Washington. In Denver messen sich US-Präsident Barack Obama und sein Herausforderer Mitt Romney am Mittwochabend in der ersten Fernseh-Debatte vor der Wahl am 6. November. Gut 60 Millionen Amerikaner werden vor den Bildschirmen erwartet. Statt Parteiprogrammen zählt hier vor allem der Charme der Kandidaten.

Wenn Chris Christie richtig liegen sollte, dann kratzt sich Amerika am Donnerstagsmorgen „verwundert den Kopf - und das Rennen um das Weiße Haus beginnt quasi von vorn“. Der korpulente Gouverneur von New Jersey sagt voraus, dass der in allen wichtigen Umfragen in den umkämpften Schlüsselstaaten Ohio, Virginia und Florida abgesackte republikanisch Obama-Herausforderer Mitt Romney bei der ersten Fernseh-Debatte am Mittwoch (20 Uhr Ortszeit - Donnerstag, 3 Uhr deutscher Zeit ) das Ruder vor erwarteten 60 Millionen Zuschauern herumreißen wird. Wahlkampf-Getrommel? Aber sicher. Hier der dazu gehörende Programmhinweis:

Schauplatz und Spielregeln:

In der Universität von Denver kreuzen die Kontrahenten 90 Minuten lang zu innenpolitischen Themen wie Gesundheitsreform, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung die Klingen. Jede Sekunde ist durchinszeniert, alles vertraglich geregelt. Vom Lichteinfall bis zur Stehposition. Gestrenger Schiedsrichter, jede Antwort darf nur zwei Minuten dauern, wird der frühere PBS-Starmoderator Jim Lehrer sein. Niemand hat mehr Präsidenten-TV-Debatten geleitet. Lehrer ist ein hoch seriöse Mischung aus Hajo Friedrichs und Karl-Heinz Köpke. Wer sich in Deutschland selbst überzeugen will: Phoenix und das ZDF übertragen am frühen Donnerstagmorgen ab 2.40 Uhr bzw. 2.45 Uhr live. Das ZDF zeigt das Duell in seiner Mediathek auch im englischen Originalton.

Sind die Debatten wichtig?

Jein. Viele Wähler haben sich traditionell längst festgelegt; bis zu 90 %, sagen Umfragen. Aber: Je enger die Meinungsumfragen nach monatelangem Abtasten aus der Ferne, desto wirkungsvoller der Nahkampf von Mann zu Mann, Auge in Auge, ohne Berater, ohne Sprechzettel, live im Fernsehen. Wenn Partei und politisches Programm nichts mehr zur Sache tun, sondern nur noch Charme und das gesprochene Wort zählen. Unentschlossene lassen sich von dem Spektakel gern beeindrucken. Wer ist der überzeugendere Staatsschauspieler? Weil in etlichen Bundesstaaten schon die Frühwahl begonnen hat, könnte schon Denver in vielen Fällen den letzten Ruck geben. Historisch haben die „debates“ schon häufiger das Zünglein an der Waage gespielt. Bei der Premiere vor 52 Jahren war Richard Nixon verschwitzt und miserabel rasiert. John F. Kennedy sah so entspannt aus, als wäre er gerade vom Strand auf den Bahamas eingeflogen – und gewann.

Die Vorbereitung:

Seit Tagen ist es still geworfen im Wahlkampf. Romney war mit Rob Portman im Trainingslager. Der dröge Senator aus Ohio, unter Bush ein Finanzfuchs, hatte vor vier Jahren schon John McCain für das Fernseh-Schattenboxen gecoacht. Auf der Gegenseite spielte John Kerry, Präsidentschaftskandidat 2004, für Obama in einer Klausurtagung die Romney-Rolle. Er wirkt genauso steif und ungelenk wie der Mormone. Dazu haben die Stäbe der Kandidaten dicke Drehbücher geschrieben; mit Antworten auf jede nur erdenkliche Frage. Alle wissen aus Erfahrung: Fehler in den ersten 30 Minuten kann man kaum mehr wettmachen.

Obama oder Romney - wer gewinnt Denver? 

