Kairo/New York/Washington. In Ägypten sollen heute nach dem Freitagsgebet erneut Massenproteste stattfinden. Das Innenministerium hat derweil erklärt, bei Tumulten scharfe Munition einzusetzen. Der UN-Sicherheitsrat fordert ein Ende der Gewalt. Zudem belasten die Unruhen das ägyptisch-amerikanische Verhältnis.

In Ägypten wächst die Sorge vor neuer Gewalt nach dem Freitagsgebet. Die Anhänger der Muslimbrüder riefen zu erneuten Massenprotesten und einem "Tag des Zorns". Von allen Moscheen in der Hauptstadt Kairo würden nach dem Freitagsgebet Demonstrationszüge zum zentral gelegenen Ramses-Platz starten, schrieb der Sprecher der islamistischen Muslimbrüder, Gehad al-Haddad, im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Hintergrund ist die gewaltsame Räumung zweier Protestcamps am Mittwoch mit mehr als 600 Toten und tausenden Verletzten. Die Muslimbrüder gaben die Zahl der Toten allein für Kairo mit mehr als 2200 an. Am Donnerstagabend drang die Polizei nach Angaben von Islamisten in eine Moschee in Kairo ein, in der sich die Leichen zahlreicher Mursi-Anhänger befanden. Die Sicherheitskräfte hätten das Gebäude zuvor umstellt und Tränengas abgefeuert, sagte ein Arzt vor Ort.

Leichen in Moschee gefunden

In der Moschee hätten sich zu dem Zeitpunkt noch 43 nicht identifizierte Leichen befunden; mehr als 200 weitere seien zuvor weggebracht worden, sagte der Arzt. Im ägyptischen Privatsender CBC waren Polizisten im Innern der Moschee zu sehen.

Die Nationale Heilsfront, eine lose Allianz liberaler und linker Kräfte, forderte indes, die Ägypter müssten gegen die offensichtlichen Terror-Akte der Muslimbrüder auf die Straße gehen. Das Innenministerium hat einem Medienbericht zufolge erklärt, die Sicherheitskräfte würden scharfe Munition einsetzen. um Angriffe auf die Beamten oder öffentliche Gebäude abzuwehren.

Alle Beteiligte zu maximaler Zurückhaltung aufgefordert

Der UN-Sicherheitsrat rief unterdessen nach einer Dringlichkeitssitzung in New York zum Ende der Gewalt auf. Alle Beteiligten würden zu maximaler Zurückhaltung aufgefordert, sagte die derzeitige Vorsitzende des Gremiums, die argentinische UN-Botschafterin Maria Cristina Perceval, nach einer Sitzung der 15 Mitglieder des Rates. Aus ihrer persönlichen nationalen Sicht verurteilte sie den Sturz von Präsident Mohammed Mursi durch das Militär und sprach von einem "Staatsstreich".

Die Regierung in Kairo wies die Kritik von US-Präsident Barack Obama am Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die islamistischen Demonstranten bei der Räumung der Protestcamps zurück. Obamas Kritik basiere nicht auf Fakten und werde gewaltbereite Gruppen ermuntern und stärken, hieß es in einer Erklärung der Präsidentschaft. Ägypten sei mit "terroristischen Akten" konfrontiert, hieß es mit Verweis auf jüngste Angriffe auf Regierungsgebäude und Kirchen, für die die Regierung Anhänger des gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi verantwortlich macht.

Beziehungen nicht wie gewohnt weiterführen

Obama hatte die gewaltsame Räumung durch das ägyptische Militär und die Übergangsregierung verurteilt, bei denen nach jüngsten Angaben mindestens 623 Menschen getötet und tausende verletzt wurden. Angesichts der Geschehnisse könnten die Vereinigten Staaten ihre Beziehung mit dem Land derzeit nicht wie gewohnt weiterführen. Er habe seinen Nationalen Sicherheitsrat aufgefordert, zu ermitteln, ob weitere Konsequenzen notwendig seien. Ob dazu auch ein Einfrieren der milliardenschweren Militärhilfe gehört, sprach Obama nicht an. Die USA wollten weiterhin ein enger Partner Ägyptens bleiben, sagte er. Die USA sagten dennoch eine traditionelle gemeinsame Trainingseinheit beider Streitkräfte ab: Das Trainingsmanöver "Bright Star" mit Zehntausenden amerikanischen und ägyptischen Soldaten sowie Streitkräften anderer Länder findet normalerweise alle zwei Jahre statt.

"Wir verurteilen die Gewalt gegen Zivilisten", hatte er gesagt. Es gebe ein Recht auf friedliche Demonstrationen. Die ägyptische Führung rief er auf, Grundrechte zu respektieren. Der über Kairo und weitere Provinzen verhängte Ausnahmezustand müsse aufgehoben werden. Es sei Zeit, einen Versöhnungsprozess zu beginnen. Die USA hatten zudem ihre Aufforderung an US-Bürger erneuert, Ägypten wegen der Unruhen zu verlassen. Eine solche Aufforderung gab es schon im Juli.

Nach Massenprotesten gestürzt

Das Militär hatte den frei gewählten Präsidenten Mursi Anfang Juli nach Massenprotesten gestürzt. Ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit den Muslimbrüdern das Land islamistisch prägen zu wollen. Die Armee hat Wahlen und eine Rückkehr zur Demokratie in Aussicht gestellt. (rtr/dpa/afp)