Düsseldorf. . NRW-Justizminister Thomas Kutschaty verschwieg die Flucht von drei jungen Intensivtätern. Die Landesregierung warb noch neun Tage nach der Flucht von Jugendstraftätern für das Erziehungscamp. Erprobt werden sollte eine neue, offene Form des Vollzugs. Motto: Bessern statt Strafen, Erziehen statt Wegschließen.
Es wirkt wie ein Katalog für Abenteuerreisen. Schöne Fotos von Kanufahrern, Kletterern, einem Kicker und lachenden jungen Männern. „Cool?!“, steht dort in großen Lettern. Und die erstaunliche Aufforderung: „Worauf wartest Du noch? Mehr Infos bekommst Du in Deiner Justizvollzugsanstalt.“ Es ist der Flyer, mit dem sich junge Häftlinge in NRW um einem Platz für den neuen „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ bewerben konnten. Bis zum jähen Ende am gestrigen Freitag.
Seit 1. August wollte die NRW-Landesregierung einen alternativen Jugendstrafvollzug testen. Motto: Bessern statt Strafen, Erziehen statt Wegschließen. Eine überparteiliche Enquete-Kommission hatte es schon vor vier Jahren so empfohlen. Bisher schien man kriminelle Karrieren im Knast eher zu befördern als zu verhindern. Die Rückfallquote: Stabile 60 Prozent.
Platz für sieben Straftäter
Also beauftragte das Justizministerium die Jugendhilfe-Einrichtung „Raphaelshaus“ in Dormagen damit, sieben Plätze für verurteilte Straftäter bereitzustellen. Statt Gitterfenstern wartete dort ein Tagesprogramm aus Frühsport, Schule, Koch- und Benimmkursen. Kostet ein durchschnittlicher Haftplatz in NRW 111,55 Euro am Tag, wurden in Dormagen 266,75 Euro fällig.
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Bei der Auswahl der ersten Kandidaten muss etwas gründlich schief gegangen sein. Knapp drei Wochen nach Projektstart verschwanden zwei 17-Jährige spurlos. Sie hatten wegen Diebstahl- und Gewaltdelikten schon stattliche Haftstrafen von vier Jahren und zwei Monaten bzw. eineinhalb Jahren auf dem Kerbholz. Da beide Migrationshintergrund besitzen, könnten sie längst außer Landes sein. Die Leitung des Jugendgefängnisses Wuppertal-Ronsdorf hatte sie ebenso für das Dormagener Projekt empfohlen wie einen 16-Jährigen, der nach kurzer Flucht gefasst werden konnte.
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Minister in Bedrängnis
In höchster Bedrängnis durchkreuzte Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) am Freitag seine Blaupause für eine landesweite Reform des Jugendstrafvollzugs. Die Projektgruppe in Dormagen wurde aufgelöst, das Modellprojekt ausgesetzt. Kutschaty fühlt sich von der Opposition im Stich gelassen, die sich nicht mehr an eine zentrale Empfehlung der Enquete-Kommission erinnere: Man solle den Jugendstrafvollzug in freien Formen drei Jahre lang in Ruhe experimentieren lassen. CDU-Fraktionsvize Peter Biesenbach stellte dagegen klar, dass er nicht den Ansatz eines erzieherischen Strafvollzugs kritisiere, sondern die Kandidatenauswahl und Umsetzung des Projekts.
Öffentlichkeit erfuhr nichts
Zum politischen Problem wird zudem die Informationspolitik des Justizministers. Noch am 28. August hatte das rot-grüne Landeskabinett das Dormagener Modell als Beispiel für das Regierungscredo „Kein Kind zurücklassen“ von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hochgehalten. Von den Fluchten erfuhr die Öffentlichkeit nichts. Selbst die Fachpolitiker der Landtagsfraktionen ahnten nicht, dass zwei angeblich ideal geeignete Intensivtäter schon neun Tage verschwunden waren.
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Grünen-Rechtspolitikerin Dagmar Hanses will das Projekt retten: „Jugendstrafvollzug in freien Formen braucht weiterhin einen breiten politischen Konsens. Ich werde die Fachpolitiker aller Fraktionen zu einem Runden Tisch einladen – mit dem Ziel, dass wir uns über den bisherigen Konsens zum erzieherischen Umgang mit jungen Gefangenen neu verständigen.“ Womöglich könne künftig die Eignung von Kandidaten von Gerichten mitbeurteilt werden, so Hanses.