Nach dem Schulmassaker von Newtown frisst die US-Waffenlobby Kreide
•
Lesezeit: 5 Minuten
Washington. US-Präsident Obama drückt nach dem Schulmassaker von Newtown bei den Waffengesetzen aufs Tempo. Experten sollen bis Ende Januar konkrete Vorschläge für Gesetzesänderungen machen. Die Waffen-Lobby NRA will „sinnvolle Beiträge“ leisten.
US-Präsident Obama gibt nach dem Schul-Massaker in Newton dem Ringen um geeignete Schritte gegen die steigende Schusswaffengewalt neue Priorität. Ein Krisenstab aus Experten verschiedener Regierungsstellen mit Vize-Präsident Joe Biden an der Spitze soll bis Ende Januar konkrete Vorschläge für Gesetzesänderungen machen. „Dieses Mal müssen die Worte zu Taten führen“, erklärte Obama im Weißen Haus.
Obama betonte, dass eine einzelne Maßnahme nicht zum Erfolg führen werde. „Das Problem ist komplex.“ Ein von ihm unterstütztes Verbot halbautomatischer Schnellfeuergewehre, wie es Adam Lanza benutzte, der Attentäter, der am Freitag 27 Menschen erschoss, könne nur ein Detail sein. Mit Blick auf aktuelle Umfragen, die zum ersten Mal eine klare Mehrheit für restriktive Schritte beim Waffenzugang ermitteln, sagte Obama, er wette, dass der überwiegende Teil vernünftiger Waffenbesitzer ihn unterstützen werde. „Unverantwortliche Personen“ von Waffen fernzuhalten, sei auch im Interesse der „National Rifle Association“.
Waffenkultur in den USA
1/33
Vier Tage haben sie zum Nachdenken gebraucht
Der vier Millionen Mitglieder starke Lobby-Verband hat sich bisher stets Einschränkungen widersetzt und dabei auf das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf Waffenbesitz verwiesen. Die NRA will am Freitag in Washington Vorschläge unterbreiten, wie Massaker wie das in Newtown künftig verhindert werden können.
Vier Tage haben sie zum Nachdenken gebraucht. Dann kam das. „Schockiert, traurig und todunglücklich“ über die „schrecklichen und sinnlosen Morde“ sei man, teilte die National Rifle Association (NRA) in einer Stellungnahme mit. Nach dem Amoklauf von Newtown will der von Kritikern als rücksichtslosester Lobby-Verband Amerikas verurteilte 141 Jahre alte Bund der Waffenfreunde „sinnvolle Beiträge leisten, um zu helfen, dass so etwas niemals mehr geschieht.“
Lenkt die NRA, die 20 Jahre lang alle Versuche erfolgreich hintertrieben hat, die laxen Waffengesetze zu verschärfen, im Angesicht von Kinder-Särgen ein? Experten warnen vor zu hohen Erwartungen. „Angeschossen“, sagte ein Professor der American University in der Hauptstadt, „war die NRA immer schon am gefährlichsten.“ Als Mahnung dient die Taktik der Vereinigung – sie hat einen fliegenden Adler als Wappen, der vor dem Sternenbanner zwei Gewehre trägt – in der Zeit nach dem ersten großen Massaker an der Columbine-Highschool in Littleton 1999. Die Regulierungsbemühungen der damaligen Regierung von Bill Clinton wurden mit mafiösen Methoden unterlaufen. In den Debatten gingen NRA-Lobbyisten im Sitzungssaal in Augenweite der Abgeordneten in Stellung, die vorher mit NRA-Geld (Jahresbudget: 200 Millionen Dollar) im Wahlkampf gesponsert worden war. Eine entscheidende Anzahl von Parlamentariern votierte gegen eine Verschärfung der Waffengesetze.
Trauer in Newtown
1/32
Fliegender Adler mit zwei Gewehren
Insider in liberalen Denkfabriken rechnen damit, dass der mit 550 Angestellten von einem Büro-Kasten in Fairfax (Virginia) vor den Toren Washingtons regierte Verband auch diesmal erst „Betroffenheit heuchelt und dann klare Kante zeigt“. Was aus der viel auf Selbstjustiz setzenden NRA-Sicht wie immer bedeutet: Gebt den Leuten mehr Waffen an die Hand, dann können Amokläufer nicht so viele Menschen töten.
Eine Schlüsselfigur dabei: Wayne LaPierre, seit 35 Jahren NRA-Funktionär, heute Geschäftsführer. Vor allem ihm wird angelastet, dass die NRA über die Jahre politisch immer radikaler wurde. So radikal, dass auch rechtslastige Militias, Verschwörungs-Theoretiker und Terroristen in den zehntausenden NRA-Klubs im Land eine Heimat finden. Timothy McVeigh, der Attentäter von Oklahoma im Jahr 1995, war NRA-Mitglied. Von LaPierre ist aus dieser Zeit der Satz überliefert, dass die für die Überwachung von Feuerwaffen zuständigen Bundesbeamten „Schergen in Knobelbechern“ seien, die gesetzestreue Bürger „belästigen und einschüchtern“.
NRA-Führungsschicht eine „politische Kampftruppe härtester Prägung“
Gegner der Waffen-Lobby, wie die landesweit aktive Brady-Kampagne, stellen immer wieder fest, dass „viele NRA-Mitglieder ganz vernünftig sind und ein hohes Interesse daran haben, dass das in der Verfassung verankerte Recht auf Waffenbesitz nicht durch Amokläufer beschädigt wird“. Im Gegensatz dazu verstehe sich die Führungsschicht als „politische Kampftruppe härtester Prägung“.
Schießerei an US-Grundschule
1/22
Noch vor wenigen Wochen im Präsidentschaftswahlkampf verteilte die NRA T-Shirts, auf denen zur Abwahl von Präsident Obama aufgerufen wurde. Begründung: der Präsident wolle durch neue Waffengesetze den Amerikanern „die Freiheit“ nehmen. Gerade in den ländlich geprägten Bundesstaaten im Süden und Mittleren Westen der USA, wo die Mehrzahl der NRA-Mitglieder lebt, wird ein bereits zu Lebzeiten unbelehrbarer Schauspieler noch immer für eine Geste verehrt, die andere frösteln lässt. Charlton Heston, bis vor gut zehn Jahren NRA-Präsident, reckte kurz nach dem Massaker von Columbine seine alte Winchesterbüchse in die Luft und ließ die Welt wissen, was er von schärferen Waffengesetzen hält. „Ich lasse mir meine Waffe nur aus meiner kalten, toten Hand entwinden.“
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.