Berlin. . Bei den Liberalen wird der FDP-Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle als Nachfolger von Parteichef Philipp Rösler gehandelt. Auch weil NRW-Landeschef Christian Lindner vorerst nicht nach Berlin will. Röslers Hoffnung auf eine bloß sanfte Entmachtung schwindet.
Als Rainer Brüderle seine Liberalen zum Kampf aufrief, ahnte er noch nicht, wie ernst die Lage wirklich ist. „Wir müssen aufstehen und kämpfen. Wir müssen an uns selbst glauben“, rief der FDP-Fraktionschef vor wenigen Tagen in einer umjubelten Rede beim Dreikönigstreffen der Liberalen. Seit gestern braucht die Partei die Ermutigung wie noch nie – und wird sich noch mehr um Brüderle scharen als bisher.
Nach einer neuen Forsa-Umfrage ist die FDP bundesweit auf zwei Prozent der Wählerstimmen abgestürzt. Ein Schock für die Partei und den angeschlagenen Vorsitzenden Philipp Rösler (39). Selbst wenn sich die FDP am 20. Januar bei den Landtagswahlen in Niedersachsen doch noch über die Fünf-Prozent-Hürde rettet, ist Rösler als Vorsitzender jetzt kaum noch zu halten; fliegt die Partei in seinem Heimatland aus dem Parlament, muss er ohnehin gehen.
Parteitag wird womöglich vorgezogen
Bislang gab es in der FDP-Spitze den Plan, dass Rösler bei einem doch noch geglückten Wiedereinzug in den Landtag nicht gestürzt, sondern bis zur Demütigung „gestützt“ würde – von einem Team, in dem Brüderle anstelle des Parteichefs als Bundestags-Spitzenkandidat antritt. „Wenn es einer nicht schafft, müssen mehrere ran“, sagte ein führender Liberaler.
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Aber Röslers Hoffnung auf eine bloß sanfte Entmachtung schwindet. Immer wahrscheinlicher wird, dass der 67-jährige Brüderle den glücklosen Vorsitzenden zügig ablöst, womöglich wird der Parteitag im Mai dafür vorgezogen.
Welle der Zustimmung
Nur der nordrhein-westfälische Parteichef Christian Lindner könnte Brüderle die Nachfolge-Aufgabe dann abnehmen – doch der 34-Jährige liberale Hoffnungsträger will nicht. Er steht im Wort, vorerst in Düsseldorf zu bleiben. Lindner ahnt wohl auch, dass er in der Parteikrise schnell verschleißen könnte. Weil er sich nicht für die Bundestagswahl hat nominieren lassen, wäre er als Parteichef ohne Parlamentsmandat in der Bundeshauptstadt in gefährlich schwacher Position.
Brüderle erfährt in der FDP jetzt eine Welle der Zustimmung. Ihm trauen sie zu, wenigstens die Stammkundschaft bei der Stange zu halten: Mittelstand, Selbstständige, Gutverdiener. Der Fraktionschef erfüllt mit seinem Bekenntnis zu den „Brot- und Butterthemen“ wie sozialer Marktwirtschaft, Bürokratieabbau oder Steuervereinfachung die Sehnsucht nach der alten FDP, die solide und ohne Übermut mitregierte.
Die Fronten gewechselt
Politik für den Mittelstand verkörpert der studierte Volkswirt schon kraft Herkunft: Seine Eltern führten einen Textilwarenladen im pfälzischen Landau, als Kind half er im Geschäft. Schon in seinen 15 Jahren als Landespolitiker in Rheinland-Pfalz mischte sich bei ihm indes wirtschaftsliberales Prinzip mit Pragmatismus und großer Geschmeidigkeit.
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Als Parteipolitiker wechselte er zügig die Fronten. Zwei CDU- und zwei SPD-Ministerpräsidenten verhalf er in Mainz zur Regierungsmehrheit, in der schwarz-gelben Koalition in Berlin hält er für die FDP vorsichtig die Tür offen für eine Ampel-Koalition.
Eine Zeit lang wurde der volkstümliche Pfälzer in Berlin unterschätzt, galt nach seinem Wechsel in die Hauptstadt 1998 als provinzieller Dampfplauderer und biedere Frohnatur. Doch hinter seiner Jovialität verbirgt sich einige Härte. Die Bundestagsfraktion führt er effizient. Da schadet es dem FDP-Mann nicht mehr, dass er mit pfälzischem Idiom und Altherren-Auftritt zum Liebling der TV-Satiresendung „heute-show“ geworden ist – es macht ihn nur populär.
Kein großer Stratege
Indes, große strategische Würfe traut man ihm in der FDP nicht zu: Als Parteichef wäre Brüderle der Mann des Übergangs, bis irgendwann Lindner übernimmt. Er drängt sich deshalb nicht um den Posten. Aber der Meister des Doppelspiels hat mit Rösler eine Rechnung offen. Auf das Amt des Bundeswirtschaftsministers hatte Brüderle viele Jahre hingearbeitet, aber nach nur anderthalb Jahren drängte ihn der neue Vorsitzende im Frühjahr 2011 aus dem Traumjob. Nur mit viel Mühe rettete sich Brüderle auf den Fraktionsvorsitz.