Lünen. . Jaroslav (32) hat bei den Unruhen auf dem Maidan-Platz eine Hand verloren. Weil der Medizin-Student Arzt werden will, benötigt er eine Spezialprothese. Orthopädietechniker in Münster wollen die Prothese anpassen. Das Lüner Krankenhaus übernimmt die vorbereitende Behandlung kostenlos.

Drei Monate liegt das Blutbad auf dem Maidan in Kiew zurück. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Aber das stimmt nicht. Viele der im Februar Verletzten werden ihr Leben lang gezeichnet sein: schwer verstümmelt und seelisch verwundet. Drei Dutzend Maidan-Opfer haben das Glück, in Deutschland behandelt zu werden. Die meisten liegen in Bundeswehr-Krankenhäusern in Berlin, Koblenz und Ulm. Einige wenige haben es mit der Hilfe von Privatleuten nach Deutschland geschafft. Jaroslav Seleznov (32) gehört dazu. Ärzte in Lünen helfen ihm. Und Medizinstudenten aus Essen.

Jaroslavs Albtraum beginnt in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar. In dieser Nacht kommt der schwer verletzte Maidan-Aktivist wieder zu Bewusstsein, und er merkt, dass etwas Furchtbares mit ihm geschehen ist. „Wahnsinnige Schmerzen“ spürt er. Und er sieht viel Blut auf seinem Körper. Dann bemerkt er, dass seine linke Hand zerfetzt ist. „Mein erster Gedanke war: Meine Mutter wird sich aufregen“, sagt der Ukrainer. Sein zweiter Gedanke: „Wie kann ich denn mit einer Hand leben?“

Die einzige Chance für den Medizinstudenten: eine Spezialprothese

Jaroslav, Medizin-Student aus ­Kiew, sitzt im Konferenzzimmer des St.-Marien-Hospitals in Lünen. Er trägt eine Strickjacke, ein hellblaues Hemd, eine dunkelblaue Stoffhose und Sneaker. Jaroslav ist seit zwei Wochen in Deutschland, vorher lag er in einer Klinik in Warschau. Jaroslav will selber Arzt werden, träumt von einer Karriere als Virologe. Aber für die Feinarbeit im Labor braucht er zwei funktionierende Hände.

