Denver. Mitt Romney hat das Rennen um das US-Präsidentschaftsamt durch einen Punktsieg im ersten TV-Duell gegen Barack Obama wieder ein Stück offener gestaltet. Der Herausforderer agierte in der ersten Fernsehdebatte durchweg angriffslustiger als Obama. Der Amtsinhaber verhielt sich erstaunlich passiv.
Der Kampf zwischen Kandidat Mitt Romney und Amtsinhaber Barack Obama um die amerikanische Präsidentschaft ist nach der ersten Fernseh-Debatte in Denver wieder ein Stück offener geworden. Der Herausforderer hat sich nach Ansicht einer Mehrzahl von Kommentatoren und Beobachtern in dem Rededuell, das sich ausschließlich um Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Gesundheitspolitik drehte, durch eine durchweg angriffslustigere und streckenweise geistesgegenwärtigere Art einen Punktgewinn erarbeitet.
In einer Blitzumfrage des Sender CNN sagten 67 % der befragten Wähler, der frühere Gouverneur von Massachusetts habe die bessere Figur gemacht. Nur 25 % wollten Obama vorn gesehen haben.
Obama war passiv und nicht hellwach
Der Präsident wirkte zwar konzentriert und nachdenklich, aber oft passiv und nicht hellwach. Eindeutige Patzer unterliefen beiden während der 90 Minuten dauernden Debatte nicht. Ein „game-changing moment“, ein Augenblick, der das bisherige Geschehen im Wahlkampf, das Obama die bessere Chancen für die Wahl am 6. November verheißt, komplett auf den Kopf stellt, blieb aus.
Auf der Bühne des Magness-Centers der Universität von Denver in Colorado und vor den Augen von geschätzt 60 Millionen zuschauenden Amerikanern begann das rhetorische Kräftemessen mit einem ausgiebigen Händeschütteln, dem sich Romney so schnell wie möglich entziehen wollte. Der 65-Jährige, in allen zentralen Umfragen zuletzt stark abgefallen und auch innerhalb der republikanischen Partei enorm unter Druck geraten, konnte es kaum erwarten an das Mahagoni-Rednerpult zu treten.
Romney warf Obama Versagen vor
Mit nahezu identischer Kleidung in dunklen Anzügen (Obama mit blauer, Romney mit roter Krawatte) präsentierten sich der demokratische Amtsinhaber und sein republikanischer Herausforderer optisch beinahe wie Zwillinge. Was Debattenstil, Politikbild und Argumentationsweise angeht, so gab es jedoch gehörige Unterschiede. Obama rühmte sich alles in allem als Integrationsfigur, die dem überparteilichen Konsens verpflichtet sei und die immer stärker auseinanderdriftenden Gesellschaftsschichten trotz großer politische Widerstände in einer zweiten Amtszeit zusammenführen wolle.
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Romney warf seinem Gegenüber immer wieder Versagen in allen zentralen Politikfeldern vor und nahm für sich in Anspruch, den „richtigen Weg für Amerika“ zu kennen. Inhaltlich kreiste die Debatte, die von dem 78-jährigen Moderator Jim Lehrer journalistisch einwandfrei mit nüchternen Fragen und reichlich Freiraum für Erwiderungen gestaltet wurde, um die Kern-Themen Wirtschaft/Arbeitsmarkt, Staatsschulden und Sozialsysteme.
Viele Argumente waren schon vorher oft benutzt worden. So hielt Obama Romney vor, die oberen Zehntausend zu Lasten der Mittelschicht entlasten zu wollen. Zudem werde der Republikaner die Staatsschulden mit Steuergeschenken und zusätzlichen Militärausgaben im Volumen von 8000 Milliarden Dollar nach oben treiben. Dies könne nur mit radikalen Ausgabenkürzungen zu Lasten der Mittelschicht teilweise kompensiert werden. Obama: "Das sagt die Mathematik und der gesunde Menschenverstand."
Obama verteidigt seinen Ansatz für eine Steuerreform
Romney stritt rundherum ab, dass seine Politik zu höheren Steuern für die Mittelschicht führen werde. Sämtliche Attacken und Zahlen Obamas seien „fehlerhaft“. Obamas Konter, Romney distanziere sich fünf Wochen vor der Wahl von all jenen Vorschlägen, mit denen er seit 18 Monaten Wahlkampf mache, ließ der Herausforderer allerdings unkommentiert.
