Berlin. Schon mehrfach gab es im Bundestag heftige Debatten darüber, ob es auch in Deutschland ein Recht auf Sterbehilfe geben soll. Bisher zeichnet sich dafür keine Mehrheit ab. Trotzdem wollen Politiker aller Fraktionen in diesem Jahr erneut das schwierige Thema behandeln, bis Ende 2015 soll es eine Entscheidung geben.

Noch in diesem Jahr will sich der Bundestag mit der Sterbehilfe befassen, eine endgültige Entscheidung könnte sich aber bis 2015 hinziehen. Es geht um eine Gewissensfrage. Über sie stimmt das Parlament frei von Parteilinien oder Fraktionszwängen ab.

Es werden mehrere Anträge erwartet, vermutlich Variationen eines Verbots.

Bisher zeichnet sich keine ­Gruppe ab, die für ein Recht auf Sterbehilfe kämpft. Bereits der letzte Bundestag erwog ein Verbot. Damals zeigte sich aber, dass die Probleme leichter zu beschreiben als zu lösen sind – jede Formulierung kann unterlaufen werden. Bis heute ist Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) eher skeptisch.

Persönliches Erleben des Leidens

Gut zwei Drittel der Deutschen sind laut Umfragen für die Sterbehilfe. Es gibt jedes Jahr 10 000 Selbstmorde und weitere 100 000 Versuche. Die Menschen springen aus dem Fenster, erhängen sich, werfen sich – im Schnitt jeden Tag drei Fälle – vor einen Zug. Seit Jahrzehnten wird die Frage erörtert, ob es für Menschen, die lebensmüde sind, nicht würdigere Auswege gibt. Anfang Januar sorgte der frühere Rundfunk-Intendant Udo Reiter für Aufsehen mit seinem Plädoyer für ein „selbstbestimmtes Sterben“: „Mein Tod gehört mir.“

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Viele Politiker, die sich in die Debatte einschalten, haben einen Fall im persönlichen Umfeld im Kopf. Im Gespräch kommt dann der Moment, in dem Abgeordnete leiser werden und bitten, das Aufnahmegerät abzuschalten. Dann erzählen sie von den Leiden der Eltern, von Geschwistern, todkranken Freunden.

Einige gehen damit ganz offen um wie der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Er befürwortet die Sterbehilfe, weil er den qualvollen Tod seines Bruders erlebt hat. Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering ist gegen Sterbehilfe, auch weil er beim Sterben seiner Frau erlebt hat, wie Palliativmedizin helfen kann.

Selbsttötung ist nicht strafbar

Die Selbsttötung ist nicht strafbar. Wenn aber die Haupttat straffrei ist, gilt das auch für die Beihilfe, meinen die Juristen. Darauf berufen sich jene, die anderen beim Suizid helfen. Hier setzen Organisationen wie „Dignitas“ oder der Hamburger Ex-Senator Roger Kusch an, der 2008 einen Selbst­tötungsautomaten vorstellte. Die Sterbehilfe selbst erfolgt oft im ­Ausland, in der Schweiz, Belgien, Holland, wo sie auch erlaubt ist.

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Kusch hat viele in der Politik und einen ganzen CDU-Parteitag auf die Palme gebracht. „Ich will nicht, dass Organisationen wie Dignitas oder dass ein Herr Kusch mit dem Tod Geschäfte machen“, sagte der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe dieser Zeitung. Hüppe will jede Form der organisierten Sterbehilfe unter Strafe stellen und damit eine Gesetzeslücke schließen.

Wie Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geht es ihm auch um die Rolle der Ärzte. Deren Aufgabe sei die Lebenserhaltung – dass Suizid irgendwann zu einer Behandlungsvariante werden könnte, ist Gröhe ein Gräuel. Am Ende werde es noch eine Dienstleistung, „für die er eine fachärzt­liche Zulassung erhält und die er bei der Krankenkasse abrechnet“, klagt Hüppe. Eine Sorge lautet, wenn das Angebot erst mal da sei, könnte es ein Anreiz sein, eine Absicht, die man nur in Gedanken durchspiele, in die Tat umzusetzen.

Schon heute ist mehr erlaubt, als viele ahnen.

Zum einen die passive Sterbehilfe, etwa das Abschalten von Beatmungsgeräten, wenn es der Patient gewünscht hat und die weitere Behandlung aussichtslos ist. Erlaubt ist auch, einem Sterbenden Medikamente zu geben, die sein Leiden lindern, aber zugleich sein Leben verkürzen können.

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Straffrei bleibt auch, wer einem Kranken einen tödlichen Giftcocktail auf den Tisch stellt und dann den Raum verlässt.

Zweifelsfrei verboten ist die aktive Sterbehilfe oder die Tötung auf Verlangen. Dazu muss man jemandem etwa die tödliche Spritze ­setzen oder ihn erschießen. Die ­Juristen sprechen in diesen Fällen von der „Tatherrschaft“.

Eine Mehrheit für aktive Sterbehilfe ist im Bundestag nicht in Sicht. Die Debatte dreht sich um Beihilfe zur Selbsttötung, die ­einige offener, andere strenger regeln würden. Die ethische Diskussion geht darüber hinaus. „Wollen wir in unserer ­Gesellschaft den Gedanken fördern, menschliches Leben falle anderen zur Last“, fragte Gröhe. Und: „Gilt das dann auch für ­behindertes Leben?“