Essen. . Ein Gymnasium in Oberhausen hat Hausaufgaben abgeschafft. Die Debatte über eine Abschaffung ist nicht neu. Seit über 170 Jahren streiten Pädagogen über den Sinn und die Lerneffekte von Schularbeiten daheim. Studien belegen: Der Erfolg des einsamen Lernens ist gering. Experten fordern ein Umdenken.

Die Debatte unter Pädagogen ist ja nicht neu. 1835 mahnte der Pädagoge Johann Friedrich Herbart: „Derjenige Lehrer, welcher häusliche Aufgaben aufgibt, um sich in der Schule die Mühe zu sparen, verrechnet sich ganz; die Mühe wird ihm bald desto saurer werden.“ 1964 ergab eine Studie unter Drittklässlern, dass die Gruppe, die vier Monate lang keine Hausaufgaben im Rechnen und Rechtschreiben machte, nicht weniger gelernt hatte als die Kinder, die sie täglich erledigten.

2006 befragten Bildungsforscher der Universität Dresden 1300 Schüler und 500 Lehrer in Sachsen in gleicher Sache. Ein Resultat: Bei drei von vier Schülern waren die erteilten Hausaufgaben fruchtlos.

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Hausaufgabenzeiten in der Theorie geregelt

Eigentlich ist langer Ganztags-Unterricht plus Hausaufgaben satt in NRW verboten. Das hatte schon Schulministerin Barbara Sommer (CDU) nach der überstürzten Einführung des Gymnasial-Abiturs in acht Jahren (G 8) per Erlass verfügt. Der besagt auch: „Hausaufgaben ... als Ersatz für fehlenden oder ausfallenden Unterricht ... oder (zur) Disziplinierung ... sind nicht zulässig.“ Dauern dürfen sie in den Klassen 5 und 6 maximal 90 Minuten pro Tag, in 7 bis 10 zwei Stunden.

Vokabeln bleiben als Heimarbeit

Trotzdem sind dicke Auf­gaben- ­Pakete nach Schulschluss Alltag in vielen Familien – und werden nicht selten zur Last. „Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch“, titelte der „Spiegel“ 1982 zum Thema. Berichtete von „täglich drei bis vier Stunden Heimarbeit“, von Stress, Tränen, Ratlosigkeit bei allen.

Seit auch NRW-Gymnasien in acht Jahren zum Abitur führen müssen, wächst unter den Eltern der Zorn über teils maßlose Aufgabenstellungen der Lehrkräfte. „Für viele Schulen ist es noch völlig normal, dass in jedem Fach Hausaufgaben erteilt werden“, weiß Ilse Führer-Lehner, Bildungsexpertin der Lehrergewerkschaft GEW – und Mutter. „Die Folge sind 40-, 50-, manchmal sogar 60-Stunden-Wochen der Kinder.“ Ein Arbeitspensum, größer als das der meisten Erwachsenen.

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Auch sie fordert ein Umdenken in den Schulen: „Sie müssen die Arbeit in der Schule lassen. Oberhausen ist dafür ein gutes Beispiel.“ Dass Lehrerkollegien nicht darauf achten, wer wie viel Stoff zur Heimarbeit verordnet, ist für sie ein Unding. „Dass es geht, beweist die Lösung in Oberhausen. Wer Kinder ernsthaft entlasten will, kann sich das Know-how doch dort abholen.“ Oder bei den Bildungsexperten der Universitäten Münster und Dortmund, die sich seit Jahren mit neuen Lernkonzepten für den Ganztag befassen.

Ganz ohne Hausaufgaben geht es auch nicht

Allerdings: Ganz ohne Hausaufgaben geht es auch in Zukunft nicht am Elsa-Brändström-Gym­nasium. Für die Oberstufe gilt das neue Konzept nicht. Und: „Konzentriert Vokabeln lernen, ein Buch lesen – das bleiben Aufgaben für die Arbeit daheim, auch für die Mittelstufe“, sagt Bettina Huck, Lehrerin und Mitglied der Projektgruppe, die die neue Struktur erarbeitet hat. Alles, was in der Schule bearbeitet werden kann, soll aber dort erledigt werden.

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„Richtig so“, findet Ernst Rösner vom Institut für Bildungsforschung (IFS) an der Technischen Universität Dortmund. „Hausaufgaben sind vermutlich nicht ganz entbehrlich, der Lernertrag wird aber meist überschätzt. Büffeln, ganze Nachmittage bis in den Abend, bringt nicht viel“, befand der Bildungsforscher im Gespräch mit der Redaktion. Zu unterschiedlich seien auch dabei die Chancen: „Das Chefarzt-Kind wird meist gut betreut und erhält im Ernstfall professionelle Hilfe. Das Kind der türkischen Putzfrau kann auf diese Unterstützung nicht hoffen. Wo bleibt da die Chancengleichheit? Auf der Strecke.“ Außerdem plädiert er dringend dafür, Kinder nicht zu überfrachten und zu überfordern. Ein bisschen Kindheit, „draußen rumtollen mal ohne Plan“, sollte doch erhalten bleiben.