Newtown. . Die Menschen in der Kleinschadt Newtown sind nach dem Amoklauf in der Sandy-Hook Grundschule geschockt. Die Frage nach dem „Warum“ quält die Menschen. Gerichtsmediziner Wayne Carver ringt vor der Presse um Worte: Nie habe er zuvor so etwas Schlimmes gesehen. Der Todesschütze Adam Lanza galt als schlau, scheu und eigenbrötlerisch.
Mit seinen rot geweinten Augen kann man Salvatore Manganaro auf der Church Hill Road in Newtown einfach nicht übersehen. Der 75-jährige Vietnam-Veteran, ein lizenzierter Pilot und Sportschütze, dessen Vorfahren aus dem italienischen Bari nach Connecticut auswanderten, steht an diesem Samstag frierend vor einem Kaffeehaus und erzählt einem Fernseh-Team nach dem nächsten von seiner „wundervollen Enkelin, die gottlob noch zu klein ist“. Andernfalls hätte auch sie zu den 20 Mädchen und Jungen im Alter von sechs und sieben Jahren zählen können, die in der Sandy-Hook-Grundschule ihr Leben ließen. „Ich weiß nicht, was ich dann gemacht hätte“, flüstert Manganaro.
Wie Manganaro geht es vielen in dem 27 000 Einwohner zählenden Städtchen nordöstlich von New York, seit Adam Lanza die Idylle in Blut getränkt hat. „Kinder-Begräbnisse an Weihnachten? Nicht in tausend Jahren hätte ich das in meiner Heimatstadt für möglich gehalten“, sagt JR Shine, der nebenan einen Spendentisch aufgestellt hat für die Eltern der Opfer.
Bis zu elf Schusswunden
Auch wenn sich der grausige Gang des Geschehens inzwischen klarer nachzeichnen lässt, so herrscht auch 48 Stunden nach dem folgenschwersten Amoklauf an einer amerikanischen Schule weiter Ratlosigkeit über das „Warum“.
Wayne Carver muss unterdessen nach stundenlangen Obduktionen das furchtbare „Wie“ beschreiben. Der oberste Gerichtsmediziner sagt, dass er so etwas Schlimmes in seiner über 30-jährigen Laufbahn noch nicht gesehen habe. Jedes Opfer weise mehrere Schusswunden auf, manche bis zu elf. „Alle Treffer wurden von dem Gewehr verursacht“, sagt Gerichtsmediziner Carver, „und einer Munition, die das Gewebe besonders schwer beschädigt“.
Das Armee-Gewehr seiner Mutter
Das Gewehr ist eine Bushmaster, Kaliber 223, eine halbautomatische Waffe, die in ähnlicher Form auch von US-Soldaten in Afghanistan benutzt wird. Lanza hat es nach vorläufiger Rekonstruktion der Polizei seiner Mutter Nancy, einer Waffen-Närrin, abgenommen, nachdem er die 52-Jährige vor dem Massaker in der Schule im gemeinsam bewohnten Haus im Bett erschossen hatte.
Das Anwesen in der Yogananda Street mit ihren tadellos gestrichenen Kolonial-Häusern und den penibel geschnittenen Vorgärten ist weiträumig abgesperrt. Im Haus, sagt Polizeisprecher Paul Vance, wurden „gute Beweisstücke“ gefunden, um das Motiv aufzuklären. Dass auf Lanzas Computer-Festplatte Killer-Spiele gewesen sein sollen, bestätigt er nicht.
„Er hat so gut wie nicht geredet"
Wer war Adam Lanza? Megan, eine 20-jährige Studentin und Nachbarin, sagt, was sich wie ein roter Faden durch die Beschreibungen zieht: „Ich wusste, dass es ihn gab, ich kannte ihn nicht.“ Als schlau, scheu und eigenbrötlerisch charakterisieren ihnen ehemalige Mitschüler.
„Er hat so gut wie nie geredet“, erinnert sich Andrew Lapple, der mit Lanza die Highschool besucht hat. Adams Bruder Ryan, der anfangs irrtümlich für den Täter gehalten wurde, erwähnt schwere Persönlichkeitsstörungen. Andere nennen den Begriff Asperger-Syndrom, eine Art Autismus. Die Familie lebte getrennt, nachdem sich die Eltern 2008 scheiden ließen. Peter Lanza, der neu verheiratete Vater des Täters, schrieb in einer Stellungnahme von einem „unfassbaren Schock“.
Hat keiner etwas geahnt?
Hat wirklich niemand etwas kommen sehen? In der Nachbarschaft macht die Runde, dass Nancy Lanza ihren Sohn, der ohne Arbeit war, unter starken Druck gesetzt habe. „Sie verlangte Bestleistungen“, sagt einer. Warum Lanza die Grundschule seiner Kindheit als Zielscheibe auswählte, ist weiter unklar. Berichte, wonach er am Tag vorher heftigen Streit mit Angestellten der beliebten Lehranstalt gehabt habe, werden von der Polizei ebenso zurückgewiesen wie die Behauptung, Nancy Lanza habe dort als Kindergärtnerin gearbeitet.
An der Zufahrt der Schule türmen sich Teddybären, Kerzen und Blumengestecke. Julia (37) ist aus dem benachbarten Danbury mit ihrer Tochter Jane (13) hergekommen, um „einfach nur da zu sein für die Menschen, die leiden müssen.“
Menschen wie Robbie Parker. Der junge Assistenzarzt hat seine älteste Tochter Emilie verloren. Das Bild der Sechsjährigen, ihr entwaffnendes Lächeln, steht stellvertretend für den „Wahnsinn“, den Connecticuts Gouverneur Dan Malloy wieder und wieder beklagt. Robbie Parker wächst über sich hinaus, als er vor laufenden Kameras mit stockender Stimme „die Familie des Täters in seine Gebete mit einschließt“.
Lehrerinnen retteten viele Schüler
Dass der Blutrausch Lanzas nicht noch mehr Opfer forderte, ist in Newtown, wo an jeder Straßenecke selbst gemachte Plakate dazu aufrufen, für die Opfer und ihre Angehörigen zu beten, Stadtgespräch. Und nach den Worten von Schulbezirks-Chefin Janet Robinson allein der Verdienst von Schuldirektorin Dawn Hochsprung, Schulpsychologin Mary Sherlach (56) und den jungen Lehrerinnen Victoria Soto (27) und Lauren Rousseau (30).
Die Vier brachten Dutzende Schüler auf Toiletten, in Abstellräumen und Schränken in Sicherheit. Bevor sie sich dem Massenmörder als lebende Schutzschilde entgegenstellten. Pete Jennings, Freund eines der Opfer, sagt in der St. Rose-Kirche, wo die Gemeinde am Abend zusammenkommt: „Sie sind Helden. Und so werden wir sie in Erinnerung behalten.“