Brüssel/Essen. Der Senat hat bereits zugestimmt, nun muss das Parlament entscheiden. Unter strengen Auflagen dürfen Ärzte dann auch bei Kindern Sterbehilfe leisten, vorausgesetzt, sie sind todkrank und ihr Leiden ist nicht zu lindern. Deutsche Palliativmediziner und Patientenschützer sind entsetzt.

„Tief bestürzt“ reagiert Dr. Marianne Kloke auf die Pläne aus Belgien, die bereits erlaubte Sterbehilfe auszuweiten und auch für Minderjährige zu erlauben. Die Palliativmedizinerin am Essener Uni-Klinikum und klinische Ethikberaterin ist bekannt als absolute Gegnerin der Sterbehilfe. „Das darf kein Arzt machen.“

In einem westeuropäischen, „hochkultivierten Staat“ wie Belgien müssten Mediziner wissen, dass es „eine ganz wunderbare Behandlung“ gebe: die therapeutische Sedierung. Gerade in Europa, das weltweit führend sei in der Palliativmedizin – auch der für Kinder – dürfe niemand mehr von „nicht ausreichend beherrschbaren Symptomen“ reden: „Wir haben das Wissen und das Können, die Schmerzen eines Patienten soweit einzuschränken, dass er sein Leid nicht mehr wahrnimmt.“

Deshalb schon kann sich die Leitende Oberärztin Kloke „keine Situation vorstellen, die aktive Sterbehilfe rechtfertigt“. Zumal, wenn in Belgien künftig Eltern über das Leben ihres Kindes entscheiden müssten. „Je jünger der kranke Mensch, desto belastender ist das ohnehin.“ Chronisch kranke Kinder seien zwar „mit 15 Jahren oft schon reifer und klarsichtiger als ein 50-jähriger Gesunder“. Wenn bei kleineren Kindern aber Eltern die Entscheidung über Sterbehilfe treffen müssten, sei das „schlimm“.

Die belgische Kinderärztin Dominique Biarent, Chefin der Intensivstation der Universitätskinderklinik „Königin Fabiola“, sagt dagegen: „Es ist nicht immer möglich, einem Kind seine Schmerzen zu ersparen. Und es kommt vor, dass ein Kind dermaßen mit seinem Leiden überfordert ist, dass es ein Ende verlangt oder dass seine Eltern das verlangen. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal ein Kind so haben leiden sehen. Es weint oder zappelt nicht. Es krümmt sich völlig in sich zusammen, es spricht nicht mehr, es will nichts mehr.“

Laut Experten könnte es bis zu 15 Fälle jährlich geben

Wenn nach dem belgischen Senat auch das Parlament der Ausweitung der Sterbehilfe auf Minderjährige zustimmt, so sei das „weder eine rühmenswerte Pionierleistung noch ein Akt der Humanität“, widerspricht Eugen Brysch, „sondern eine traurige Bankrotterklärung“. Von den bei der Einführung der Sterbehilfe im Jahr 2002 erklärten engen Grenzen sei nichts übrig“, so der Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Erst waren es wenige, schwerstkranke Erwachsene, die unerträglich leiden, dann Demenzkranke, nun unheilbar kranke und leidende Minderjährige.“ Was Menschen in einer solchen Situation bräuchten sei professionelle Hilfe, Begleitung und Beistand. „Stattdessen wird der Gesellschaft suggeriert, dass Töten eine Lösung ist.“

Nach Experten-Schätzungen könnte es in Belgien pro Jahr zehn bis 15 Fälle geben, vor allem bei Kindern mit Leukämie oder Hirntumoren. Nach Umfragen befürworten drei Viertel der Belgier die aktive Sterbehilfe. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass „Euthanasie“ in rund vier Prozent der Fälle als offizielle Todesursache firmiert. Aber immer wieder machen Einzelschicksale darauf aufmerksam, wie heikel die vermeintliche Normalität ist. Im Herbst ließ sich der 44-jährige Nathan Verhelst die Todesspritze setzen. Die längste Zeit seines Lebens war er „Nancy“ gewesen. Die ersehnte Geschlechtsumwandlung missglückte, Verhelst zerbrach an der Enttäuschung. Sein Arzt bescheinigte ihm „unerträgliches Leiden“.

„Belgien ist weltweites Beispiel, wie Euthanasie außer Kontrolle gerät“, erklärte Alex Schadenberg von der Internationalen Koalition gegen Sterbehilfe dieser Tage auf einer Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel. Professor Jan Bernheim, Leiter einer einschlägigen Forschungsgruppe, liest die belgischen Zahlen hingegen umgekehrt: Man habe lediglich eine ohnehin stattfindende Praxis aus der rechtlichen Schmuddelzone geholt.