Konflikt um die Ukraine

Man kann es ihnen nicht ansehen, weil sie kein Hoheitsabzeichen tragen, aber faktisch hat Russland an vielen wichtigen Punkten auf der Krim Stellung bezogen.
Man kann es ihnen nicht ansehen, weil sie kein Hoheitsabzeichen tragen, aber faktisch hat Russland an vielen wichtigen Punkten auf der Krim Stellung bezogen. © REUTERS
Auch Panzer hat Moskau postiert - wie hier im Dorf Perevalnoye nahe Simferopol.
Auch Panzer hat Moskau postiert - wie hier im Dorf Perevalnoye nahe Simferopol. © REUTERS
Durch den Einsatz der Soldaten will Russland zeigen, dass es die neue Übergangsregierung der Ukraine nicht anerkennt.
Durch den Einsatz der Soldaten will Russland zeigen, dass es die neue Übergangsregierung der Ukraine nicht anerkennt. © REUTERS
Russische Soldaten halten Wache vor einer ukrainischen Militäreinheit in Perevalnoye.
Russische Soldaten halten Wache vor einer ukrainischen Militäreinheit in Perevalnoye. © REUTERS
Eine Frau fotografiert bewaffnete Soldaten in der ukrainischen Hafenstadt Feodosiya.
Eine Frau fotografiert bewaffnete Soldaten in der ukrainischen Hafenstadt Feodosiya. © AFP
Auf der Krim begegnen sich Ukrainer und Russen mit Argwohn: Ein ukrainischer Soldat beobachtet russische Militärs.
Auf der Krim begegnen sich Ukrainer und Russen mit Argwohn: Ein ukrainischer Soldat beobachtet russische Militärs. © REUTERS
In Simferopol sind russische Soldaten zurzeit ein alltägliches Bild.
In Simferopol sind russische Soldaten zurzeit ein alltägliches Bild. © REUTERS
Selbst die ganz Kleinen zeigen Flagge: In Simferopol trägt ein Junge eine Schleife in den Farben der russischen Flagge. Im Hintergrund sieht man einen ausgestellten T-34-Panzer.
Selbst die ganz Kleinen zeigen Flagge: In Simferopol trägt ein Junge eine Schleife in den Farben der russischen Flagge. Im Hintergrund sieht man einen ausgestellten T-34-Panzer. © AFP
Russische Marinemanöver im Schwarzen Meer als Drohgebärde.
Russische Marinemanöver im Schwarzen Meer als Drohgebärde. © dpa
Fotos vor Militärpanorama: Im Hafen von Sevastopol sieht man die Schiffe der russischen Marine.
Fotos vor Militärpanorama: Im Hafen von Sevastopol sieht man die Schiffe der russischen Marine. © dpa
Russland zeigt Zähne: Ein bewaffneter Mann steht in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Simferopol.
Russland zeigt Zähne: Ein bewaffneter Mann steht in der Nähe der ukrainischen Militärbasis in Simferopol. © Reuters
Mit kirchlichem Beistand blockieren Soldaten den Eingang eines ukrainischen Grenzpostens.
Mit kirchlichem Beistand blockieren Soldaten den Eingang eines ukrainischen Grenzpostens. © AFP
Rund 1000 Soldaten versammelten sich am Wochenende vor dem ukrainischen Grenzposten.
Rund 1000 Soldaten versammelten sich am Wochenende vor dem ukrainischen Grenzposten. © AFP
Moskau betont, mit dem Militär vor Ort wolle man die Interessen der russischsprechenden Minderheit auf der Krim verteidigen.
Moskau betont, mit dem Militär vor Ort wolle man die Interessen der russischsprechenden Minderheit auf der Krim verteidigen. © dpa
Selbstverteidigungseinheiten haben in Simferopol Stellung bezogen.
Selbstverteidigungseinheiten haben in Simferopol Stellung bezogen. © Reuters
Die prorussischen Milizen machen mit ihren blau-weiß-roten Schildern deutlich, dass die Krim russischer werden soll.
Die prorussischen Milizen machen mit ihren blau-weiß-roten Schildern deutlich, dass die Krim russischer werden soll. © REUTERS
Als das russische Parlament am Sonntag den Militäreinsatz genehmigte, demonstrierten viele Ukrainer dagegen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.
Als das russische Parlament am Sonntag den Militäreinsatz genehmigte, demonstrierten viele Ukrainer dagegen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. © AFP
Während der Demonstration hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch neben Adolf Hitler zu sehen sind.
Während der Demonstration hält ein Mann ein Schild hoch, auf dem Wladimir Putin und Viktor Janukowitsch neben Adolf Hitler zu sehen sind. © AFP
"Verschwinde, Putin!" ist die Botschaft einer ukrainischen Frau bei derselben Demonstration. © dpa
In Donezk stellen Demonstranten eine russische Flagge auf.
In Donezk stellen Demonstranten eine russische Flagge auf. © dpa
In Odessa versammeln sich Menschen zu einer Anti-Kriegs-Demonstration.
In Odessa versammeln sich Menschen zu einer Anti-Kriegs-Demonstration. © AFP
Nicht nur in der Ukraine gibt es Demonstrationen. Auch in New York gehen die Leute auf die Straße, um gegen Russland zu protestieren.
Nicht nur in der Ukraine gibt es Demonstrationen. Auch in New York gehen die Leute auf die Straße, um gegen Russland zu protestieren. © AFP
Vor dem russischen Konsulat in Almaty zeigen Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine. Ebenso wie in ...
Vor dem russischen Konsulat in Almaty zeigen Menschen ihre Solidarität mit der Ukraine. Ebenso wie in ... © REUTERS
... Warschau. Polnische Demonstranten halten Schilder hoch mit der Aufschrift
... Warschau. Polnische Demonstranten halten Schilder hoch mit der Aufschrift "Die Krim ist ukrainisch". © REUTERS
"Wir sind jetzt alle Ukrainer" - auch in Lettlands Hauptstadt Riga fühlt man mit den Ukrainern. © dpa
Gleiches gilt für die Menschen in Georgien. Auch in Tiflis gingen sie auf die Straße, um gegen Russland zu demonstrieren.
Gleiches gilt für die Menschen in Georgien. Auch in Tiflis gingen sie auf die Straße, um gegen Russland zu demonstrieren. © AFP
Türken, die ihre Wurzeln auf der Krim haben, protestieren mit Bannern. Ein Junge hält ein Schild, auf dem steht
Türken, die ihre Wurzeln auf der Krim haben, protestieren mit Bannern. Ein Junge hält ein Schild, auf dem steht "Wir sind keine Handvoll Menschen, sondern eine vereinte Nation!". © AFP
In St. Petersburg tragen Polizisten einen Demonstranten fort.
In St. Petersburg tragen Polizisten einen Demonstranten fort. © dpa
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Seine einzige Chance: eine Spezialprothese. Die kann er in Polen oder der Ukraine nicht bekommen – in Deutschland hingegen schon. Orthopädietechniker in Münster wollen ihm die Prothese, die bis zu 60.000 Euro kostet, anpassen. Die orthopädischen Werkstätten UKM ProTec haben Rabatt in Aussicht gestellt. Das Lüner Krankenhaus übernimmt die vorbereitende Behandlung kostenlos.

