Düsseldorf. . Die Landtagswahl hat es besiegelt: Seit Johannes Rau war kein SPD-Politiker in NRW so mächtig wie Hannelore Kraft. Ihr Sieg weckt neue Erwartungen in der Partei - aber beim Thema Kanzlerkandidatur blockt Kraft weiter ab. Damit muss das letzte Wort über Berlin allerdings noch nicht gesprochen sein.
Die Sache ist gelaufen, die erste Hochrechnung eindeutig: Diesmal hat sie wirklich gewonnen. Hannelore Kraft hält nichts mehr im Büro ihrer Staatskanzlei, wo sie die Zahlen mit Vertrauten abgewartet hat. Die Feier steigt in einer Disko, die SPD ist aus ihrer Parteizentrale in den schicken Medienhafen umgezogen. Als die Wahlsiegerin auf die Bühne steigt, brandet tosender Jubel auf. Sie, die von Beobachtern vor nicht langer Zeit noch etwas herablassend als „die nette Frau Kraft aus Mülheim“ einsortiert wurde, ist jetzt der neue Star der SPD. Die stärkste Frau ihrer Partei.
„Was für ein toller Abend!“ ruft Kraft, die Ehemann Udo und Sohn Jan an ihrer Seite hat. Ihr steiler Aufstieg findet seine Fortsetzung – mit dem ersten „richtigen“ Wahlsieg in eigener Regie. Denn als Siegerin, das hatte sie in kleiner Runde eingestanden, fühlte sie sich trotz ihres Überraschungserfolgs vor zwei Jahren nicht. Damals lag die SPD sogar ganz knapp hinter der CDU, ehe sich Kraft auf das Wagnis ihrer Minderheitsregierung einließ.
SPD-General Groschek: Kraft ist „überragende politische Persönlichkeit“
Es hat sich gelohnt, sie hat ihren Amtsbonus ausgespielt. „Sie trifft das Lebensgefühl der Menschen“, sagt Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski, der mitten im Gedränge steht, „die Leute nehmen ihr ab, dass sie es ehrlich meint.“ Eine typische Antwort, wenn man nach Krafts Erfolgsrezept fragt. Generalsekretär Michael Groschek, der sein Amt im Sommer abgeben will, befindet nicht ohne Pathos, Kraft sei zu einer „überragenden politischen Persönlichkeit“ gereift.
Als Norbert Röttgens auf der Leinwand seinen Rücktritt erklärt, höhnen die Jusos: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Die rot-grüne Farbenlehre gilt in Düsseldorf jetzt bis 2017. Kraft und führende Sozialdemokraten hätten alles versucht, eine Ampel-Koalition zu schmieden, falls es für SPD und Grüne allein nicht gereicht hätte. Den Gefallen einer Großen Koalition wollte man Kanzlerin Merkel nicht erweisen. Kraft wird überdeutlich: „Das Ergebnis ist ein klares Signal nach Berlin.“
Seit Johannes Rau war kein SPD-Politiker in NRW so mächtig wie Kraft
Seit Johannes Rau war kein SPD-Politiker in NRW so mächtig wie sie. Sie war stets zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle. Sie selbst sagt: „Man darf nie aufgeben.“ Kraft hat sich alles beharrlich erarbeitet. Wie die 50-Jährige von den Genossen getragen wird, lässt sich hier in der Partyzone beobachten. Alles drängt in ihre Nähe. Während Stallgeruch für Clement ein „schlimmer Gestank“ gewesen sei, hat es SPD-Landesvize Britta Altenkamp einmal formuliert, wisse Kraft die Partei hinter sich. Das schrecke auch Strippenzieher ab, die ihr so schnell nicht gefährlich werden könnten.
„Ihr ist der Schulterschluss mit den Gewerkschaften geglückt“, sagt Baranowski. „das war vor allem im Ruhrgebiet wichtig.“ Kraft hat die NRW-SPD seit ihrer Wahl zur Parteichefin vor fünf Jahren wieder näher an die Arbeitnehmerschaft herangerückt, ohne die Agenda 2010 zu torpedieren. Im Landtag hat sie mit den Grünen vermeintliches Hoheitsgebiet der Linkspartei besetzt, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst verbessert, Studiengebühren abgeschafft. Auch das hat dazu beigetragen, dass die Linke bei der Wahl scheiterte.
Nach der Wahl zur Ministerpräsidentin hat Kraft freie Hand
Die Gefahr abzuheben, ist für Politiker ihres Kalibers immer real, davor ist auch die geerdete Kraft nicht geschützt. Schlagzeilen nennen sie „Hannelore Rau“ oder „Ruhr-Präsidentin“. Tatsächlich hat das Amt sie etwas verändert. Kraft gibt sich neuerdings landesmütterlich, pflegt die präsidiale Pose. Aber noch trennt sie, anders als Rau es tat, zwischen Partei und Staat. SPD-Filz soll gar nicht erst erblühen.
Wie ihr künftiges Kabinett aussieht, weiß niemand. Auch im engsten Kreis lässt Kraft sich nicht in die Karten schauen. Sie wird zunächst ihre Wiederwahl zur Ministerpräsidentin im Landtag abwarten. Danach hat sie freie Hand, auch für unpopuläre Personalentscheidungen. Allgemein erwartet wird, dass das Mammutressort von Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger aufgeteilt wird. Er dürfte nicht der einzige SPD-Minister sein, der um seinen Job bangen wird.
Und die Kanzlerkandidatur? Kraft blockt ab. Sie hat sich immer auf Nordrhein-Westfalen festgelegt, wieder und wieder. Aber ihr Sieg weckt neue Erwartungen in ihrer Partei, und sie ahnt in der Stunde ihres bisher größten Triumphs, dass die Debatte längst nicht beendet ist. „Ich mache Politik, die zu mir passt“, sagt sie, und das könne sie am besten daheim an Rhein und Ruhr. Aber damit muss das letzte Wort über Berlin noch nicht gesprochen sein.