Karlsruhe. . Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ist vor allem für die Kommunen ein Schock. Städte wie Duisburg und Dortmund zahlen fünf oder sechs Millionen Euro im Jahr zum Unterhalt der Asylbewerber. Der Betrag könnte sich mindestens um ein Drittel erhöhen.

Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben mit bemerkenswerter Strenge die Politik angewiesen, die Zahlungen an die 130.000 Asylbewerber im Land mit sofortiger Wirkung um im Schnitt ein Drittel zu erhöhen. Der Staat muss das Geld für das Jahr 2011 teilweise nachzahlen. Er muss auch ein völlig neues Asylbewerberleistungsgesetz auf den Weg bringen.

Die Vorgabe lautet: Die monatlichen Leistungen müssen ein menschenwürdiges Leben möglich machen. Das sei bisher nicht der Fall. Der Maßstab sind die Lebensverhältnisse in Deutschland, nicht etwa die Länder, aus denen die Flüchtlinge stammen.

Keine Erlaubnis, zu arbeiten

Den Asylbewerbern ist eine „Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen“ finanziell genau so zu ermöglichen wie „ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“, heißt es in dem Karlsruher Spruch. Asylbewerbern ist es in Deutschland verboten, eine Arbeit aufzunehmen.

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Ungewöhnlich ist vieles an dem Urteil, das durch das Essener Landessozialgericht im Jahr 2010 ausgelöst wurde. Geklagt hatten ein Iraker und die Tochter einer Frau aus Liberia, die teilweise schon lange in der Bundesrepublik wohnen. Die Essener Richter kritisierten damals die Zahlungspraxis mit deutlichen Worten, weigerten sich aber, zu entscheiden. Sie legten den Fall direkt in Karlsruhe vor.

Rüge für die Politik

Dort haben die höchsten deutschen Richter am Mittwochmorgen selbst für ihre Verhältnisse ungewöhnlich strenge Töne angeschlagen. Denn selten verweist das Gericht auf den Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Menschenwürde ist unantastbar“). Dieser Artikel begründe den Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, urteilen die Richter. Das sei für Asylbewerber bisher „evident unzureichend“.

Auch bringen sie das Sozialstaatsgebot ins Spiel. Das bestimme, die konkrete Höhe der Zahlungen „zeit- und realitätsgerecht“ festzulegen. Eine Rüge, weil der Bundestag 20 Jahre lang den Regelsatz für bis zu vier Jahre in Deutschland lebende Asylbewerber nicht erhöht hat.

Kommunen sind geschockt

Mit einer Rechnung in Euro und Cent setzen die Rotroben und ihr Vorsitzender Ferdinand Kirchhof schließlich die Politik-Schelte fort. Das Gericht schreibt den Behörden vor, was statt der heute gewährten 224,95 Euro ab sofort zu zahlen ist: 336 Euro, davon sind 130 Euro „für die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens“ in bar zu begleichen – ein Ukas für Bundesländer wie Baden-Württemberg und Bayern, die sich derzeit weitgehend auf Sachleistungen beschränken.

Vor allem für die Kommunen, die bundesweit 789 Millionen Euro heute schon für diesen Block ausgeben, ist das Urteil ein Schock. Städte wie Duisburg und Dortmund zahlen fünf oder sechs Millionen Euro im Jahr zum Unterhalt der Asylbewerber. Ihre Kassen sind leer, der Betrag könnte sich aber mindestens um ein Drittel erhöhen. Die genauen Belastungen stehen noch nicht fest, weil auch offen ist, wie viel für das Jahr 2011 nachgezahlt werden muss.

Berlin soll zahlen

Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD), der das Urteil für eine „peinliche Nachhilfe“ für die Bundesregierung hält, hat Berlin aufgefordert, Städte und Gemeinden „bei den Soziallasten stärker zu unterstützen“. In Berliner Regierungskreisen heißt es dagegen, gerade die Länder hätten bisher kein Interesse gezeigt, bei den Leistungen nachzubessern.