Bochum. . Die SPD gibt die Hoffnung trotz schlechter Umfragewerte noch nicht auf. Beim Zukunftskonventschwört der Kanzlerkandidat die Genossen auf den Bundestagswahlkampf ein. „In 78 Tagen wird das Nichtstun dieser Regierung abgewählt“, rief er. Statt gelungener Reformen bei Pflege, Rente, Bundeswehr oder Energie gebe es nichts als „leere Schachteln“.

Wie man sich aus scheinbar aussichtsloser Lage befreit, hat Hannelore Kraft vorgemacht. 2010 kämpfte sie sich Stück für Stück aus dem Umfragekeller heraus, entriss Jürgen Rüttgers am Ende sogar das Ministerpräsidentenamt. Zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl sehen Demoskopen die SPD um satte 17 Prozent hinter der Merkel-CDU, aber noch geben die Genossen nicht die Hoffnung auf, dass Peer Steinbrück zur Aufholjagd ansetzt. „Es wird jetzt langsam Zeit“, sagt einer, der aus dem Ruhrgebiet in den Bundestag einziehen will.

An diesem Samstag tritt der Kanzlerkandidat beim Zukunftskonvent der NRW-SPD in Bochum auf. Es ist der wichtigste Landesverband, für den Wahl-Bonner ein Heimspiel. Wenn es hier nicht läuft, läuft es nirgends. „Der Peer“ sei gut in Form und voller Angriffslust, hat Kraft kurz zuvor die Landtagsfraktion eingestimmt, ehe dort jemand auf andere Gedanken kommt. Er enttäuscht die Erwartungen nicht.

Kraft als Vorbild

Steinbrück gibt sich kämpferisch, redet eindringlich. Krafts Wahlsieg erwähnt er selbst als Blaupause. Sein Thema wird mehr und mehr die Mobilisierung der Partei, je näher der 22. September kommt. „Lasst euch nicht von Umfragen und Kommentaren kirre machen“, ruft er, „die letzten Wochen entscheiden.“

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Dann rechnet er den 300 Funktionären im Saal vor, dass der SPD zwischen ihrem Wahlsieg 1998 und ihrer Niederlage 2009 bundesweit rund zehn Millionen Wähler abhanden gekommen sind. Die meisten seien nicht verloren, sondern nur „im Wartesaal“. „Wenn die SPD davon die Hälfte zurückholt“, ruft er, „gewinnt sie die Wahl 2013.“

Noch will sich keine rechte Kampagnenstimmung in den Orts- und Kreisverbänden einstellen, und Parteistrategen treibt die Sorge um, dass sich die Basis in den nächsten Wochen mehr mit Urlaubs- als mit Wahlkampfplanung beschäftigt. „Wir brauchen eine inhaltliche Zuspitzung, um unsere Leute zum Laufen zu bringen“, sagt einer. Das entgeht auch Steinbrück nicht. Zur Finanzierung von Schulen, Kitas und Straßen wirbt er für höhere Steuern, versichert aber, dass 95 Prozent der Wähler davon gar nicht betroffen seien. Und verstärkt seine Attacken auf die Kanzlerin, wobei er persönliche Angriffe auf die populäre Amtsinhaberin meidet.

„Schlaftabletten fürs Land“

„Frau Merkel versucht die Wahl zu gewinnen, indem sie Schlaftabletten im Land verteilt“, warnt er seine Parteifreunde davor, sich einlullen zu lassen. Nach vier Jahren Schwarz-Gelb bleibe „nix auf dem Notizzettel“, bilanziert der Kandidat und listet Versäumnisse auf bei den Renten, der Pflege, der Bundeswehrreform und vor allem bei der Energiewende. Dass dies aber nicht automatisch zu einem Stimmenzuwachs bei der SPD führt, muss sich Steinbrück eingestehen: „Das schlechte Kurzzeitgedächtnis ist der größte politische Freund dieser Bundesregierung.“

Immer wieder quittieren sie seine 35-minütige Rede mit lautem Beifall, der noch anschwillt, als er einer Großen Koalition eine Absage erteilt und sie für sich persönlich ausschließt. Damit trifft er den Nerv der stolzen Genossen an Rhein und Ruhr, für die ein erneutes Bündnis mit der CDU nach ihren ernüchternden Erfahrungen unter Merkels erster Kanzlerschaft die Höchststrafe wäre. Landtagsfraktionschef Norbert Römer, ein intimer Kenner der Landespartei, spricht im Sinne fast aller, wenn er feststellt: „Wir haben eine Große Koalition nicht formal ausgeschlossen, aber es wird sie nicht geben.“ Wenn die SPD, so die Überlegung, auf Merkel schielt und sich frühzeitig in der Rolle eines Juniorpartners gedanklich einrichtet, würde das ihren Wahlkampf nachhaltig schwächen und die eigene Basis demobilisieren.

Bochum als Wendepunkt?

„Wir setzen nicht auf Platz, sondern auf Sieg“, wird Steinbrück deshalb nicht müde zu wiederholen, „in 78 Tagen werden Etikettenschwindel und Nichtstun dieser Regierung abgewählt.“ SPD-Landeschefin Kraft überlässt ihm und seinem Schattenarbeitsminister Klaus Wiesehügel fast vollständig die Bühne im Ruhr-Kongress. Mit Bochum und den Berichten über saftige Honorare der dortigen Stadtwerke begannen vor neun Monaten die Popularitätswerte Steinbrücks zu sinken. Ob Bochum nun für ihn einen Wendepunkt zum Besseren markiert, weiß an diesem Tag in der SPD noch niemand zu sagen.