennen über den wichtigen Posten zu machen. Der erhoffte Effekt – die Mobilisierung – ist weithin verpufft.
Europawahl 2014Die Kanzlerin spürt bei ihren Auftritten das mäßige Interesse und kennt die Ungeduld gegenüber EU-Institutionen. Es grenzt selbst für eine politische Akteurin wie Merkel an ein Wunder, „dass wir in allen schwierigen Fragen immer noch eine Lösung gefunden haben“. Wenn sie Zweifel hat, vergewissert sie sich , „worüber wir in Europa nie streiten“: Zum Beispiel darüber, dass am 25. Mai freie, geheime Wahlen sind. „Wir haben Reisefreiheit, Pressefreiheit, bei uns muss niemand, wenn er noch so brüllt hier auf dem Platz, hinterher fürchten, dass er eingesperrt wird oder dass ihm irgendetwas passiert“, ruft Merkel. Sie erinnert daran, welche Probleme wir auf der Welt haben „und welches Glück wir in Europa haben“. Sie ist in solchen Momenten nahe an ihrem Vorgänger Helmut Kohl, für den Europa „eine Frage von Krieg und Frieden“ war.