Granate explodierte zerfetzte Hand des Studenten

„Es geht um ein sinnvolles soziales Projekt und um einen Schwerverletzten, dem es zu helfen gilt“, sagt Prof. Wolfram Wilhelm, Ärztlicher Direktor in Lünen. Marina Zaslavskaya und Frederike Kruse von der Medizin-Fachschaft der Uni Essen stellten den Kontakt zu der Klinik her. Die Medizin-Studentinnen riefen auch eine Spendenaktion für Jaroslav ins Leben, um die Prothese finanzieren zu können.

Zaslavskaya hatte die Entwicklungen in der Ukraine intensiv verfolgt – vor allem über Internet-Blogs. Jaroslav habe sich im Dezember als friedlicher Demonstrant den Protesten auf dem Maidan angeschlossen, sagt sie.

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Am Abend des 18. Februar stürmen Polizei-Einheiten den Maidan-Platz. Zum Schutz bilden die Demonstranten eine Kette mit provisorischen Schilden. Jaroslav wird aus der Kette abgelöst, damit er seine nasse Kleidung wechseln kann. Er läuft quer über den Maidan. Dabei wird er von einer umgebauten Blendgranate getroffen, die auf seinem Bauch explodiert und seine linke Hand zerfetzt.

Aktivisten tragen Jaroslav zur Ambulanz auf dem Maidan, wo sein Handstumpf provisorisch versorgt wird. Drei Tage später wird er aus der Ukraine in einem polnischen Regierungsflugzeug nach Warschau evakuiert.

32 Verletzte vom Maidan in Deutschland behandelt

Die Essener Medizin-Studentinnen Marina Zaslavskaya und Frederike Kruse verfolgen im Internet Jaroslavs Schicksal. Sie fahren nach Warschau und organisieren seinen Transport nach Deutschland. Die Kosten dafür übernimmt die polnische Regierung.

Das Auswärtige Amt erklärte gestern, dass die meisten der 32 Maidan-Opfer, die in Bundeswehr-Krankenhäusern und in der Berliner Charité behandelt wurden, schon wieder in ihrer Heimat sind. Einige wenige befänden sich noch zur Reha in Deutschland. Jaroslavs Krankengeschichte hat gerade erst begonnen.

  • Wer Jaroslav Seleznov helfen möchte, kann sich bei Marina Zaslavskaya unter marina.zaslavskaya@stud.uni-due.de melden