Essen. . Zentral- und Turboabitur haben den Unterricht verändert: Inhalte werden stark verknappt, im Zentrum des Unterrichts stehen für Schüler, Lehrer und Eltern vor allem die Prüfungsergebnisse - das erhöht allseits den Druck und bei den Zensuren wird der “Spielraum nach oben ausgeschöpft“
Physik – irgendwas mit Stromkreisen. Chemie – versteht keiner. Deutsch: Literaturepochen. Goethe und so. Der Lehrer schreibt an die Tafel, erklärt, fragt. Die Schüler machen mit oder auch nicht. So oder so ähnlich hört sich das an, wenn Neuntklässler von ihrem Unterricht erzählen. 14- und 15-jährige Teenager, die mit 14 Fächern die Spitze des Leistungsdrucks in Turbo-Abi-Zeiten erreichen.
Ein langer Schultag in einer vollgestopften Woche, das ist der Alltag der Jugendlichen. Ziemlich trist – wenn da nicht die Lichtblicke wären: die mündliche Prüfung etwa, die eine Englischarbeit ersetzt. Die Hausarbeit im Wahlpflichtfach Naturwissenschaften. Die Projektarbeit, die immer öfter den klassischen Frontalunterricht ersetzt. Freiarbeit und Expertenvortrag. „An den Gymnasien in NRW hat sich tatsächlich eine Menge getan“, sagt Dorothea Schäfer, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Der Alltag an den Schulen ist hart, doch die Umstände werden besser
Die Gymnasien haben auch eine Menge zu bewältigen. Kinder sollen nicht mehr reihenweise auf der Strecke bleiben, die Leistungen dürfen nicht abfallen, der Stress soll in einem halbwegs erträglichen Rahmen bleiben und vor allem: Die Schüler sollen die zentral gestellten Abituraufgaben am Ende der Turbo-Schullaufbahn auch schaffen.
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Nun, da der erste G8-Jahrgang gemeinsam mit dem traditionellen G9-Jahrgang bald in die Prüfungen geht, resümieren Schulexperten und Lehrer: Der Alltag an den Schulen ist nach wie vor hart, doch die Umstände werden besser. Und mit ihnen die Noten – nicht nur beim Abitur.
„Die Schüler haben sich verändert. Sie gehen ernsthafter an schulische Dinge heran“, sagt etwa Elmar Prinz, Schulleiter des Essener Maria-Wächtler-Gymnasiums. Durch das Zentralabitur sei es einfacher, sich gezielt auf die Prüfungen vorzubereiten. „Früher mussten sich die Schüler auf Vorlieben der Fachlehrer einstellen, heute ist standardisiert, was wie gefragt wird“, fasst Elmar Prinz seine Erfahrungen zusammen.
„Lehrer und Schüler sitzen im selben Boot“
Doch während der Schulleiter vom spannenden Unterricht schwärmt und von Schülern, die sich nach dem Unterricht via Facebook gegenseitig Mathe erklären oder gemeinsam Referate erarbeiten, fürchtet GEW-Chefin Dorothea Schäfer eine starke Einschränkung durch die gezielte Vorbereitung auf die Lernstandserhebungen, die Abschlussprüfung nach der Klasse 10 und das Abitur. „Der Unterricht orientiert sich viel stärker an den Prüfungsanforderungen“, sagt sie. Nicht nur die Leistung der Schüler werde gemessen, auch die Qualität der Vorbereitung durch die Lehrer. Schäfer: „Sie sitzen im selben Boot.“
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Den Lehrern sei es tatsächlich enorm wichtig, dass ihre Schüler beim Abitur oder den Lernstandserhebungen gut abschneiden, sagt auch Schulleiter Elmar Prinz. Was bedeutet: Nicht nur die Schüler, auch die Lehrer stehen inzwischen unter Leistungsdruck.
Eltern beschweren sich häufiger
Dann sind da noch die Eltern. Tatsächlich, sagt Peter Silbernagel, Chef des NRW-Philologenverbandes, übten sie einen gewissen Druck auf die Lehrer aus, auch gute Noten zu geben. „Sie beschweren sich häufiger als früher, der Lehrer muss sich dann schriftlich erklären und dokumentieren, warum er welche Note gibt“, sagt der Vertreter der Gymnasiallehrer. Und natürlich sei es leichter, die Ansprüche nicht allzu hoch zu schrauben. Und schon mal – wie es im Lehrerdeutsch heißt – den Notenspielraum nach oben auszuschöpfen. Silbernagel: „Der Rechtfertigungsdruck ist groß.“