Berlin. . Bundestags-Senior trifft Parlaments-Benjamin: Heinz Riesenhuber (77) könnte der Großvater von Florian Bernschneider (26) sein. Doch beide Politiker wollen für weitere vier Jahre in den Bundestag ziehen. Im Interview sagen Riesenhuber (CDU) und Bernschneider (FDP), warum sie nichts von starren Altersgrenzen bei der Arbeit halten.
Herr Riesenhuber mit 77 wollen Sie weitere vier Jahre in den Bundestag. Wie steht Ihre Familie dazu?
Heinz Riesenhuber: Meine Frau sagte nach langem Abwägen: Einmal mache ich es noch mit. Der Rest der Familie erträgt es. Dafür räume ich Zeiten frei, in denen ich zu 100 Prozent für Kinder und Enkel da bin.
Herr Bernschneider, werden wir Sie mit 81 auch im Bundestag sehen?
Florian Bernschneider: Ich weiß es nicht. Ich möchte so lange im Bundestag bleiben, wie ich Lust und Ideen habe.
Wie lange dauerte es, bis Sie das Gefühl hatten: Ich bin drin?
Bernschneider: Zu Beginn der Legislaturperiode meinte ein Mittelständler: Mit Ihnen können wir erst nach zwei oder drei Jahren richtig etwas anfangen. So ein Quatsch, dachte ich. Doch der Mittelständler hatte Recht. Man braucht zwei Jahre, bis man den Parlamentsbetrieb kennt.
Herr Bernschneider, Sie sagten unlängst, früher hätten Politiker zu häufig an ihr nächstes Wahlergebnis und zu selten an junge Generationen gedacht. Ist das heute anders?
Bernschneider: Ich denke schon. Nur ein Beispiel: Die Koalition ist die erste seit 40 Jahren, die einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegt.
Die Union plant milliardenschwere Wahlgeschenke. Ist das nachhaltig?
Bernschneider: Wir wollen die erste Politikergeneration sein, die Schulden abbaut. Wie das mit dem Wahlprogramm der Union funktionieren soll, ist mir schleierhaft.
Riesenhuber: Das Programm ist vernünftig. Wir wollen keine Schuldengrenzen sprengen, sondern die Spielräume dafür erarbeiten – wie auch in dieser Legislaturperiode.
Die Union will die Mütterrente stärken und das aus der vollen Rentenkasse bezahlen.
Riesenhuber: Das Thema hat für uns Priorität. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber Müttern. Die FDP ist in diesem Punkt weniger begeistert.
Bernschneider: Noch einmal, ich halte die Vorschläge der Union mit unserem Ziel, Schulden abzubauen, für nicht vereinbar. Es ist unklug, mit Versprechen um Wähler zu werben, deren Umsetzung unrealistisch ist. Das gilt auch für die Mütterrente.
Braucht ein 85-Jähriger noch ein neues Hüftgelenk?
Die Gesellschaft wird älter, damit steigen die Gesundheitsausgaben. Braucht denn ein 85-Jähriger noch ein künstliches Hüftgelenk?
Riesenhuber: Eine Kontingentierung wäre grundlegend inhuman. Wenn die Solidarität der Gesellschaft nicht mehr reicht, um menschenwürdiges Leben in allen Phasen zu sichern, haben wir ein Problem. Die Generationen haben eine Verantwortung füreinander.
Bernschneider: Die Debatte, ob jemand zu alt ist für eine medizinische Leistung, darf es nicht geben. Dies würde den Zusammenhalt zwischen den Generationen erschüttern. Das sind die Einsparungen nicht wert. Wir haben in dieser Legislaturperiode Milliarden gespart, indem wir das Preismonopol für Pharmakonzerne gebrochen haben. Das zeigt, wie viel Potenzial in guter Politik steckt, bevor man darüber nachdenkt, ob der 85-Jährige keine neue Hüfte mehr bekommen kann.
Ältere Arbeitnehmer sind gefragt wie lange nicht. Eine gute Entwicklung?
Bernschneider: Klar. Wir sind auf Fachkräfte angewiesen und können alle froh sein, dass die Praxis der Frühverrentung beendet ist.
Sollten die starren Altersgrenzen im Beruf fallen?
Riesenhuber: Das wäre gut. Die EU verbietet Altersdiskriminierung. Doch Altersgrenzen sind diskriminierend. Je vielfältiger die Möglichkeiten auch im Beruf sind, desto freier kann der Einzelne sein Leben gestalten.
Also Arbeiten noch mit 80 Jahren?
Bernschneider: Das ist kein Muss, aber wer sich fit fühlt, sollte so lange arbeiten dürfen, wie er möchte. Es kann nicht sein, dass wir ihnen per Gesetz das Arbeiten verbieten.
Berthold Beitz wird in diesem Jahr 100 und ist immer noch Chef der Krupp-Stiftung. Imponiert Ihnen das?
Bernschneider: Man muss auch irgendwann loslassen können. Aber wenn ein Gremium nicht nur aus über 80-Jährigen besteht, finde ich es nicht verwerflich, wenn darin auch ein über 90-Jähriger sitzt.
Wie hat Sie die Zeit in der Politik und im Parlament verändert?
Riesenhuber: Ich war anfangs sehr ungeduldig. Erstmals habe ich Mitte der 60er-Jahre zum Bundestag ohne Erfolg kandidiert. Das hat mich sehr geärgert. Aber rückblickend war es ausgezeichnet, dass ich auf die Schnauze gefallen bin. So konnte ich meinen Beruf aufbauen.
Bernschneider: Meine Freunde sagen, ich bin ernster geworden. Ich habe das Gefühl, schneller zu altern als im normalen Leben. Aber ich habe im Bundestag so viele Erfahrungen gemacht, dass ich dies gerne in Kauf nehme.