Charlotte. . Um wiedergewählt zu werden, listete Barack Obama vor 25.000 Zuhörern pragmatisch sein Arbeitsprogramm für die nächste Amtszeit auf. Die Vorschläge des Widersachers Mitt Romney seien ein völlig anderer Weg.
Nach der aufwühlenden Liebeserklärung seiner Frau Michelle, nach den bewundernden Worten seines Vizepräsidenten Joe Biden, nach der brillanten Achterbahnfahrt seines Vor-Vor-Gängers Bill Clinton lag die Messlatte für Barack Obama bei dieser Rede in schwindelerregender Höhe. Amerikas Präsident muss geahnt haben, dass der Versuch zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, sie in widrigen Zeiten mit noch mehr politischer Poesie zu überspringen. Darum lief er einfach darunter her, verordnete sich einen pragmatischen, nüchternen Ton, aus dem vier Jahre Erfahrungen und so manche Enttäuschung sprachen.
„Ihr habt mich nicht gewählt, damit ich Euch sage, was Ihr hören wolltet“, sagte der 2008 noch als Messias angehimmelte US-Präsident zum Abschluss des Demokraten-Parteitages in Charlotte, „ihr habt mich gewählt, damit ich Euch die Wahrheit sage. Und die Wahrheit ist, es wird für uns mehr als einige wenige Jahre dauern, um die Herausforderungen zu bewältigen, die sich über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben.“
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Auf diesem Geständnis des eigenen Scheiterns, Amerika nicht geheilt und versöhnt zu haben, war das gesamte Bewerbungsgespräch aufgebaut, das Obama via Fernsehen mit Millionen Wählern führte, die nicht mehr (oder noch immer nicht) wissen, woran sie mit ihm sind. Jetzt müssten sie es sein.
Arbeit
Nach Obamas Vorstellungen sollen bis 2016 eine Million zusätzliche Arbeitsplätze allein im produzierenden Gewerbe entstehen. Die Export-Quote für amerikanische Güter will er bereits Ende 2014 verdoppelt haben.
Energie
Obama stellt in Aussicht, die Öl-Importe aus dem Ausland bis 2020 zu halbieren und bis 2014 rund 600 000 neue Arbeitsplätze in der boomenden Erdgas-Förderung aus Schiefergestein („Fracking“) zu schaffen, die gerade in Deutschland für Streit sorgt.
Bildung
Die Studiengebühren für den College-Besuch sollen binnen eines Jahrzehnts halbiert werden. Bis 2012 werden 100 000 neue Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften eingestellt. Zwei Millionen Arbeitnehmer sollen für gesuchte Berufe in der Industrie qualifiziert werden.
Steuern
Wer mehr als 250.000 Dollar im Jahr verdient, muss mit Steuererhöhungen rechnen. Das sei gerechter, als Lehrer und Feuerwehrleute zu entlassen, weil die öffentlichen Kassen immer leerer werden.
Finanzen
Das bei 16.000 Milliarden Dollar liegende Staatsdefizit soll während des kommenden Jahrzehnts um 4000 Milliarden gesenkt werden. Geld, das durch die Beendigung der Kriege im Irak und in Afghanistan frei wird, soll in den Ausbau von Autobahnen, Stromleitungen und Schulen fließen. Obama bittet um Geduld: „Der Weg, den wir bieten, mag härter sein, aber er führt zu einem besseren Ort.“
Obamas Vorschläge realistischer als Romneys Programm
Was wie ein normales Arbeitsprogramm klingt, unterscheidet sich erheblich vom Reifegrad der Vorschläge seines Widersachers Mitt Romney. Der hatte zwölf Millionen neue Arbeitsplätze auf dem Parteitag der Republikaner in Tampa angekündigt. Arabisches Öl, nach Ansicht von Experten ein illusorisches Ziel, soll Ende des Jahrzehnts nicht mehr nach Amerika fließen. Was Romney zu Bildung und Finanzen zu sagen wusste, gehörte laut „New York Times“ in die Kategorie Gutgemeintes.
Nüchtern, abgeklärt, ernst, ja geläutert beschrieb hingegen Obama vor 25.000 Zuhörern mit einem Satz den Unterschied zu 2008: „Ich bin nicht mehr derselbe wie vor vier Jahren. Ich bin nicht mehr der Kandidat, ich bin der Präsident.“
Als solcher unterbreitete Obama Amerika eine klare Auswahl zwischen „zwei völlig unterschiedlichen Wegen“. Sein Herausforderer will den Millionären Steuergeschenke in Billionen-Höhe machen – er steht für eine sozial ausgewogene Haushaltssanierung. Romney und die Republikaner halten den Klimawandel für eine „Erfindung“ – er weiß, dass die Erderwärmung „kein Scherz ist“ und das Leben seiner Töchter bedroht. Romney beleidigt England, Russland und China und zerstört diplomatisches Porzellan – er hat US-Soldaten nach Hause geholt, den Iran-Israel-Konflikt bisher in Schach gehalten und Osama bin Laden zur Rechenschaft gezogen.
Obama mit Anleihen bei JFK
Anders als die Republikaner skizzierte Obama ein Amerika, in dem „Bürgersinn“, „Solidarität“ und „Teilhabe“ keine unter Sozialismus-Verdacht stehenden Fremdwörter seien dürften. Bewusst machte er Anleihen bei John F. Kennedy: „Amerika – das bedeutet nicht, was kann das Land für uns tun, sondern: Was können wir in diesem Land tun.“ Leisere Töne, die bei vielen Delegierten dennoch verfingen. „Vor vier Jahren hat mich dieser Mann zum Träumen gebracht“, sagte die 62-jährige Jill Wilson aus Pennsylvania, „heute bin ich durch Obama zum Nachdenken angeregt worden.“