Während Obama seinen Ansatz für eine Steuerreform verteidigte, die Reiche stärker zu Kasse bittet, und für einen maßvollen Schuldenabbau warb, der Ausgaben in Bildung, Infrastruktur, Krankenversicherung und soziale Auffangnetze nicht massiv behindert, ging Romney auf Konfrontationskurs. Obamas Staatsgläubigkeit ersticke private Initiative, stranguliere mit überflüssigen Regelwerken die Wirtschaft, vernichte Arbeitsplätze und schaffe ein teures, vom Staat dirigiertes Gesundheitssystem. Obama erläuterte, dass bei seiner Reform („Obamacare“) die Krankenversicherungsbeiträge so langsam steigen wie seit 1960 nicht mehr. Die noch in den Anfängen steckende Reform zeige bereits klar erste Erfolge.
Romney kündigte an, „Obamacare“ durch ein nicht näher erläutertes Modell zu ersetzen. Das bestehende Gesetz koste 700.000 Jobs, mache die Gesundheitsversorgung im Schnitt pro Kopf um 2500 Dollar im Jahr teurer und gängele die Bundesstaaten. Beide Redner ergingen sich zur Untermauerung ihrer Thesen immer wieder in Zahlenspielereien aus nicht umgehend nachvollziehbaren Quellen, in denen es vor Summen mit weit über zehn Nullen nur so wimmelte.
Romney setzte auf dosierte Attacken
Selbst Experten in den Fernsehsendern, die live übertrugen, hatten Mühe, der Faktenhuberei zu folgen und den Wahrheitsgehalt beizeiten einzuschätzen. Darauf, so die vorherrschende Meinung vieler US-Medien, kam es jedoch bei dem ersten direkten Vergleich im Fernsehen auch nicht so sehr an. Eher sei wichtig, wie etwas gesagt wird und mit welcher Körpersprache.
Romney verfolgte von Beginn an die Strategie der dosierten aber beständigen Attacke. Er redete durchweg schneller, drängender im Ton und packte seine Sätze randvoll mit Pathos und Details. "Ich mache mir Sorgen um die Zukunft Amerikas." Sein Gesichtsausdruck verriet Ungeduld und inneres Kopfschütteln. Obama hielt sich an die Taktik Kommen-lassen-und-ausbremsen. Er sprach oft langsam und kompliziert und verhaspelte sich gelegentlich sogar. Seine Botschaft an das Fernsehvolk: Romneys Plan ist deshalb diffus, weil er mit den Grausamkeiten hinter dem Berg hält. Romney werde den Staat kaputtsparen, die Mittelklasse in noch mehr Bedrängnis bringen und die Reichen begünstigen.
Beharrlich warf Obama seinem Kontrahenten vor, dass dessen Steuer- und Sparpläne den Staat ausbluten und die sozial Schwachen auf sich zurückwerfen würden. Romney, der schlagfertiger wirkte, versuchte Obamas unablässigen Breitseiten mit dem Pauschal-Hinweis zu entgehen: „Alles, was Sie sagen, Mr. President, ist nicht korrekt.“
Keine peinlichen Fehler
Sprachliche Glanzlichter blieben aus dieser ersten Debatte nicht zurück. Zu kleinteilig, zahlenlastig und letztlich undurchführbar geriert der Versuch, etwa die gewaltigen Unterschiede in der Gesundheitspolitik abseits von Schlagworten erschöpfend in zwei Minuten abzuhandeln. Die Rivalen vermieden bei aller sachlichen Härte auf die Person zielende Angriffe und peinliche Fehler, die ihnen am Tag danach auf allen Sendern zigmal vorgeführt worden wären. Die Anrede und der Umgang waren höflich und an keiner Stelle, analog zum politisch vergifteten Klima im Land, ehrabschneidend.
Obama schloss sogar mit eine Prise Ironie auf eigene Kosten: „Vor vier Jahren habe ich gesagt, dass ich kein perfekter Mensch bin und dass ich kein perfekter Präsident sein werde. Das zumindest ist ein Versprechen, von dem Gouverneur Romney meint, dass ich es eingehalten habe.“ Die Kommentatoren der großen Fernseh-Sender von CNN bis Fox News versagten sich in der ersten Reaktion eine inhaltliche Würdigung, erklärten Romney gleichwohl fast einstimmig zum Sieger.
Zweite Debatte am 16. Oktober
Welche Aussagekraft die Wähler der Debatte beimessen, werden erst umfangreichere Umfragen in den nächsten Tagen zeigen. Möglich, dass beide Teilnehmer es übertrieben haben: Romney die Aggressivität, Obama das passive Weglächeln. Am 16. Oktober findet in Hempstead auf Long Island/Bundesstaat New York die zweite Debatte statt; diesmal als "Townhall-Meeting" mit Bürgerfragen.
Das dritte Aufeinandertreffen zur Außenpolitik ist für den 22. Oktober in Boca Raton in Florida geplant. Wahlforscher warnen davor, die TV-Debatten in ihrer Bedeutung zu hoch zu veranschlagen. In 50 Jahren hätten diese Duelle erst zweimal messbar den Wahlausgang beeinflusst.