Wie immer die 100 000 Dollar-Frage. Mitt Romney könnte im Vorteil sein, weil er ein gutes Dutzend Debatten in den parteiinternen Vorwahlen als Sieger überstand, allerdings gegen Leichtgewichte, und nicht lange fremdeln dürfte mit der Kamera. Seine Gabe, sein Gegenüber kalt lächelnd und zutiefst höflich beleidigen zu können und ihn so aus der Reserve zu locken, ist nicht zu unterschätzen. Obama hat diese 1:1-Situation zuletzt vor vier Jahren mit Hillary Clinton erlebt. Er neigt in Debatten zu langen Antworten in Proseminar-Tonlage. Fasst er sich nicht kurz, wird’s schwierig, sagte die politische Beobachter-Klasse in Washington.

Das grundlegende Szenario ist vertraut: Ein Redner ist immer am besten, wenn er gut vorbereitet ist und am schlechtesten, wenn er überrascht wird. Der andere ist am besten, wenn er gezwungen wird, schnell zu reagieren und am schlechtesten, wenn er zu viel Zeit hat. Wo wird diesmal Romney, wo Obama einzusortieren sein? Die Menschen draußen im Land sind eindeutig in ihrer Meinung. Über 50 Prozent glauben, dass Obama den früheren Risikokapital-Manager Romney an die Wand reden wird.

Die Trugschlüsse:

Es geht bei den TV-Debatten - Mythos Mattscheibe - nicht wirklich um den Inhalt und das konkrete politische Konzept. Das Format mit Stoppuhr lässt kaum mehr als vorgefertigte und auf Wirkung längst getestete Gedankengänge zu. Die Aufführung ist wichtiger. Wer wirkt besser als erwartet? Wer ist staatsmännischer, besonnener? Wer schlagfertiger, witziger? Wer kann in Worten und Mimik mit den Menschen daheim vor den Fernsehschirmen einen Draht aufbauen und durch den Moderator hindurch zu ihnen sprechen? Wer bleibt kalt wie ein Fisch? Klar ist, niemand kann wirklich Klartext reden, tief in die Materie einsteigen, Zusammenhänge aufzeigen oder sein Gegenüber offen des Unsinns zeihen. Er hätte schon verloren.

Doubles für die Kandidaten: Bei den Proben für das erste TV-Duell zwischen US-Präsident Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney mussten Zach Gonzales (links) und Dia Mohamed, Studenten der Universität Denver, als Platzhalter einspringen.
Doubles für die Kandidaten: Bei den Proben für das erste TV-Duell zwischen US-Präsident Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney mussten Zach Gonzales (links) und Dia Mohamed, Studenten der Universität Denver, als Platzhalter einspringen. © afp

Was kommt danach?

Nach dem Zweikampf vor den Kameras währt die Nachspielzeit beinahe unendlich, die ermüdenden Tage des „Spins“ stehen an. Hunderte Analysten und Lobbyisten beide Lager sezieren schon während der Live-Sendung jede Sekunde, jeden Augenaufschlag und jeden Info-Happen. Ab Donnerstag wird so gut wie jeder Satz zigfach von „Faktencheckern“ geprüft. Die Zeitungen werden überquellen mit Tiefen-Analysen. Das dauert Tage. Erst dann bildet sich ein öffentliches Gewinner-Verlierer-Bild mit verlässlichen Pegelausschlägen in den Umfragen.

Wie geht es weiter?

Am 16.10. steigt in Hempstead bei New York die zweite Debatte. Diesmal ist das Format intimer: Townhall. Hat Angela Merkel auch schon gemacht. Zuschauer, natürlich handverlesen, dürfen die Fragen stellen. Am 22.10. in Boca Raton/Florida folgt die dritte und letzte Debatte, dann mit dem Schwerpunkt Außenpolitik. Zwischendurch dürfen sich die Vizepräsidenten-Kandidaten, Amtsinhaber Joe Biden und Jungspund Paul Ryan, in Kentucky balgen. Weil beide Männer für ihre offene Aussprache bekannt und zum Teil berüchtigt sind, könnten von dieser Begegnung am 11. Oktober starke Impulswellen ausgehen.