Berlin. Religiös motivierte Beschneidung ist Körperverletzung, urteilte das Kölner Landgericht im Juni - und trat damit eine Debatte los, die weltweit für Aufsehen sorgte. Jetzt gibt es in Berlin eine Übergangsregelung. Sie stößt auf Kritik. Die Bundesregierung reagiert und verspricht Klarheit.

Die Bundesregierung will klare Regeln für religiöse Beschneidungen vorlegen. "Die entstandene Rechtsunsicherheit wird durch eine bundesgesetzliche Regelung schnell beseitigt werden", versprach Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Donnerstag Juden und Muslimen. Viele Bundesländer warten auf die Bundesregelung, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur dapd ergab.

Das Kölner Landgericht hatte in einem Ende Juni bekannt gemachten Urteil die Beschneidung von Jungen - also die Entfernung der Vorhaut am Penis - als strafbare Körperverletzung gewertet, selbst wenn die Eltern einwilligen. Daraufhin war eine politische Debatte entbrannt, die auch international für Aufsehen sorgte. Der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) stellte nun eine Übergangsregelung vor, mit der in dem Bundesland ab sofort die Beschneidung unter strengen Voraussetzungen straffrei ist.

Juden und Muslimen reicht das nicht aus

Juden und Muslimen reicht das Berliner Modell nicht aus. Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, begrüßte den Schritt zwar als Signal zugunsten der Religionsfreiheit. "Aber die konkrete Zwischenlösung hilft uns nicht weiter", sagte er der "Frankfurter Rundschau". Die jüdischen Beschneider könnten zwar beschneiden, müssten sich nach dieser Regelung aber im Anschluss einer Einzelfallprüfung und möglicherweise einem Ermittlungsverfahren unterziehen. "Ich frage mich also, worin für uns die Verbesserung liegt", sagte Kramer.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, äußerte ebenfalls Kritik an der Berliner Übergangsregelung. "Man darf Religion nicht bürokratisieren", sagte Mazyek. "Die Berliner Regelung sieht vor, dass Eltern die religiöse Motivation der Beschneidung nachweisen müssen."Gewissensprüfungen sind jedermanns eigene Sache, es ist problematisch, das über Verwaltungsregeln abzufragen. "Das ist auch nicht Aufgabe des Staates", kommentierte Mazyek.

Gegen Kriminalisierung und Bevormundung

Juden und Muslime verteidigten mit einem flammenden Appell für die Religionsfreiheit und gegen Kriminalisierung und Bevormundung ihre Tradition der Beschneidung von Jungen. Man sei entsetzt über eine von Vorurteilen und diffusen Ängsten geprägte Diskussion, "die teils hysterische Züge annimmt und antisemitische und antiislamische Stereotypen bemüht", heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Aufruf zu einer Kundgebung am Sonntag in Berlin. In der Erklärung heißt es: "Juden und Muslime stehen urplötzlich da als 'Kinderquäler', als schlechte und lieblose Eltern, die an wehrlosen Kindern angeblich archaische und blutige Rituale vollführen." Dabei sei der Eingriff selbst "rein medizinisch weltweit akzeptiert" und nicht zuletzt darum von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, die die Vorteile der Praxis betone, etwa was das Risiko einer Krankheits-Übertragung oder Hygiene allgemein angehe.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bekräftigte derweil die Zuständigkeit des Bundes und erklärte: "Wir müssen mit allen Mitteln verhindern, dass über die Beschneidungsdebatte Antisemitismus Vorschub geleistet wird. Wir brauchen lebendiges jüdisches Leben in Deutschland."

Warten auf eine Regelung auf Bundesebene

Nach der Berliner Lösung warten die meisten Bundesländer auf eine Regelung auf Bundesebene. Die Landesregierungen in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern betonten am Donnerstag, sie planten keine eigene Regelung. In Hessen und Sachsen soll weiterhin im Einzelfall entschieden werden, ob religiös motivierte Beschneidungen als Straftat verfolgt werden. Thüringen zeigte Interesse an der Berliner Übergangsregelung. "Wir finden den Berliner Standpunkt interessant, prüfen aber derzeit noch das weitere Vorgehen", sagte ein Sprecher des Landesjustizministeriums am Donnerstag in Erfurt. (dapd)